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Wo Hochwasserschutz überflüssig wird
Die Lausitz muss sich nach dem Kohleausstieg mit dauerhafter Wasserknappheit arrangieren
In Hoyerswerda liegen Fische auf dem Trockenen. Zu Hunderten verendeten sie dieser Tage in einem Arm der Schwarzen Elster, den Wassermangel austrocknen ließ. Die Stadt in der sächsischen Lausitz ächzt unter anhaltender Trockenheit. Seit Jahresbeginn hat es 130 Liter je Quadratmeter geregnet, nur halb so viel wie im langjährigen Mittel. Weiden sind gelb und rascheln, Straßenbäume lassen die Blätter hängen. Dabei ist erst Juni.
Dürre ist in der Lausitz allerdings nicht mehr der Ausnahmezustand, sagt Wolfram Günther, der grüne sächsische Umweltminister; vielmehr sei es »die neue Normalität«. Der Klimawandel wird sich in der Region nicht zuletzt durch deutlich weniger Niederschläge bemerkbar machen. Die dramatischen Folgen haben drei extrem trockene Jahre 2018 bis 2020 deutlich werden lassen. 2021 gab es eine Atempause. Jetzt fehlt das Nass erneut. Spree und Neiße führen derzeit weniger als die Hälfte, mancherorts auch nur ein Fünftel der üblichen Wassermenge, die Schwarze Elster fünf Prozent bis ein Drittel – und stellenweise auch gar nichts. »Das Gesamtsystem ist aus dem Gleichgewicht«, sagt Bernd Sablotny. Er ist Technischer Geschäftsführer der Lausitzer und Mitteldeutschen Bergbau-Verwaltungsgesellschaft (LMBV). Sie kümmert sich um die Hinterlassenschaften des Braunkohleabbaus in der Region.
Dieser ist maßgeblich mitverantwortlich dafür, dass der Wasserhaushalt in der Lausitz ohnehin seit Jahrzehnten schwer gestört ist. Um die Braunkohle aus den bis zu 17 Tagebauen fördern zu können, musste das Grundwasser weiträumig um 80 bis 100 Meter abgesenkt werden, was trockene Trichter mit vielen Kilometern Durchmesser entstehen ließ. Das über die Jahre aufgelaufene Grundwasserdefizit beziffert die Grüne Liga auf sechs Milliarden Kubikmeter.
Weil das Wasser zum Gutteil in die Spree geleitet wurde, profitierten flussabwärts liegende Städte wie Berlin, wo sich die Trinkwasserversorgung nicht zuletzt aus Spreewasser speist. Die sogenannten Sümpfungswässer machen 50 Prozent der Abflussmenge aus, sagt Günther. Sablotny räumt aber ein, man habe angesichts der Trockenheit schon jetzt zeitweilig Schwierigkeiten, den geforderten »Mindestwasserabfluss« in Richtung Berlin sicherzustellen. Dieser hat Vorrang vor anderen Bedürfnissen wie der Flutung der Tagebauseen.
Bald dürften sich die Probleme verschärfen, weil Pumpen abgestellt werden. 2030, so hat es die Bundesregierung beschlossen, endet der Braunkohleabbau. Aus den Restlöchern der Tagebaue sollen große Seen werden, die Touristen anlocken und so zur wirtschaftlichen Belebung der Region nach der Kohle beitragen sollen. Das Problem: Sie verschlingen enorme Mengen Wasser, das in der Region immer knapper wird. Allein für den Ostsee bei Cottbus, der mit 19 Quadratkilometern Fläche der größte künstliche See Deutschlands wird, werden laut Grüner Liga 256 Millionen Kubikmeter Wasser benötigt. Laut Tagebaubetreiber Leag sollen 88 Prozent davon aus der Spree kommen – die freilich wegen fehlender Niederschläge oft Niedrigwasser führt. Der Umweltverband warnt auch, die enormen Wasserflächen sorgten für starke Verdunstung, was den Wassermangel weiter verstärke.
Detailliertere Szenarien dazu, wie sich der Wasserhaushalt in der Region in den nächsten Jahren entwickelt, gibt es bisher nicht. Das Umweltbundesamt arbeitet an einer Studie; die LMBV, sagt Sablotny, habe eine eigenständige Klimaprognose in Auftrag gegeben, die 2024 vorliegen soll. Schon jetzt aber beschäftigt das fehlende Wasser in der Lausitz zunehmend die Politik. »Das ist eine Großbaustelle«, sagt Günther – nicht zuletzt mit Blick auf den Strukturwandel. Nach dem Ende der Kohleverstromung sollen sich in der Lausitz neue Industriezweige ansiedeln. Allerdings, sagt Günther, brauchen neue Betriebe in der Regel Wasser. »Wir müssen nicht über Ansiedlungen reden, wenn die Wasserfrage nicht geklärt ist«, sagt der Politiker. Das aber wird teuer. Die Kosten dafür, ein »sich weitgehend natürlich regulierendes System« wiederherzustellen, beziffert er auf sagenhafte zehn Milliarden Euro, was, wie er anfügt, »einen Landeshaushalt sprengt«. Günther sieht daher den Bund in der Pflicht, in dessen Zuständigkeit die Folgen des Kohlebergbaus fallen. In den bisherigen 40 Milliarden für den Strukturwandel, betont er, sei kein Geld für das Wasserproblem enthalten.
Jenseits solcher politischer Debatten versucht man in der Lausitz, das Problem anzugehen, indem etwa das verfügbare Wasser besser über das Jahr verteilt wird. Die LMBV errichtet in Lohsa in drei Restlöchern ein Speichersystem, das im Winter gefüllt wird und im trockenen Sommer zusätzliches Wasser an die Spree abgeben soll. Das deutsche Planungsrecht sorgt freilich dafür, dass die Genehmigungen für den Regelbetrieb nach jetzigem Stand erst 2060 erteilt werden. Sablotny drängt auf Beschleunigung, damit der Speicher noch vor 2030 in Betrieb gehen kann. Brandenburgs Umweltminister Axel Vogel (Grüne) unterstützt das Ziel: Das »langwierige Genehmigungsverfahren« werde »auf den Prüfstand« gestellt.
Sablotny wünscht sich etwa Abweichungen von den strengen Vorgaben der DIN-Norm 19700. Sie regelt die Sicherheit für Anlagen zum Hochwasserschutz. Es ist nicht auszuschließen, dass es auch in der Lausitz nach dem Spree-Hochwasser von 2010 wieder zu Überflutungen kommt. Im Regelfall aber wird man sich nicht vor Hochwasser schützen müssen – sondern vor dem Gegenteil.
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