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Repression gegen potenzielle Kandidaten
Vor den Kommunalwahlen im Herbst gibt es in Russland eine neue Verhaftungswelle
Michail Lobanows Freunde waren mit einer Sowjetflagge und einer anarchistischen Band gekommen, um den 38-Jährigen wieder in Freiheit zu empfangen. Als sich das Tor hinter dem KPRF-Politiker schloss, stimmte die Band das Protestlied »Mury« an. Lobanow, hauptberuflich Mathematikdozent an der Lomonossow-Universität, hatte gerade eine 15-tägige Haftstrafe wegen zweier Posts in sozialen Medien abgesessen. In einem schrieb er, Russland schicke nur die Ärmsten der Gesellschaft zum Kämpfen in die Ukraine. Im zweiten Post warf er dem tschetschenischen Machthaber Ramsan Kadyrow vor, »Tschetschenen zu entsenden, um Ukrainer zu töten«. Ein Gericht sah darin eine »Anstachelung zum Hass gegen Tschtschenen und Muslime«. Bereits zuvor leitete die Staatsanwaltschaft wegen eines Anti-Krieg-Plakates eine Anklage wegen Diskreditierung der Armee gegen Lobanow ein.
Sollte er verurteilt werden, kann er seine Pläne, am 11. September als Kandidat bei den Moskauer Bezirkswahlen anzutreten, begraben. Dabei hätte er durchaus Chancen. Noch vor einem Jahr hatte Lobanow, der sich selbst als »demokratischen Sozialisten« bezeichnet, bei der Duma-Wahl beinahe den Wahlkreis Kunzewo für sich entschieden. 31,6 Prozent erhielt er damals, hatte 10 000 Stimmen Vorsprung vor seinem Kontrahenten von der Regierungspartei Einiges Russland. Profitiert hatte er dabei auch von der »Smart voting«-Kampagne Alexei Nawalnys, bei der immer der aussichtsreichste Oppositionskandidat in jedem Wahlkreis unterstützt werden sollte. In die Duma zog Lobanow nicht ein, denn nach der Auszählung der Online-Stimmen zog der Kandidat von Einiges Russland an ihm vorbei. Lobanow witterte Wahlmanipulation.
Ende Mai initiierte Lobanow eine Plattform, um oppositionelle Kandidaten bei den kommenden Regional- und Kommunalwahlen aufzustellen. Immer wieder gibt es Mutmaßungen, dass die Wahl wegen des Krieges verschoben wird. Trotzdem scheint der Staat auf Nummer sicher zu gehen und zieht potenziell aussichtsreiche Bewerber der Opposition durch die Eröffnung von Strafverfahren aus dem Verkehr. Die Staatsmacht will mit aller Macht die Gesellschaft einschüchtern, sagte Lobanow nach dem Ende seiner Haft zu Journalisten. Das sei typisch für Russland, in dem es in regelmäßigen Abständen solche Repressionswellen gebe, so der Sozialist.
Im Gefängnis habe er sich mit dem Bezirksabgeordneten Alexei Gorinow über die aktuell harte Hand der Justiz unterhalten können. Der wartete dort auf seinen Prozess wegen der angeblichen Verbreitung von Fake News, bei dem er schließlich zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde. Gorinow hatte sich gemeinsam mit seiner Abgeordneten-Kollegin Jelena Kotjonotschkina gegen die Durchführung eines Kindermalwettbewerbs zum »Tag des Sieges« am 9. Mai in ihrem Bezirk Krasnoselskij ausgesprochen. Angesichts des Krieges in der Ukraine sei die Veranstaltung unpassend, waren die beiden überzeugt.
Die Staatsanwaltschaft wurde erst aktiv, nachdem zwei Staatsduma-Abgeordnete auf die Sitzungsprotokolle aufmerksam wurden. Kotjonotschkina floh vor der Verfolgung ins Ausland, Gorinow erhielt als erste Person in Russland wegen des »Fake-News-Paragrafen« eine Gefängnisstrafe. Alle anderen rund 70 Angeklagten kamen mit einer Geldstrafe davon.
Am 28. Juni wurde mit Ilja Jaschin der dritte Abgeordnete des Moskauer Kranoselskij-Bezirks verhaftet. Angeblich soll sich Jaschin, eines der bekanntesten Gesichter der liberalen Opposition, Polizisten widersetzt haben. Dafür bekam er 15 Tage. Direkt im Anschluss eröffnete die Staatsanwalt ein Verfahren wegen der »Verbreitung von Falschinformation über die Streitkräfte« gegen ihn.
Jaschin hatte auf seinem Youtube-Kanal offen über das Massaker in Butscha gesprochen und die russische Staatspropaganda bloßgestellt. Dafür drohten ihm bis zu zehn Jahre Haft. Im Gerichtssaal sprach Jaschin, der nach Kriegsbeginn aus Prinzip in Russland blieb, von einem politischen Prozess. In einem parallel veröffentlichten Facebook-Post schrieb er, dass er nach dem 24. Februar gewusst habe, dass man ihn als Oppositionspolitiker früher oder später verhaften würden. Das Gericht verlängerte am Mittwoch Jaschins Haft zunächst bis zum 12. September. »Habt keine Angst vor diesen Schuften! Russland wird frei sein!«, sagte Jaschin nach der Urteilsverkündung zu seinen Unterstützern und den Journalisten im Saal.
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