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Sparprogramm für die fliegenden Zwillinge
Die US-Raumfahrtagentur Nasa will bei den Tiefraumsonden »Voyager« 1 und 2 weitere Instrumente abschalten
Die Idee stammte noch aus dem »goldenen« Zeitalter der Raumfahrt, als im Systemwettstreit Sowjetunion – USA nichts zu teuer war, um die Gegenseite auszustechen. 1965 stellte ein junger Wissenschaftler, der in Teilzeit für das Jet Propulsion Laboratory (JPL) der US-Raumfahrtagentur Nasa eine effiziente Flugbahn für eine Sonde zu den großen Gasplaneten finden sollte, fest, dass Mitte der 1970er Jahre eine ziemlich einmalige Gelegenheit kommen würde: Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun sollten dann wie die Perlen einer Kette genau passende Positionen haben für einen Vorbeiflug. Mit Hilfe der Schwerkraft der Planeten könnte der Flug so beschleunigt werden, dass die Sonden von der Erde bis zum Neptun statt 30 nur 12 Jahre brauchten. Eine Konstellation, die so nur alle 176 Jahre auftritt.
Doch als dann die beiden Tiefraumsonden »Voyager 1« und »Voyager 2« in den 1970er Jahren für diesen Flug gebaut wurden, ging es bereits sparsamer zu. Das vom US-Kongress beschlossene Nasa-Budget reichte nun nur noch für zwei Sonden zu Jupiter und Saturn. Die Mission war auf eine Dauer von vier Jahren geplant. Doch die am 5. September bzw. am 20. August 1977 gestarteten Sonden übertrafen nicht nur die geplante Lebensdauer bei Weitem. Ein Grund ist sicher, dass die Nasa-Ingenieure bei deren Bau die Spielräume bei der Auswahl der Bauteile so nutzten, dass sie möglichst langlebig sein würden.
»Voyager 2« schaffte es tatsächlich, wie ursprünglich geplant, alle vier Riesenplaneten anzufliegen, und lieferte Messdaten und Fotos der äußeren Planeten unseres Sonnensystems, die viele bis dahin vorherrschende Theorien über den Haufen warfen. So zeigten sich die Monde von Jupiter und Saturn überaus vielgestaltig. Die Sonden untersuchten insgesamt rund 50 Monde dieser vier Planeten, von denen sie 23 erst entdeckten. Es zeigte sich, dass der Jupitermond Io mehr aktiven Vulkanismus hat als die Erde und der Mond Europa eine dicke Eiskruste. »Voyager 2« entdeckte neben dem bis dahin unbekannten Ringsystem des Jupiter auch je eines bei Neptun und Uranus. »Voyager 1« hingegen musste tatsächlich nach dem Saturn und dessen Mond Titan die weiteren Planeten links liegen lassen. Mit zusätzlichem Schwung durch die Massenanziehung des Saturn wurde die Sonde aus der Bahnebene der Planeten hinauskatapultiert und fliegt bereits seit 2012 im interstellaren Raum. Dort ist seit 2019 auch »Voyager 2« unterwegs, nachdem sich die Sonde noch von Uranus und Neptun Schwung geholt hatte.
Diese Methode des sogenannten Swing-by – bei der die Gravitation von Planeten als eine Art Schleuder fungiert – wurde bereits in den 1920er und 1930er Jahren von den sowjetischen Ingenieuren Juri Kondratjuk und Friedrich Zander ins Gespräch gebracht. Doch erst der JPL-Mitarbeiter Michael Minovitch schlug sie 1961 als eine Methode vor, die Geschwindigkeit von Raumschiffen so weit zu erhöhen, dass sie die äußeren Planeten erreichen oder gar das Sonnensystem verlassen könnten. Praktische Anwendung fand das dann erstmals bei »Pioneer 10«, die 1972 zum Jupiter und dann in den interstellaren Raum flog. »Voyager 2« nutzte gleich den Schwung von vier Planeten. Spätere Raumfahrtmissionen flogen zum Teil deutlich komplexere Routen, im Falle der Merkursonde »BepiColombo« sind es insgesamt neun Planetenpassagen, allerdings zum Bremsen statt zum Beschleunigen.
Anders als die meisten heutigen Raumsonden wurden die »Voyagers« nicht durch Solarzellen mit Energie versorgt, sondern mit Radionuklidbatterien. Die wandeln mit Thermoelementen die Zerfallswärme radioaktiven Plutoniums in elektrischen Strom. Der Vorteil: Sie funktionieren auch in großer Entfernung zur Sonne noch. Der Nachteil: Ihre Kapazität nimmt in dem Maße ab, wie das Plutonium zerfällt und die Thermoelemente altern – ein jährlicher Schwund um etwa 1,4 Prozent. Um Strom zu sparen, wurden in den letzten drei Jahren bereits Heizungen und nicht mehr benötigte Instrumente abgeschaltet. Derzeit arbeiten auf »Voyager 1« noch vier wissenschaftliche Instrumente, auf »Voyager 2« sind es fünf. Und nun werden weitere aus dem Betrieb genommen, damit die restlichen noch bis 2030 messen und ihre Daten zur Erde senden können. Das jedenfalls berichtet das US-Wissenschaftsmagazin »Scientific American« unter Berufung auf Nasa-Wissenschaftler.
Möglicherweise ist die vergleichsweise altertümliche Technik der beiden Sonden ihr Erfolgsgeheimnis. Für die Bildübertragung etwa standen damals nur Videoaufnahmeröhren zur Verfügung. Die bieten zwar bei Weitem nicht die Bildauflösung heutiger Halbleitersensoren in Kameras und Teleskopen, sind aber vergleichsweise unempfindlich gegen Teilchenstrahlung. Es gab noch keine Mikroprozessoren, und damit praktisch auch keine komplexen, fehleranfälligen Computerprogramme. Die 50 Jahre alte Technik hat naturgemäß auch entscheidende Nachteile. Mit der geringen Sendeleistung konnten aus der großen Entfernung zur Erde die Bild- und Messdaten nur mit extrem geringen Datenraten übertragen werden. Die Daten tröpfelten mit einer Rate von 0,016 bis 1,4 Kilobit pro Sekunde. Selbst die ersten Telefonmodems liefen vielfach schneller.
»Voyager 1« ist inzwischen das am weitesten von der Erde entfernte Objekt, das Menschen gebaut haben. Derzeit ist sie mehr als 19 Milliarden Kilometer von unserem Planeten entfernt. Ihr Zwilling nimmt den zweiten Platz ein. Auch die einige Jahre zuvor gestarteten Raumsonden »Pioneer 10« und »Pioneer 11« sind inzwischen ähnlich weit entfernt unterwegs. Letztere haben allerdings nur noch sporadisch Kontakt zur Erde.
Wenn die »Voyager«-Sonden ihre Energie aufgebraucht haben oder die Nasa nicht mehr die Mittel für die regelmäßige Kontaktaufnahme haben sollte, bleibt ihnen noch eine Funktion: So wie die beiden »Pioneer«-Sonden tragen sie nämlich eine Botschaft an außerirdische Intelligenzen mit sich durch den Weltraum. Waren das bei »Pioneer« noch schlichte Bildtafeln, so haben die »Voyager«-Zwillinge vergoldete Schallplatten dabei sowie einen Plattenspieler – mit Gebrauchsanleitung. Doch der erhoffte Kontakt dürfte noch eine Weile auf sich warten lassen. Erst in knapp 16 000 Jahren passiert »Voyager 1« den nächsten Stern, Proxima Centauri. »Voyager 2« braucht sogar noch 3600 Jahre länger.
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