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Aufbruch West
In Bremen regiert Die Linke mit, in Umfragen schneidet sie vergleichsweise gut ab. Was in der Hansestadt besser läuft als im Bund
Acht Prozent – von einem solchen Umfragewert kann die Linke auf Bundesebene momentan nur träumen. In Bremen ist diese Zahl laut einer aktuellen Erhebung aber Realität. Sie bedeutet zwar auch Verluste, gewählt wurde die Partei im Mai 2019 noch mit 11,4 Prozent, aber es ist kein Absturz wie im Bund, wo sie derzeit bei vier Prozent steht oder wie bei den diesjährigen Landtagswahlen in anderen westdeutschen Bundesländern, wo sie mit Werten rund um die zwei Prozent lediglich noch die größte unter den Kleinstparteien ist. Und während es einmal Zeiten gab, wo Mitregieren für die Linke Gift war, sind die acht Prozent in Bremen auch deshalb beachtlich, weil die Partei dort als erster westdeutscher Landesverband überhaupt seit drei Jahren an einer rot-grün-roten Regierung beteiligt ist. Vor dem Bundesparteitag in Erfurt, auf dem die Genoss*innen mit der Wahl eines neuen Vorsitzenden-Duos und inhaltlichen Weichenstellungen endlich aus der Krise finden wollen, stellt sich deshalb die Frage, inwiefern die Linke aus Bremen lernen kann.
Zwei Wochen vor der bundesweiten Delegiertenversammlung kommt der Bremer Landesverband im Gustav-Heinemann-Bürgerhaus in Vegesack zusammen. Die Stimmung ist bemerkenswert gut, die beiden Senatorinnen Kristina Vogt (Wirtschaft) und Claudia Bernhard (Gesundheit) können aber auch handfeste Erfolge präsentieren – wer kann das schon in der Linken in diesen Tagen? Man habe den Landesmindestlohn und das Tariftreuegesetz ausgeweitet, zählt Vogt auf. Und Bernhard verweist auf die hohe Impfquote gegen das Coronavirus: 87,5 Prozent zweifach Immunisierte, diese Zahl und der damit verbundene Spitzenplatz unter den Ländern hat auch bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Es mache eben doch einen Unterschied, ob die Linke oder wie im Bund die FDP mitregiert, ist sich die Landesspitze einig. Nun peilt sie die Bürgerschaftswahl 2023 an, will Teil der Koalition bleiben – wer hätte das noch vor ein paar Jahren gedacht? »Am Anfang wurden wir belächelt oder als vorübergehende Episode betrachtet«, sagt Kristina Vogt, »wir mussten uns in die neuen Rollen einfinden. Es blieb nicht viel Zeit dafür. Aber wir haben das alle gemeinsam verdammt gut hinbekommen.«
In Gesprächen betonen viele Genoss*innen die eigene Geschlossenheit im Gegensatz zur Bundespartei. Die Flügellogik, die anderswo jede inhaltliche Debatte lähmt, sei in Bremen nicht dominierend, heißt es immer wieder. Was nicht heißt, dass sich niemand irgendwo verortet. Spitzenleute gehören durchaus verschiedenen Parteiströmungen an: Landesvorsitzende Anna Fischer etwa, die in Bremen Landessprecherin heißt, gehört zur Bewegungslinken, einer recht neuen Formation, die stärker auf Einbindung außerparlamentarischer Kräfte setzt, radikalere Forderungen stellt und die Klimafrage stärker in den Fokus nehmen will. Der Ko-Vorsitzende Christoph Spehr gehörte einst – wie Ex-Parteichefin Katja Kipping – zu den Gesichtern der Emanzipatorischen Linken, einer eher reformorientierten Strömung. Dennoch sagt auch Fischer, dass Strömungen in Bremen generell keine große Rolle spielen: »Das ist einer der Gründe neben der engen und konstruktiven Zusammenarbeit von Bürgerschaftsfraktion und Landesverband, warum es bei uns nicht so oft knallt wie in der Bundespartei.«
Beim Parteitag in Bremen ist das Miteinander zu spüren: Die Mehrheit stützt die Regierungsarbeit und die damit verbundenen Kompromisse. Die Rolle der Fundamentalopposition nehmen wenige, eher ältere Genoss*innen in den hinteren Reihen ein. Sie kritisieren den Leitantrag des Landesvorstands als »Abfeierei« und sind in einer späteren Debatte über den Krieg in der Ukraine darauf bedacht, die Sicherheitsinteressen Russlands zu betonen. Ganz anders der Vorsitzende Spehr, der in einer Rede die linke Grundannahme »Waffenlieferungen verlängern nur den Krieg« infrage stellt: Wer eine schnelle Niederlage der Ukraine in Kauf nehme, betreibe letztlich das Geschäft des Angreifers, findet Spehr. Anna Fischer sagt, die Auseinandersetzungen um die linke Außenpolitik seien in Bremen ähnlich wie im Bund. Aber offenbar hat man einen Weg gefunden, trotz der Differenzen einigermaßen pfleglich miteinander umzugehen.
Längst nicht alle im Saal mögen ihrem Landesvorsitzenden und seinem Ruf nach Waffenlieferungen folgen, dennoch sprechen sich viele Delegierte dafür aus, außenpolitische Grundsätze der Partei zu überprüfen. Maßgeblich von der Bremer Landesspitze mitgestaltet wurde auch ein aktuelles Papier zur Außenpolitik, das auf Erneuerung abzielt. Darin heißt es: »In einer Welt, die täglich komplizierter wird, kommt man mit einfachen Antworten und Glaubenssätzen nicht durch. Das sehen eigentlich alle, nur wir scheinen es nicht zu sehen. Statt Widersprüche als Chance zu sehen, Bewegung zu schaffen und die Verhältnisse zu ändern, fürchten wir uns vor Widersprüchen. Das kann für eine linke Partei nicht gutgehen.«
»Wir bemühen uns um Geschlossenheit und einen solidarischen Umgang«, sagt Christoph Spehr. Regelmäßig stimmen sich Fraktion, Landesvorstand und Senator*innen ab – auch in Punkten, in denen sie sich nicht einig seien. »Ich glaube, darin hapert ganz viel auf der Bundesebene.« In der Tat: In der Bundespartei dominiert Vielstimmigkeit, manchmal bekommt man auf eine Frage drei verschiedene Antworten. Als Susanne Hennig-Wellsow noch an der Parteispitze stand, verschickte sie einmal eine Pressemitteilung, in der sie vor kommenden Corona-Wellen warnte und auf Vorsicht und eine gute Vorbereitung drängte. Wenige Stunden später forderte Fraktionschef Dietmar Bartsch hingegen in einer Pressekonferenz, man müsse »raus aus dem Lauterbach-Modus«. Der Gesundheitsminister ist in der Öffentlichkeit als Mahner bekannt. Immer mehr Menschen ist daher nicht klar, wofür die Linke eigentlich steht. Welches Programm sie bekommen, wenn sie die Partei wählen.
Unterstützer*innen von Sahra Wagenknecht meinen, die Partei sei in der Krise, weil sie sich zu sehr auf hippe großstädtische Milieus orientiere und die einfachen Menschen vergessen habe. Die Wahlergebnisse in Bremen scheinen diese Erzählung zunächst zu bestätigten: Besonders in den relativ zentralen Quartieren Ostertor und Steintor war die Partei mit 25 bzw. 27 Prozent bei der Bürgerschaftswahl 2019 erfolgreich. Dort wohnen viele Studierende, die Dichte an kulturellen Angeboten ist hoch, es gibt viele Restaurants und Kneipen. Derweil kommt die Linke in ländlicher geprägten Randbezirken zum Teil nicht einmal über die Fünf-Prozent-Hürde. Kein Wunder, eine Partei, die sich auf linke Bewegungen orientiert, kommt in linken Szenevierteln und jungen studentischen Milieus gut an: Im Foyer der Universität im Norden der Stadt hängen zahlreiche Banner, auf denen wahlweise zur Revolution, zur Verteidigung von Freiräumen oder zum Widerstand gegen Rechtsextreme aufgerufen wird.
Doch: Funktioniert ein solches Profil auch in der Breite? Mit Milieus, die der Linken ferner seien, und Wohnviertel abseits der Innenstadt tue man sich schwerer, räumt Christoph Spehr ein. In der Wohnsiedlung Neue Vahr, die einst durch Sven Regeners Roman »Neue Vahr Süd« überregionale Bekanntheit erlangte, hängen auch Banner, allerdings nicht für die Revolution – geworben wird dort für kostengünstige Schüler*innen-Nachhilfe. Der Mittelpunkt des Viertels ist ein Einkaufszentrum, dort treffen sich die Bewohner*innen, um günstige Kleidung zu kaufen oder ein Eis zu essen. Etwas unscheinbar am Rand des Platzes weist eine Tür ins Bürgerzentrum. Im Eingangsbereich: kleine Kärtchen, die Kinder für andere Kinder geschrieben und mit guten Wünschen versehen haben. Zum Beispiel wünschen sie sich »inneren Sonnenschein«. »Wir betreiben einen offenen Kinder- und Jugendtreff und machen viel Integrationsarbeit«, sagt Geschäftsführer Martin Ploghöft. Die Vahr schätzt er als benachteiligt ein, wenngleich er sie nicht ganz unten auf der Skala verortet. Aber auch das Bürgerzentrum arbeitet mit Kindern zusammen, die es nicht so leicht haben: »Im Unterschied zu bürgerlichen Vierteln haben viele Kinder weniger Rückhalt aus ihren Familien. Da müsste die Gesellschaft noch mehr eingreifen.« Die bisherige Bilanz der Bremer Linken schätzt Ploghöft als positiv ein, die Senatorinnen Vogt und Bernhard hätten gute Arbeit gemacht, auch weil sie »Verwaltungserfahrung mitbringen«.
Für Bremen gilt, dass die Linke in jenen Randbezirken, die als »soziale Brennpunkte« mit hoher Armutsquote gelten, noch vergleichsweise gut dasteht: Im Plattenbauviertel Tenever holte sie 12,5 Prozent. In den 1970ern gebaut, war Tenever einst das »Problemviertel« der Hansestadt, so wie Marxloh in Duisburg oder Nord-Holland in Kassel. In den Häuserschluchten ließen sich kaum Auswärtige, geschweige denn Tourist*innen blicken. Viel wurde in den vergangenen Jahren in Tenever angepackt, zum positiven verändert. Mittlerweile gilt der einstige Brennpunkt nicht wenigen als Vorzeigeprojekt.
Doch die Veränderungen können nicht darüber hinwegtäuschen: Bremen ist nach wie vor eine Stadt der sozialen Gegensätze. »Der Abstand zwischen benachteiligten Quartieren auf der einen Seite und gut situierten Quartieren auf der anderen Seite hat weiter zugenommen«, stellte René Böhme vom Institut für Arbeit und Wirtschaft der Universität Bremen vor zwei Jahren fest. Und das »trotz aller Anstrengungen des Senats«. Während im Ortsteil Borgfeld lediglich ein Prozent der Kinder unter 15 Jahren in einem Haushalt lebt, der Sozialleistungen bezieht, sind es in anderen Teilen der Hansestadt wie der Überseestadt, Ohlenhof oder Gröpelingen über 50 Prozent. In Gröpelingen und anderen Randbezirken hat die Linke im vergangenen Jahr Stadtteilfeste veranstaltet. Mit Hüpfburg, Bühne, Popcorn und Getränken für umsonst. Sowas gibt es dort nicht alle Tage. »Die Leute sind richtig hingeströmt«, erzählt Landeschefin Anna Fischer. Politik stand nicht im Vordergrund. Die Leute interessieren sich weniger für gute Reden, als dafür, wer die Hüpfburg hinstellt. Und für die Frage: »Kommt ihr nächstes Jahr wieder?«
Mit der richtigen Ansprache kann Politik auch in abgehängte Gebiete vordringen – mit praktischen Lösungen wie einer Impfkampagne vor Ort, Aufklärung und guten Kontakten. Diese will Spehr in Zukunft weiter ausbauen: »Wir reden viel über die Wichtigkeit außerparlamentarischer Verankerung und denken dabei oft zu kurz. In diesen Stadtteilen sind das der Sportverein oder das Stadtteil-Management.« Gute Facharbeit, weniger Strömungskampf und eine erlebbare Nähe zu den Menschen – das könnten Antworten auf die Krise der Linken sein.
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