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Goldgräberstimmung in der Rüstungsindustrie
100-Milliarden-Paket für Bundeswehr sowie Aufrüstungspläne von Nato und EU wecken Begehrlichkeiten
So ein Unterseeboot ist eine komplizierte Sache. »Da finden 380 000 systemrelevante Teile zusammen, damit so ein U-Boot funktioniert«, begeisterte sich dieser Tage in einem Zeitungsinterview Oliver Burkhard, Chef der Kieler Rüstungssparte von Thyssen-Krupp. Zum Vergleich: Das Großraumflugzeug Airbus A380 besteht lediglich aus 35 000 Teilen. Thyssen-Krupp Marine Systems (TKMS) verspüren durch das Rüstungsprogramm der Bundesregierung noch mehr Rückenwind. Kaum war klar, dass ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr eingerichtet wird, kaufte TKMS die MV Werft in Wismar. Dort könnten ab 2024 U-Boote gebaut werden.
Darauf baut auch Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD). Auf einem Empfang des Marine-Inspekteurs lobte sie jüngst, bei der Abwehr möglicher Aggressionen spiele die kleinste Teilstreitkraft der Bundeswehr eine entscheidende Rolle, denn sie agiere »schnell, flexibel und abstandsfähig«. Mit dem größten »Ertüchtigungspaket« in der Geschichte der Bundeswehr würden nun die »Fähigkeitslücken« dauerhaft geschlossen. Für die Flotte bedeute das die Beschaffung neuer U-Boote, Korvetten und Seefernaufklärer. Dafür stehen nun zusätzlich 8,8 Milliarden Euro bereit. Um die Flotte in Schuss zu halten, übernimmt der Bund nun auch die MV Werft in Warnemünde.
Ein weiterer Schwerpunkt des Sondervermögens liegt auf »Führungsfähigkeit« und Digitalisierung der Bundeswehr. Es geht um moderne Satelliten, leistungsfähige Rechenzentren und sichere Kommunikation. In diesen Komplex sollen 20,8 Milliarden Euro fließen. Davon dürften besonders die Militärsparten von Siemens und des deutsch-französischen Airbus-Konzerns profitieren, aber auch OHB. Das Bremer Raumfahrtunternehmen entwickelte Galileo-Navigationssatelliten und das Aufklärungssystem Sarah.
Mit 33,4 Milliarden Euro werden Beschaffungen für die Luftwaffe der größte Ausgabeposten der nächsten Jahre sein. Ein Großteil wird für den Kauf atomwaffenfähiger F-35-Jets in den Vereinigten Staaten verwendet. Mit dem »Rest« sollen elektronisch aufgerüstete Eurofighter erworben werden. Das Kampfflugzeug wird von Airbus und deutschen Mittelständlern wie Hensoldt und MTU entwickelt. Dieses Beispiel zeigt: Aufrüstung geht nicht von heute auf morgen. So wird laut Airbus »eine limitierte Anfangsbefähigung« auf Basis vorhandener Eurofighter für 2026 angestrebt, 2029 soll der nächste Schritt folgen. Wann die »fliegende Plattform« für elektronische Kriegsführung einsatzfähig ist, steht, durchaus branchenüblich, in den Sternen. Auch die Auslieferung des Transportflugzeugs A400M und der Fregatte 125 hatte sich um Jahre verzögert.
Neben technischen Gründen verhindern fehlende Produktionskapazitäten oft eine zackige Lieferung. So ist Marineschiffbauer TKMS bis weit in die 2030er Jahre ausgebucht, mit weltweiten Altaufträgen im Gesamtwert von rund 15 Milliarden Euro. Mit dem Kauf der Werft in Wismar erweitern sich die Kapazitäten. »Ab 2024 kann, was jetzt bestellt wird, in zehn Jahren ausgeliefert werden«, sagt TKMS-Chef Burkhard.
Der Verteidigungsbereich »Land« erhält laut Wirtschaftsplan 16,6 Milliarden Euro. Hier dürften Lieferungen schneller erfolgen. Branchenführer Rheinmetall ist »hervorragend auf die steigende Nachfrage vorbereitet«. Die Produktionsstätten in Deutschland könnten schnell vom Einschicht- auf einen Mehrschichtbetrieb umgestellt werden, sagte Chef Armin Papperger auf der Hauptversammlung. Weitere Fertigungsstätten in mehreren Ländern seien in Planung oder schon fertig. Rheinmetalls Produktpalette reicht von Schützenpanzern bis zum schlüsselfertigen Gefechtsübungszentrum. Bis zur Serienreife des »Panther« dürfte es indes noch dauern. Der Panzer erregte im Juni auf der weltgrößten Rüstungsmesse bei Paris Aufsehen. Einen neuen »Superpanzer« entwickelt auch Konkurrent Krauss-Maffei Wegmann zusammen mit Nexter aus Frankreich.
Die neue, von Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen zusammengestellte »ExitArms«-Datenbank erfasst 41 in Deutschland ansässige Waffenexporteure. Doch trotz des jüngsten Nachfragebooms bleibt die volkswirtschaftliche Relevanz der hiesigen Rüstungsindustrie überschaubar. Im Jahr 2020 erwirtschafteten laut Institut der deutschen Wirtschaft 55 000 Beschäftigte einen Umsatz von 11,2 Milliarden Euro – weniger als die Getränkehersteller und nur die Hälfte des Umsatzes der Glasindustrie. Die wirtschaftliche Bedeutung liegt eher in der Vorreiterrolle bei neuen Technologien.
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