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Zyklus-Apps: Vom Instrument der Selbstbestimmung zum Mittel der Strafverfolgung
Hohes Missbrauchspotenzial: Feministinnen rufen nach dem Backlash beim US-Abtreibungsrecht Frauen dazu auf, Zyklus-Apps zu löschen
Wer persönliche Gesundheitsdaten einer App anvertraut, ist darauf angewiesen, dass diese nur zum vereinbarten Zweck genutzt werden. Einmal erhoben, ist jedoch auch die Grundlage für Missbrauch gelegt. Anlässlich der Verschärfung der Abtreibungsgesetze in den USA gab es Löschaufrufe für Apps, die den Menstruations-Zyklus erfassen sollen. Datenschützer*innen warnen auch allgemein davor, immer mehr Aspekte der körperlichen Gesundheit Apps anzuvertrauen, deren Sicherheitskonzepte oft löcherig sind.
Dass Zyklus-Apps beliebt sind, teils über 100 Millionen Nutzer*innen vorweisen können, liegt an ihren zwei Einsatzoptionen: Die Erhebung von Informationen über den Verlauf des weiblichen Zyklus ermöglicht es, etwa den Eisprung zuverlässig vorherzusagen. Das hilft entweder bei der Erfüllung eines Kinderwunschs oder aber bei der Verhütung. Der gesundheitliche Nutzen liegt auf der Hand, wenn durch die genaue und leichte Dokumentation auf hormonelle Verhütung verzichtet werden kann. Zum Problem werden die Apps indes, wenn duch missbräuchliche Verwendung der Daten eben auch ersichtlich ist, dass ein Schwangerschaftsabbruch stattgefunden haben könnte. Staaten, in denen der Eingriff verboten ist, könnten diese Daten entsprechend zur Bespitzelung von Frauen nutzen und dadurch zumindest Indizien für eine Abtreibung finden. Steht ein Vorwurf erst einmal im Raum, wären Betroffene plötzlich in einem Rechtfertigungsnotstand.
Zyklus- wie auch andere App-Daten könnten sogar vor Gericht zum Problem werden. »Es gibt da natürlich diverse Möglichkeiten«, warnt die Netzphilosophin und IT-Beraterin für Betroffene von digitaler Gewalt, Leena Simon. Risiken bestehen zum Beispiel, wenn ein Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz oder eine Fahrt zur Abtreibungsklinik in einem Chat erwähnt wird oder eine Information über eine unsichere digitale Schnittstelle vor der Behandlung an den Arzt übermittelt wird. »Es wundert mich, dass so viele Frauen in Zyklus-Apps gar kein Problem sehen. Deshalb begrüße ich, dass durch die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen hier etwas kritischer nachgedacht wird«, sagte Simon, die auch im Verein Digitalcourage engagiert ist, gegenüber »nd«.
In Apps sieht Simon aber nicht die Hauptgefahr, sondern in den Anzeigen, die in den USA möglich sind. »Auch ein Menstruationskalender auf Papier hat hier das selbe Gefahrenpotential«, macht Simon klar. »Da kann auch der Browserverlauf oder ein Bewegungsprofil sehr aussagekräftig sein.«
Der Anreiz, auf Gesundheitsdaten wenig Acht zu geben, kam auch schon aus ministeriellen Stellen. Der ehemalige deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) war als Verfechter von App-Lösungen im Gesundheitswesen bekannt und publizierte dazu ein Buch.
»Oft wird geklagt, der Datenschutz stehe medizinischer Forschung im Weg«, sagt Simon und wünscht sich ein Umdenken: »Je besser und begründeter unser Vertrauen in den Schutz unserer Gesundheitsdaten ist, desto höher wird die Bereitschaft sein, diese für Forschung oder bessere medizinische Betreuung zur Verfügung zu stellen. Aber bis dahin ist es leider noch ein weiter Weg.« Datenschutz stand in Spahns Wirkungskreis jedoch nur auf öffentlichen Druck mit auf der Tagesordnung, als die Corona-Warn-App dringend benötigt wurde. Erste Konzepte fielen aufgrund fragwürdiger Entwickler und noch fragwürdigerer Unternehmen durch. Am Ende einer öffentlich ausgetragenen Debatte stand dann eine datenschutzkonforme App.
Dass datensparsame Konzepte Anklang finden, zeigen die Zyklus-Apps »Drip« und »Periodical«, die jedoch nur für Android-Systeme verfügbar sind. »Beide Apps sind freie Software und versprechen, dass die Daten das Gerät nicht verlassen. Außerdem haben sie Export- und Importfunktionen«, betont Leena Simon. Ein wirksamer Schutz vor Zweckentfremdung von Gesundheitsdaten kann letztlich jedoch nur durch den Gesetzgeber geregelt werden.
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