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Drogenprozess gegen Rechtsradikale in Erfurt begonnen
Wäre das hier ein Prozess wegen eines Neonazi-Überfalls auf friedlich Feiernde, würden die Angeklagten wahrscheinlich feixen, während sie darauf warten, dass die Richter den Saal betreten. Während der vielen Verhandlungstage der zwei Ballstädt-Prozesse ließ sich dergleichen immer wieder beobachten. Dabei ging es um einen brutalen Angriff zahlreicher Rechtsradikaler auf eine Kirmesgesellschaft im Landkreis Gotha 2014.
Manch einer, der sich in diesen beiden Prozessen verantworten musste, ist nun wieder zwangsweise hier, am Mittwoch in einem großen Raum auf der Messe in Erfurt. Doch beim Auftakt zu diesem Prozess des Landgerichts, bei dem es um Drogenhandel geht, wirken die Beschuldigten fast etwas eingeschüchtert. Stumm sitzt etwa der Mann da, der schon beim Überfall von Ballstädt als Drahtzieher galt und auch in diesem Prozess als Führungsfigur angesehen wird: ein hochgewachsener Mann mit kleinem, langen Bärtchen.
Dass sich die insgesamt neun Angeklagten geradezu devot geben, hat sicher viel damit zu tun, dass ihnen allen nun viel längere Haftstrafen drohen als den Angeklagten in den Ballstädt-Prozessen. Die Staatsanwaltschaft Gera wirft den sechs Männern und drei Frauen vor allem bandenmäßigen Drogenhandel vor. Zudem werden einem Teil der Angeklagten Erpressung, Geldwäsche, Zwangsprostitution vorgeworfen. Am Mittwoch ließen die Beschuldigten ihre Verteidiger erklären, dass sie sich während des Verfahrens nicht zu den Vorwürfen äußern wollen.
Dass die Staatsanwaltschaft Gera als Anklagebehörde fungiert, zeigt die Bedeutung des Prozesses. Sie ist in Thüringen federführend für die Verfolgung der organisierten Kriminalität zuständig. Alles in allem sollen die Angeklagten im Alter von 25 bis 57 Jahren 2020 und 2021 in Dutzenden Fällen in wechselnder Beteiligung bandenmäßig unter anderem Marihuana, Kokain und Crystal Meth im Wert von etwa 800 000 Euro verkauft haben. Im Februar 2021 waren Polizei und Justiz mit koordinierten Razzien gegen die mutmaßlich Beteiligten vorgegangen. Bis auf eine Frau sitzen alle Angeklagten seit damals in Untersuchungshaft.
Eine Staatsanwältin und ein Staatsanwalt verlasen über drei Stunden hinweg die Anklageschrift. Sie stellten zu Beginn auch klar, mit wem es das Gericht hier zu tun hat. Es handele sich bei sämtlichen Angeklagten um Mitglieder der extrem rechten »Bruderschaft Thüringen«, die sich nach Angaben der Staatsanwältin in die Gruppen »Turonen« und »Garde 20« unterteilt. »Die Mitglieder und Anhänger der Vereinigung eint ihre völkisch-nationalistische und von Rassismus geprägte Gesinnung, die bei den Gruppenmitgliedern unterschiedlich stark ausgeprägt ist, aber von allen als Grundlage der gemeinsamen Betätigung anerkannt wird und identitätsstiftend ist«, stellte die Staatsanwältin fest. Die Ankläger widmeten sich ausführlich der Rolle eines Anwaltes, der in der Vergangenheit immer wieder Neonazis vertreten hatte. Er soll sich der Geldwäsche schuldig gemacht haben, indem er Bandenmitgliedern über Scheinarbeitsverträge und ein von ihm kontrolliertes Firmengeflecht Drogengelder ausgezahlt habe. Eine Beschuldigte lagerte laut Anklage in ihrer Wohnung sowie in den Wohnungen von Mutter und Großmutter Betäubungsmittel und teilte sie von dort aus zu.
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