Keine Anzeichen für Preis-Lohn-Spirale

Die Arbeitskosten stiegen laut einer neuen Studie in den letzten beiden Jahren nur langsam

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 4 Min.
Langfristig sind die Lohnkosten in Deutschland zu langsam gestiegen.
Langfristig sind die Lohnkosten in Deutschland zu langsam gestiegen.

Viel ist beim ersten Gespräch im Rahmen der »konzertierten Aktion« zwischen Politik, Arbeitgebern und Gewerkschaften offenbar noch nicht herumgekommen. Erste greifbare Ergebnisse soll es im Herbst geben. Stattdessen wurde eine Pressekonferenz dazu genutzt, die Menschen im Land auf harte Zeiten einzustimmen. »Wir stehen vor einer historischen Herausforderung«, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Die aktuelle Krise werde nicht in einigen Monaten enden.

Dabei tauschten DGB-Chefin Yasmin Fahimi und Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger kurz die Rollen: Es gehe vor allem darum, »jetzt alles zu unternehmen, um eine Rezession zu verhindern, Standorte zu stabilisieren, Wertschöpfungsketten zu erhalten und Beschäftigung zu sichern«, beendete Fahimi ihr Statement. Gleichzeitig musste der Chef des Arbeitgeberverbands BDA zugeben: »Löhne sind aktuell kein Inflationstreiber, aber die Menschen spüren die Inflation.«

Schließlich war in den letzten Wochen häufig die Rede von der angeblichen Gefahr einer Preis-Lohn-Spirale, die es zu verhindern gelte. Wegen der hohen Inflation stellten Gewerkschaften hohe Lohnforderungen, was die Unternehmen durch höhere Preise an die Verbraucher*innen weitergäben, sodass wiederum die Inflationsrate nach oben getrieben würde. So lautet zumindest die Theorie, die eine Aufforderung an die Arbeitnehmer*innen impliziert, sich bei Forderungen zurückzuhalten.

Dass an dem Gespenst einer Preis-Lohn-Spirale wenig dran ist, zeigen jedoch aktuelle Forschungsergebnisse zu den hiesigen Arbeitskosten. »Die Entwicklung der Lohnstückkosten in der Corona-Pandemie hat erneut vor Augen geführt, dass der Euroraum als Ganzes und insbesondere Deutschland nichts an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt haben und auch während der Coronakrise von Seiten der Lohnentwicklung keine Gefahr für die internationale Wettbewerbsfähigkeit drohte«, heißt es in einer Studie, die das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung am Dienstag veröffentlichte.

Demnach sind die Lohnstückkosten, also die Arbeitskosten, die auf die produzierten Waren und Dienstleistungen entfallen, zwar im ersten Pandemiejahr 2020 in Deutschland relativ stark um 3,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Dies lag aber an der verbreiteten Kurzarbeit, durch die die Zahl der Arbeitskosten weniger stark zurückging als diejenige der geleisteten Arbeitsstunden. So kehrte sich der Trend im Jahr 2021 um und die Lohnstückkosten stiegen nur noch um 0,8 Prozent. In den beiden zurückliegenden Pandemiejahren erhöhten sich die Kosten dadurch im Schnitt um 2,1 Prozent – und lagen damit fast auf Höhe des Inflationsziels der Europäischen Zentralbank (EZB) von 2,0 Prozent. Langfristig, also von 2000 bis 2021, nahmen sie im Jahresmittel sogar nur um 1,3 Prozent zu – langsamer als im ebenfalls geringen Durchschnitt des Euroraums ohne Deutschland (1,9 Prozent) und weitaus niedriger, als es die Vereinbarkeit mit dem Inflationsziel der EZB erforderte.

Dies sei auch ein Grund, warum wesentliche Teile der deutschen Wirtschaft weiterhin große Reserven hätten, wie man an den hohen Gewinnen vieler Großunternehmen sehe, sagt IMK-Direktor Sebastian Dullien. Die Gefahr einer Preis-Lohn-Spirale sieht er deswegen ausdrücklich auch für dieses Jahr nicht: »Selbst wenn wir im Jahr 2022 mit dem Lohnkostenanstieg im Durchschnitt aller Branchen etwas über drei Prozent lägen, wäre das noch keine echte Preis-Lohn-Spirale, sondern lediglich eine Korrektur der schwachen Vorjahre.«

So schreiben die Studienautor*innen, dass angesichts der sozial-ökologischen Transformation und der wirtschaftlichen Unsicherheiten infolge der »langsam ausklingenden globalen Pandemie« und »des schrecklichen Ukraine-Krieges direkt vor der Haustür der Eurozone« eine Lohnentwicklung unerlässlich sei, »die sicherstellt, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am gesellschaftlichen Wohlstandsfortschritt auch in diesen Zeiten des Wandels ausreichend partizipieren«.

Angesichts einer Inflationsrate von derzeit 7,6 Prozent sieht Dullien die Lohnpolitik dazu nicht in der Lage. »Hier wird die Wirtschaftspolitik als Ganzes gefragt sein«, sagt der Ökonom und fordert deshalb weitere Entlastungsmaßnahmen für Haushalte mit niedrigen und mittleren Einkommen, die unter der Teuerung von Gütern und Dienstleistungen des Grundbedarfs wie Lebensmitteln und Haushaltsenergie besonders stark leiden. »Das nimmt dann auch Druck aus den Tarifverhandlungen und reduziert das Risiko, dass doch noch Preis-Lohn-Spiralen in Gang kommen«, so Dullien.

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