»Wir dürfen mit den Taliban nicht verhandeln«

Julian Pahlke (Bündnis 90/Grüne) spricht über die Situation der Flüchtlinge in Pakistan

  • Cyrus Salimi-Asl
  • Lesedauer: 7 Min.

Sie waren im Juni für ein paar Tage in Pakistan, um sich über die Situation der afghanischen Geflüchteten zu informieren. Was war denn der Anlass der Reise?

Zuallererst bin ich vor dem Hintergrund da hingefahren, dass die Situation der Menschen in Afghanistan mir keine Ruhe lässt und dies nicht einfach untergehen darf. Der Krieg gegen die Ukraine darf ja nicht darüber hinwegtäuschen, dass weiterhin Menschen in Afghanistan sitzen, die unseren Schutz brauchen, weil sie sich für ein demokratisches Land eingesetzt, sich selber in große Gefahr gebracht oder mit den deutschen Kräften vor Ort zusammengearbeitet haben. Zum Zweiten habe ich selber einen sehr praktischen Hintergrund, mit dem ich auch für den Bundestag angetreten bin: die Hilfe für Menschen auf der Flucht. Ich will mir die Dinge nicht nur am Schreibtisch in Berichten durchlesen, für mich ist es ganz wichtig, auch vor Ort zu sein, mit den Menschen und Organisationen selbst zu sprechen. Am Ende bringt man Dinge in Erfahrung, die in keinem Bericht stehen, aber wichtig sind, um unsere Ziele zu erreichen: weiterhin viele Menschen aus dem Land rauszuholen. In Pakistan leben etwa drei Millionen Menschen aus Afghanistan; es ist für die Evakuierungen gerade das wichtigste Land, um Menschen aus Afghanistan rauszubringen und nach Deutschland zu fliegen. Das Land hat derzeit für uns eine Priorität.

Interview

Julian Pahlke ist seit Oktober 2021 Mitglied des Deutschen Bundestages. In der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist er für europäische und internationale Flüchtlingspolitik zuständig. Darüber hinaus ist er Teil der Deutschen Delegation in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, dort ist er Mitglied im Migrationsausschuss. Seit Herbst 2016 ist er in der zivilen Seenotrettung auf dem Mittelmeer aktiv. 2017 wurde er für zwei Jahre zum ehrenamtlichen Vorstand von Jugend Rettet gewählt, wo er verantwortlich war für Interessenvertretung. Er arbeitete auch bei SOS Mediterranee Deutschland und Sea-Eye. Mit Pahlke sprach Cyrus Salimi-Asl.

Mit wem genau haben Sie gesprochen?

Unter anderem habe ich mich getroffen mit dem Chief Commissioner for the Afghan People, übersetzt also etwa Hoher Kommissar für die Afghan*innen in Pakistan, mit Organisationen, die mit dem UNHCR zusammenarbeiten und beispielsweise Registrierungen vornehmen, sich also auch praktisch um die Situation der Afghan*innen in Pakistan kümmern. Pakistan hat ja kein Asylrecht, wirtschaftlich ist das Land auf der Kippe und steht vor großen Herausforderungen, für die eigene Bevölkerung zu sorgen. Aber trotzdem sind sie gerade Heimat für drei Millionen Menschen. Das ist auch Ausdruck einer gewissen Verbundenheit für die Menschen, ich fand das sehr beeindruckend. Was mir sehr haften geblieben ist, war das Treffen mit der NGO Kabul Luftbrücke und den Menschen in dem Safe House. Da waren Kinder, die seit vielen Monaten da sitzen in einem Limbo – ohne Sicherheit, ohne Perspektive, wie es weitergeht. Sie haben auch vom Horror der Taliban erzählt, den sie ja am eigenen Leib erlebt und in der eigenen Familie erlebt haben; teilweise haben sie auch keine Eltern mehr. Gerade diese komplexen Fälle dürfen wir nicht vergessen. Das sind nicht alles Aufnahmen, die nach Schema F laufen können. Die Taliban haben tiefe Furchen geschlagen in das Land und auch in die Familien. Da muss man Wege finden, wie man diesen Menschen und insbesondere diesen vulnerablen Fällen ein Leben in Sicherheit geben kann. Genau darum ging es mir, darüber vor Ort zu sprechen.

Es gab immer Kritik an der Afghanistan-Politik der alten Bundesregierung, auch vonseiten der Grünen, insbesondere dass die Ortskräfte oder gefährdete Afghan*innen nicht rechtzeitig aus dem Land geholt wurden. Noch immer sind sehr viele gefährdete Menschen in Afghanistan, viele stecken in Pakistan fest, erhalten kein Visum. Warum sind Sie als Regierungspartei nicht in der Lage, daran etwas zu ändern?

Sie haben völlig recht, wir haben daran Kritik geübt. Aber meine Reise und auch die Reise von Annalena Baerbock war ja Ausdruck dessen, dass uns das Thema weiter umtreibt und enorm wichtig ist. Wir haben bisher 21 000 Menschen aus Afghanistan evakuiert und aufgenommen. Seit Januar 2022 waren es 12 000 Menschen, die wir aufgenommen haben. Dass gar nichts passiert, ist nicht ganz richtig. Aber natürlich war ich auch in Pakistan, um zu erfahren, wie wir das, was wir machen, beschleunigen und verbessern können. Es gibt eine riesengroße Notwendigkeit, mehr Menschen aufzunehmen – sowohl gefährdete Menschen als auch Ortskräfte. Das müssen jetzt auch die nächsten Schritte sein. Dabei stellen sich konkrete Fragen, wie die Menschen sicher das Land verlassen können, ohne in die Hände der Taliban zu fallen. Das sind am Ende ganz praktische Probleme, die man vor Ort lösen muss.

Wie ist denn die Lage bei der Deutschen Botschaft in Islamabad? Dort hatten Sie sicher Gespräche.

Die Mitarbeiter*innen an der Deutschen Botschaft sind wirklich den ganzen Tag damit beschäftigt, die Visaanträge zu bearbeiten. Das habe ich selber gesehen, als ich mit denen zusammensaß. Da werden im Moment pro Tag rund 200 bis 300 Menschen aus Afghanistan raus nach Pakistan gebracht und deren Visa bearbeitet.

Gibt es Hindernisse beim Innenministerium für die Einreise nach Deutschland?

Über den Haushaltsausschuss haben wir dem Innenministerium einen sehr klaren Auftrag gegeben: Wir brauchen jetzt das Bundesaufnahmeprogramm, und zwar bis zum 15. August. An dem Tag ist Kabul gefallen, an dem Tag muss das Bundesaufnahmeprogramm stehen; das würde die ganze Sache sicher beschleunigen, weil dann Kriterien feststehen würden, wer aufgenommen wird. Das soll auch nicht an eine konkrete Zahl gekoppelt sein. Im Koalitionsvertrag haben wir uns auf ein Bundesaufnahmeprogramm geeinigt, das sich an Syrien orientiert, also 20 000 Menschen. Das ist aber erst mal nur eine Messgröße und darf keine Limitierung sein.

Die humanitäre Lage in Afghanistan ist katastrophal. Weiterhin sind auch Gelder blockiert. Hilfe lässt sich aber kaum organisieren, ohne dass man diejenigen involviert, die de facto die Regierungsgewalt innehaben. Bis zu welchem Punkt wären denn die Grünen bereit, mit den Taliban zusammenzuarbeiten?

Ich glaube, wir dürfen mit den Taliban ganz grundsätzlich nicht verhandeln, das ist erst mal die Grundhaltung. Demgegenüber steht dieser enorme Bedarf an humanitärer Hilfe. Die Ernährungskrise der vergangenen Monate schlägt im Land ein wie eine Bombe mit Kollateralschaden. Die Hilfe kann, und das haben wir ja in den vergangenen Monaten schon gesehen, über dritte Akteure in das Land gebracht werden. Da ist vielleicht an der einen oder anderen Stelle auch mal der Goodwill der Taliban notwendig. Aber zum einen darf eben kein Geld an die Taliban fließen, es darf keine Anerkennung der Taliban geben. Und die Güter dürfen nicht in die Hände der Taliban fallen. Darüber habe ich auch mit dem World Food Program (WFP) noch mal gesprochen, die genau vor dieser Herausforderung stehen. Deutschland ist ein großer Geber beim WFP, und das WFP versucht genau das umzusetzen: die Hilfe dort ankommen zu lassen, wo sie benötigt wird – und ist damit, glaube ich, auch relativ erfolgreich. Man versucht, die Taliban bestmöglich zu umschiffen. Ehrlich gesagt, haben auch die Taliban aus Gründen des Machterhalts ein gewisses Interesse daran, dass humanitäre Hilfe im Land ankommt, weil sie selber wissen, dass sie gar nicht für die Bevölkerung sorgen können: Die Landwirtschaft liegt brach, die Wirtschaft ist am Boden. Wir müssen differenzieren: Das eine ist das politische System und das andere sind die Menschen im Land. Zu unterstützen und zu investieren in humanitäre Hilfe, vielleicht auch in kleine Programme, die das Leben vor Ort etwas besser machen: Ja, in jedem Fall. Aber nicht in das politische System der Taliban, unter gar keinen Umständen dürfen wir da investieren.

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