- Kultur
- »Is’ was, Doc?«
Wahnsinn mit System
Vor fünf Dezennien kam die Jahrhundert-Komödie »Is’ was, Doc?« in die Kinos
Schlagartig war Hollywood aufregend. Junge Regisseure wie Martin Scorsese, William Friedkin und Robert Altman zeigten ein Amerika, wie man es im Kino zuvor noch nicht gesehen hatte: dreckig und trostlos, verlogen und bigott, ungerecht und grausam. In Filmen wie »Hexenkessel« (Scorsese), »French Connection« (Friedkin) und »Der Tod kennt keine Wiederkehr« (Altman) war das Böse allgegenwärtig. Und weit und breit kein John Wayne in Sicht, der mit seiner geladenen Winchester aufräumte.
Einer, der damals, in den späten 60er und frühen 70er Jahren, von New Hollywood mit nach oben gespült wurde, war Peter Bogdanovich. Der Sohn einer jüdischen Österreicherin begann als Filmkritiker. Er führte zahllose Interviews mit Regielegenden wie Orson Welles, John Ford, Howard Hawks und Alfred Hitchcock, ehe er – wie seine französischen Vorbilder François Truffaut, Jean-Luc Godard und Claude Chabrol – die Seiten wechselte. Bei einer Filmvorführung lernte er 1966 den »Papst des Pop-Kinos«, den B-Movie-Horrorfilm-Regisseur Roger Corman, kennen. Eine Begegnung mit Folgen. Corman heuerte ihn als Assistent für den Rockerstreifen »Die wilden Engel« mit Peter Fonda an. Dadurch änderte sich Bogdanovichs Leben komplett: »Binnen drei Wochen stieg ich vom Wäscheabholer zum Regisseur auf. Insgesamt arbeitete ich 22 Wochen – Vorproduktion, Dreharbeiten, Second-Unit-Filmteam, Schnitt, Synchronisation. So viel habe ich seitdem nie wieder gelernt.«
Danach ließ Corman Bogdanovich seinen eigenen Film drehen. »Bewegliche Ziele« (1968) wurde dadurch legendär, dass Boris »Frankenstein« Karloff darin seinen letzten Auftritt vor seinem Tod hat. Der Film ist ein klassischer Thriller, keine neorealistische Milieustudie. Bogdanovich verfolgte andere Ziele als seine jüngeren New-Hollywood-Regiekollegen. Während diese mit dem Brennglas die Gegenwart sezierten, wanderte der Blick des einstigen Filmkritikers in das Amerika der 30er, 40er und 50er Jahre. Als notorischer Melancholiker filmte er sich in eine Zeit zurück, in der das Kino noch der Ort war, an dem Menschen anderthalb Stunden lang ihre Sehnsucht nach einem anderen Leben stillten. In jener goldenen Epoche Hollywoods fand Bogdanovich nicht nur Geschichten, die er zu packenden Leinwandepen verarbeitete (»Die letzte Vorstellung«, »Paper Moon«), sondern auch in Vergessenheit geratene Genres.
Wie die Screwball-Comedy. Hierbei handelt es sich um eine überdrehte Form der Komödie, in der jedwede Logik und Wahrscheinlichkeit außer Kraft gesetzt wird. Typische Inhaltsangaben stoßen daher an ihre Grenzen. So ist die Ausgangslage in Frank Capras Klassiker »Arsen und Spitzenhäubchen« aus dem Jahr 1944 jene, dass zwei ältere Damen alleinstehende Männer mit Arsen und Zyankali vergiften, um sie »Gott näher zu bringen«. Würde man versuchen, die nachfolgende Handlung in Worten wiederzugeben, müsste man sich unweigerlich die Frage gefallen lassen, welche Drogen beim Verfassen des Drehbuchs im Spiel gewesen seien.
Doch seit den Glanzzeiten von Frank Capra und Howard Hawks (»Leoparden küsst man nicht«, 1938) war eine halbe Ewigkeit vergangen. Was Bogdanovich nicht bekümmerte. Die Handlung von »Is’ was, Doc?« mag in den 70er Jahren spielen, doch die Seele des Films liegt in den 30ern und 40ern. In jenen Jahrzehnten verlangte eine wahnsinnige Wirklichkeit – erst die Weltwirtschaftskrise mit Millionen von Arbeitslosen, dann der Zweite Weltkrieg mit Millionen von Toten – nach wahnwitzigen Filmen.
Genau dort knüpft Bogdanovich an. In »Is’ was, Doc?« wimmelt es folglich von Hysterikern, Neurotikern und sonstigen Gestörten. Und mittendrin ist Ryan O’Neal (»Love Story«), der als zerstreuter Professor hilflos dem galoppierenden Irrsinn ausgeliefert ist. Die Galadinner-Szene, in der sich acht Menschen plötzlich unterm Tisch wiederfinden, während Madeline Kahn als Verlobte des Professors den Festsaal aufmischt, gehört zu dem Komischsten, was je gedreht wurde. Und wer bei der späteren Verfolgungsjagd keine Schnappatmung bekommt, sollte seinen Puls fühlen – es könnte sein, dass man tot ist.
»Is’ was, Doc?« lässt selbst Klamaukorgien wie »Die nackte Kanone« und »Austin Powers« ziemlich lahm und fad aussehen. Bogdanovich packt in anderthalb Stunden mehr Brüllkomik als die deutsche Filmindustrie in sämtliche Komödien der letzten 30 Jahre.
Dass dennoch mehr hängen bleibt als absurde Gags und mitleidlos ausgereizter Slapstick, liegt an Barbra Streisand. Die hatte man in der Schublade für gepflegte Evergreens und Musicalmelodien à la »Hello Dolly« abgelegt – gefällige Liedchen, die einen nicht unnötig aufwühlen. Doch hier, als Comedy-Schauspielerin, versprüht Barbra Streisand eine explosive Lebendigkeit und Quirligkeit, in die man sich spätestens dann verliebt, wenn sie das Lied »You’re the top« anstimmt.
Spätestens heißt: bereits im Vorspann. Womit Peter Bogdanovich bewies, dass er die Hollywood-Regel Nr. 1 begriffen hatte: Ein Film muss mit einer Explosion beginnen und sich dann langsam steigern.
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