"Mischwald ist die Zukunft"

Der Mensch hat bei der Entstehung der Wälder geholfen, nun muss er auch bei ihrer Bewahrung helfen, findet die Försterin Janina Albrecht

  • Sarah Nägele
  • Lesedauer: 7 Min.
Klimawandel – "Mischwald ist die Zukunft"

Wie sieht Ihr typischer Tagesablauf aus?

Interview

Janina Albrecht betreut seit 2014 als revierleitende Försterin den Kommunalwald im Forstbezirk Chemnitz und berät Privatwaldbesitzer*innen. Im Wald begleiten sie ihre zwei Dackeldamen Carry und Gaia. Ihren Urlaub verbringt Albrecht trotzdem lieber in Städten – beim Wandern in Wäldern sieht sie zu viel Arbeit.

Mein Aufgabenbereich ist so umfangreich, dass jeder Tag anders aussieht. Die Hauptaufgabe liegt in der Bewirtschaftung des Waldes mit allen Facetten und Möglichkeiten. Wir Förster*innen sorgen dafür, dass der Wald gesund bleibt und dass er zur Erholung und zur Holzproduktion genutzt werden kann. Der Wald hat drei große Funktionen: Erholung, Schutz und Nutzen. Zur Schutzfunktion gehört zum Beispiel, dass Lärmschutz durch den Wald besteht, dass Luft gereinigt wird. Und natürlich der Naturschutz: Alles, was im Wald an Tieren und Pflanzen lebt, soll erhalten bleiben.

Für welchen Wald sind Sie zuständig?

Der Sachsenforst ist aufgeteilt in Revierförstereien, die die Flächen des sächsischen Landes betreuen. Mein Revier besteht aus Privat- und Kommunalwald.

Der größte Teil des deutschen Waldes ist ja Privatwald.

Genau. In Sachsen sind es 46 Prozent. Es gibt Landes- und Privatwald, Kommunalwald, wie die städtischen Wälder, oder Bundeswald, das sind zum Beispiel Truppenübungsplätze, wo Wald entstanden ist. Im Privatwald ist es meine Aufgabe, die Leute bei Problemen zu beraten. Ich soll mein Fachwissen weitergeben, aber auch auf den Besitzer oder die Besitzerin eingehen: Was will die Person mit dem Wald machen? Aufgrund dessen kann ich Empfehlungen geben, welche Bäume entfernt werden müssen, damit der Wald gesund bleibt, oder wie man den höchsten Holzertrag erzielt. Wir bieten auch Waldpädagogik für Kinder an: Welche Baumarten sehen wie aus? Warum brauchen wir die Tiere im Wald? Grundsätzlich bin ich frei in der Einteilung, das ist toll.

Helfen Sie auch bei der Umsetzung der Wünsche?

Die Idee ist Hilfe zur Selbsthilfe. Wir wollen die Forstbesitzer*innen durch Veranstaltungen und Fortbildungen so weit schulen, dass sie die nötige Expertise haben, um sich selbst um ihren Wald kümmern zu können.

Wie geht es dem Wald in Mittelsachsen?

Vor vielen Jahren wurde die Fichte hier angebaut, weil damals schnell viel Bauholz gebraucht wurde. Das ist der Baum, aus dem ich alles machen kann. Durch die Klimakatastrophe wurde es jedoch immer wärmer und trockener, und der Fichtenborkenkäfer konnte die Fichte massiv angreifen. Den Käfer gab es schon immer. Doch wenn er sich früher in die Rinde der Fichte gebohrt hat, hat diese Harz produziert und das Loch geschlossen. Eine Fichte hat das überstanden, die andere nicht, aber es war nicht dramatisch. Durch die zunehmende Trockenheit hat der Baum kaum Wasser, um Harz zu produzieren. Deshalb überlebt jeder Käfer, der sich eingebohrt hat.

Und er vermehrt sich.

Nach sechs Wochen kommen pro Käfer 20 neue. Das steigert sich exponentiell. Dann kamen die Stürme: Fabienne, Friederike, Herbert. Es gab viele Katastrophen auf einmal. Aber man wusste, dass die Fichte nur bedingt widerstandsfähig ist. In Sachsen versucht man seit 25 Jahren Mischwald herzustellen, den reinen Fichtenforst aufzulösen. Das geht nicht von heute auf morgen. Aber die Stürme und der Klimawandel sind da, wir haben in Europa Probleme mit einigen Baumsorten. Die Kiefern und Birken trocknen aus, die Fichte wird befallen. Deshalb ist Mischwald so wichtig. Nur das kann die Zukunft sein. Wenn im Mischwald zehn Bäume ausfallen, ist das nicht so schlimm, im Reinbestand ist es dramatisch.

Hat sich Ihr Beruf durch die Entwicklungen der letzten Jahre verändert?

Er ist stressiger geworden. Wegen Corona waren Waldbesitzer*innen vermehrt zu Hause und haben sich um ihren Wald gekümmert, weil der Sturm und der Käfer kamen. Sie haben ein Bewusstsein dafür bekommen. Da habe ich extrem viel beraten. So eine Waldfläche gehört ja vielen Besitzer*innen. Wenn einer ein Problem nicht beseitigt, springt es auf das nächste Waldstück über. Im Kommunalwald habe ich einen Vertrag mit der Stadt und kümmere mich um anfallende Aufgaben. Wir müssen auch rechts und links schauen, vor allem in den Katastrophenjahren. Das macht viel Arbeit.

Und das ist eine Entwicklung, die noch nicht zu Ende ist.

Genau. Da drüben haben wir Buchen gepflanzt, damit Mischwald entsteht. Seit letztem Jahr ist ein Hauptziel, die Leute zu motivieren, wieder zu pflanzen oder zu beobachten, wo sich die Natur selbst regulieren kann. Waldbesitzende haben eine Pflicht, dass auf den Freiflächen wieder Wald entsteht.

Sind die zunehmenden Probleme bedrückend?

Belastend ist, dass man wenig Einfluss hat. Im Wald denken wir teilweise in Jahrhunderten. Wir müssen vorausschauend handeln, aber wir wissen nicht, ob das, was wir tun, immer richtig ist. Man handelt nach bestem Wissen und Gewissen. Das ist anspruchsvoll.

Haben Sie einen Lieblingsbaum?

Durch die Klimakatastrophe bin ich ein Fan der Linde geworden. Die Linde ist für die Holzwirtschaft recht uninteressant. Ein Schnitzer oder ein Bildhauer macht vielleicht etwas aus Lindenholz. Aber die Linde ist, genau wie die Eiche, ein Baum, der mit dem Klimastress gut zurechtkommt. Sie wächst auf vielen Böden – auf denen mit mehr und auf denen mit weniger Wasser. Eine frei stehende Linde ist total beeindruckend. Für den Naturschutz ist sie interessant, weil sie dem Specht einen Lebensraum bietet, da ihr Holz so leicht ist. Und sie erreicht ein stattliches Alter, wenn man sie lässt.

Sehr widerstandsfähig.

Ja, es ist spannend. Ansonsten sind alle Baumarten, die wir im Wald haben, gut. Aber die Bäume müssen sich an den geringen Niederschlag gewöhnen. Der Baum, der seit 60 Jahren im Wald steht, musste nie so tief wurzeln. Deshalb sieht er jetzt so schlecht aus oder stirbt ab. Die neuen Bäume werden das lernen, aber ein bestehender Baum kann sich nur bis zu einem gewissen Grad anpassen. Als Försterin nehme ich Bäume raus, damit andere mehr Platz, Wasser und Nährstoffe haben.

Sind Sie eigentlich viel allein unterwegs?

Ich habe eine Bürogemeinschaft, das ist aber unüblich. Da ich sehr kommunikativ bin, bin ich froh drum. Ansonsten komme ich bei der Beratung mit den Menschen in Kontakt. Aber ich organisiere meinen Tag allein, ja. Wenn man Förster oder Försterin wird, weiß man, dass man im Wald meistens alleine ist. Viele Kolleg*innen genießen und wollen das. Ich bräuchte das nicht.

In der Forstwirtschaft sind Frauen ja immer noch selten, oder?

Der Männeranteil ist sehr hoch, ja. Ich bin die einzige Frau im Forstbezirk Chemnitz. Das ist auch der Vielzahl an beruflichen Möglichkeiten nach dem Forststudium geschuldet. Die Probleme, die man erlebt, sind aber geschlechtsunabhängig, man muss sich am Anfang quasi sein Standing erarbeiten. Jeder ist unterschiedlich und hat sein eigenes Steckenpferd. Ich beschäftige mich zum Beispiel gerne mit Digitalisierung im Forstbereich und zeichne alles in meiner digitalen Karte ein. Mit einem GPS-Gerät verlierst du nie die Orientierung, und ich kann sicherstellen, dass ich keinen Bereich übersehe.

Ist das Bewusstsein für die Bedrohung des Waldes in den letzten Jahren größer geworden?

Böse gesagt wollen mehr Menschen mitreden. Das sind allerdings oft Städter, die ihr Wissen aus dubiosen Quellen im Internet beziehen und alles nach einem Dogma machen wollen. Bäume fällen ist schlecht, aber den Rohstoff Holz braucht man dennoch. Wir wollen doch regionale Wertschöpfung. Vieles wird extrem dargestellt. Alle pochen auf Naturschutz, obwohl jeder Förster und jede Försterin Naturschutz studiert hat und anwendet. Es geht gar nicht ohne. Wir wollen keine Bäume fällen, in denen der Specht sitzt oder Vögel nisten. Ja, das Bewusstsein für die Natur ist gestiegen, aber das Bewusstsein für das Ganzheitliche fehlt. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir keine Urwälder, sondern menschengemachte Wälder haben. Teilweise sind Flächen zu klein, um den Wald sich selbst zu überlassen. Der Mensch hat bei der Entstehung der Wälder geholfen, also muss er auch bei der Bewahrung helfen.

War Naturschutz für Sie eine Motivation, den Beruf zu ergreifen?

Nein. Es war eher das Ganzheitliche: Draußen in der Natur arbeiten, mit einer Grundlage an Wissen, und nie aufhören zu lernen. Gerade ist es extrem wichtig, sich mit Pflanzung und Baumarten zu beschäftigen. Werkzeuge und Möglichkeiten in der Natur zu testen, die Anfänge von Entwicklungen zu sehen, das ist total spannend.

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