- Berlin
- Lehrkräftemangel
Klassenkampf in Berlin
Bildungsgewerkschaft demonstriert für kleinere Lerngruppen an den Schulen
Immer wieder hatten Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey und Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (beide SPD) zuletzt betont, dass angesichts der hohen Zahl aus der Ukraine geflüchteter Kinder und Jugendlicher in den Schulen nun »die Zeit des Zusammenrückens« gekommen sei. Als wäre das etwas Neues. Seit Jahren ächzen viele Schulen in der Hauptstadt unter einer chronischen Überbelegung der Klassen. Ein Unding, kritisiert mindestens ebenso lange die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Am Mittwoch hatte sie daher, wie schon ein paar Mal zuvor, zum ganztägigen Warnstreik an den Schulen getrommelt.
Die GEW fordert bereits seit über einem Jahr einen sogenannten Tarifvertrag Gesundheitsschutz, in dem das zahlenmäßige Verhältnis von Schülern zu Lehrkräften und damit die Klassengröße verbindlich geregelt wird. So soll etwa die Maximalbelegung in Grundschulklassen auf 19 Kinder gesenkt werden. Aktuell gilt für Grundschulen die Richtschnur von 24 Schülern pro Klasse.
Und selbst davon kann man etwa an der Peter-Petersen-Schule in Neukölln nur träumen. In der Grundschule nahe des Körnerparks säßen zum Teil bis zu 29 Schülerinnen und Schüler in einer Klasse, berichtet Konrektorin Natscha Ebler. Dass sich daran kurz- oder mittelfristig etwas ändern wird, hält sie zwar für unrealistisch. »Trotzdem ist es wichtig, dass wir dafür kämpfen, weil wir spätestens im Zuge des pandemiebedingten Wechselunterrichts gemerkt haben, wie wichtig kleine Klassen für eine angenehmere Lernatmosphäre sind«, sagt Ebler zu »nd«. Ihre Kollegin Esther Scharf sagt, dass die Schulgemeinschaft keineswegs immer einer Meinung sei – mit einer Ausnahme, nämlich »was die Forderung nach kleineren Klassen angeht«.
Zusammen mit rund 2500 weiteren Lehrkräften, Schulpsychologen und Sozialarbeitern gingen Ebler und Scharf am Mittwoch dann auch in Mitte auf die Straße, um auf die Misere im Klassenzimmer aufmerksam zu machen. Auch hierzu hatte die GEW aufgerufen. »Kleinere Klassen bedeuten weniger Belastung für die Pädagoginnen und Pädagogen und zugleich bessere Lernbedingungen auch für die Schülerinnen und Schüler«, sagt Berlins GEW-Chef Tom Erdmann zu »nd«. Auch ihm sei durchaus bewusst, dass das Ziel nicht von heute auf morgen umzusetzen sei. Aber der Abschluss eines Tarifvertrags Gesundheitsschutz wäre vor allem »der Einstieg in einen Stufenplan«.
Dass die Gewerkschaft mit ihren Forderungen nach einer tariflichen Regelung der Klassenbelegung bislang auf Granit gebissen habe, liege an der Senatsfinanzverwaltung, glaubt Udo Mertens, im Berliner GEW-Vorstand für Beamten-, Angestellten- und Tarifpolitik zuständig. Wie der ehemalige Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) verweigere sich auch dessen Nachfolger Daniel Wesener (Grüne) jeglicher Verhandlungen über einen Tarifvertrag. »Wir hoffen, dass Herr Wesener seine Haltung überdenkt und sich zu Verhandlungen bereit erklärt.« Denn, so Mertens zu »nd«: »Wir sind uns sicher, dass wir eine tariffähige Forderung aufstellen.«
Das sei stark zu bezweifeln, heißt es derweil aus der Finanzverwaltung auf Nachfrage von »nd«. Finanzsenator Wesener hatte der Gewerkschaft bereits am Montag schriftlich mitgeteilt, dass der Senat in dieser Hinsicht nichts unternehmen können werde. In dem »nd« vorliegenden Brief an den GEW-Vorstand weist Wesener darauf hin, dass das Land Berlin »Tarifverhandlungen nur mit Zustimmung der Mitgliederversammlung der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) aufnehmen« dürfe. Und ebenjene Mitgliederversammlung vertrete »die Auffassung, dass Mindestbesetzungsregelungen einer tarifvertraglichen Regelung nicht zugänglich sind und lehnt aus diesem Grund Tarifverhandlungen zu dem Thema ab«. Weitere Interventionen des Landes scheinen zudem recht aussichtslos: Berlin hat in der TdL kein Stimmrecht.
Auch in der für Personalbemessungen an den Schulen zuständigen Senatsbildungsverwaltung sieht man faktisch keinen Handlungsspielraum, allerdings aus anderen Gründen. »Die GEW-Forderung kann man auf gut 6000 zusätzliche Vollzeitstellen beziffern«, teilt Martin Klesmann, Sprecher von Bildungssenatorin Busse, kurz und knapp zur Umsetzbarkeit des Rufs nach verkleinerten Klassengrößen mit. Hier liegt – unbestreitbar – auch das eigentliche Problem: Schließlich stehen aktuell überhaupt keine Lehrkräfte in den Startlöchern, die den mit verkleinerten Klassen bei gleichzeitig steigenden Schülerzahlen eingehenden Mehrbedarf auch nur ansatzweise decken könnten. Allein für das kommende Schuljahr geht die Bildungsverwaltung davon aus, dass nach den Sommerferien 920 Vollzeitstellen an den Schulen unbesetzt sein werden.
GEW-Chef Tom Erdmann ficht das nicht an: »Wir lassen uns hier kein schlechtes Gewissen einreden, weil Lehrkräfte fehlen. Dieser Lehrkräftemangel ist immerhin hausgemacht.« Der Gewerkschafter bleibt dabei: Kleinere Klassen sorgten für attraktivere Arbeitsbedingungen, »dann löst sich auch das Fachkräfteproblem«.
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