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Gitarrenlehrer

Plattenbau. Die CD der Woche: "Gefühlte Wahrheiten" von Jochen Distelmeyer

  • Jens Buchholz
  • Lesedauer: 5 Min.

Vermutlich ist es eher eine Außenseitermeinung, aber ich bin der Ansicht, dass Jochen Distelmeyer seinen Karrierehöhepunkt mit »Verbotene Früchte« erreicht hat. Auf diesem Album hat er mit seiner Band Blumfeld den Apfelmann, den Schnee oder Tiere besungen. Und das alles in einem flockigen akustischen Sound zum Reinliegen. Das Album war damals umstritten. Denn Blumfeld galten als die Speerspitze der politisch gefärbten Hamburger Schule. Die Band hatte mit Songs wie »Verstärker« eine Art Fieberthermometer für die Neunzigerjahre geschrieben. Intellektuell, experimentell und sämtliche -tells mehr. Aber das politische an Blumfeld klang immer schon aufgesetzt. Während die Band in dem Neobiedermeier von »Verbotene Früchte« absolut zu sich fand.

Distelmeyer hat seine Solokarriere 2009 mit dem Album »Heavy« gestartet. Die Single »Wohin mit dem Hass« und das dazugehörige Video erregten Aufmerksamkeit. Da wollte er wieder politisch-kritisch sein. Aber politisch-kritisch funktioniert nicht bei Distelmeyer. Das alles schrammt immer knapp an »Am Tag als Conny Kramer starb« oder »Sag mir, wo die Blumen sind?« entlang. Dann hat er 2016 einen Roman geschrieben. Natürlich hat er einen Roman geschrieben. Und schon die Inhaltsangabe beeinträchtigt empfindlich den Stoffwechsel der Leser*innen. Der Held heißt natürlich Tristan, natürlich spielt der Roman in Berlin, natürlich geht es um Liebe und natürlich kann man sich den Rest selber zusammenreimen. Aus den Lesungen zum Roman entstand sein Album »Songs from the Bottom« auf dem er nur mit der Gitarre Gassenhauer von Brittney Spears und Lana del Rey covert.

Und jetzt also ein neues Album. Die Vorabsingle »Im Fieber« liegt näher bei »I like Chopin« als bei »Blowin’ in the Wind«. Und Italopop ist offen gestanden keine schlechte Referenz. Aber kann es noch besser werden als »Verbotene Früchte«? Nein.

Der erste Song des Albums »Komm (So nah wie du kannst)« macht einen sprachlos. Der Text liegt sehr dicht an dem, was das Komponistenteam von Helene Fischer in der Mittagspause ausspuckt. »Komm, komm, komm / Schenk meiner Liebe Glauben / Komm, komm, komm…« oder »Du setzt meine Welt in Flammen / mit jedem Wort, das du sagst / Wir tanzen und wir stehen zusammen / wir können auch gehen, wenn du magst«. Oh je. „Vamos a matte». Und dann merkt man als Hörer, dass die geschulte Art Distelmeyers zu singen, sehr dicht an dem Musicalsound von Helene Fischer liegt. Und dann kommt »Tanz mit mir«, das eine typische Machoschlager-Situation aufwärmt. Mann kommt in Kneipe, trifft sexy Frau und als Sexmetapher kommt dann »Tanz mit mir«. »Von ihren Lippen nur einen Kuss entfernt / Sie hat gewusst, was sie macht mit mir…«. Und das geht dann sieben Minuten. Sieben Minuten. Matthias Reim hätte gewusst, wann Schluss ist. »Zurück zu mir« versucht »A Lovley Day« von Bill Whithers zu sein. Ist es aber nicht. »Das real life ist den hatern ins Netz gegangen«. Oh je. Ja, auch der Text ist schwierig.

Und auch in »Hey Dear« spürt er »ein Verlangen« und »das Herz steht in Flammen« und jemand »treibt ein Spiel mit meiner Liebe« und »war so kalt, dass dir mein Feuer gefiel«. Und zu diesem Zeitpunkt wünscht man sich: Bitte sing doch Englisch, oder lalalala.

Stattdessen sing Distelmeyer: »Der Mond und ich sind hier / lieg noch wach und sehn mich nach dir /brauch deine Berührung«. »Nur der Mond« heißt das Lied und auch da geht es dann um »Haut an Haut« und, naja, lalalala….

Und dann tut Distelmeyer dem Hörer endlich den Gefallen und singt Englisch. »Gone Girl« erzählt all das, was er bisher auf Deutsch erzählt wurde, aber es klingt auf Englisch immerhin nicht so verschlagert. Aber immer noch belanglos: »Your kiss was so tender and so sweet«. Dann kommt »The Reason«. Da sucht Distelmeyer begleitet von Truck Stop (jedenfalls hört es sich so an) nach dem Grund, warum er plötzlich zwei Lieder hintereinander Englisch singt. Und jetzt ist man schon so weit, dass man als nächstes auch einen Latino-Distelmeyer auf Spanisch oder einen Bossanova-Distelmeyer auf Portugiesisch akzeptieren würde. Aber nein. Der nächste Song heißt »Roads of Regret« und ist auch auf Englisch. Jawohl. Jetzt klingt er eher wie Bob Dylan, wenn der singen könnte. »Manchmal« ist wieder Deutsch. Bluesig. Text: »Ich lieb dich bedingungslos …« Na dann. »Nicht einsam genug« beginnt wieder bluesig. »Ich bin aufgewacht am Morgen / und mein Leben war mir fremd«. Und dann denkt man eigentlich, dass jetzt gleich kommt: »Ja, ich hab den Blues, den großen Onkel Quetschungs-Blues«.

Kommt aber nicht. Schade eigentlich. Stattdessen geht es 11 Minuten weiter und weiter und weiter und weiter … und dann noch mal weiter. Letztes Lied. Die Single »Ich sing für dich«. »Wenn auf deine Welt ein harter Regen fällt«. Das kenne ich doch irgendwo her? Und da wird es dann auf typisch Trivial-Distelmeyerisch politisch. Und dann ist es vorbei / Stille kehrt ein / Ich bin ganz allein / und ich weiß, dass es für alle Zeit so sei / dass ich dieses Album nie mehr anhör.

Distelmeyer klingt immer wie ein Gitarren- und Gesangslehrer, der die rauen und rohen Stücke von irgendwelchen urwüchsigen Musikern feinsäuberlich als Noten notiert hat, den Text in Metrum und Reim transformiert und das dann technisch perfekt gespielt und gesungen aufnimmt. Es ist so hyperrichtig, dass es irgendwie falsch klingt.

Jochen Distelmeyer: "Gefühlte Wahrheiten" (Four Music/Sony)

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