Lücken im Gedächtnis

Das OEZ-Attentat von München ist bei uns nicht als rechtsradikaler Terror verankert. Das hat auch mit unseren Medien zu tun, meint Sheila Mysorekar

Armela, Can, Dijamant, Guiliano, Hüseyin, Roberto, Sabina, Selçuk und Sevda – neun junge Menschen aus internationalen Familien wurden am 22. Juli vor sechs Jahren getötet, weil der Täter ein Rassist war. Wie so oft wurde dieses Massaker von vielen Medien erst nicht als ein rechtsradikales Attentat erkannt, da der Mörder allein agierte. Einzeltäter, Einzelfall.

Zur Erinnerung: Der 18-jährige Täter lockte gezielt Teenager und junge Leute aus migrantischen Familien in das Münchner Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) und schoss dort auf sie. Seine Absicht war zu töten. Trotzdem wurde die Tat jahrelang als irrationaler Amoklauf eingeordnet und die rechtsradikale Gesinnung des Täters nicht beachtet.

Gerade diese ideologischen Zusammenhänge sind bei der Prävention von rechter und rassistischer Gewalt zentral. Denn auch vermeintliche Einzeltäter*innen radikalisieren sich in einem Umfeld – die Rechtsextremismus-Forschung kritisiert daher schon lange die Vorstellung isolierter Einzeltäter. Diese begegnen Gleichgesinnten oft im Internet oder im Darknet. Das heißt, sie agieren nicht allein, sondern sie werden in ihrem digitalen Umfeld radikalisiert und zu den Morden angestiftet.

Diese Fehleinschätzung führt dazu, dass gewaltbereite Täter*innen und rechtsextreme Hintergründe von Tötungsdelikten immer wieder zu spät erkannt und benannt werden. Beim OEZ-Anschlag vernetzte sich der Mörder auf rechtsradikalen Plattformen mit anderen Neonazis; auch der antisemitische Attentäter von Halle 2019 bezog sich auf Online-Communities. Sicherheitsbehörden müssen daher verstärkt darin geschult werden, rassistische Motive zu erkennen, damit sie rechtzeitig aufdecken, wie solche Netzwerke potenzielle Täter*innen radikalisieren und zu Mördern machen.

Das Attentat von München ist jedoch nicht im kollektiven Gedächtnis als rechtsradikaler Terror verankert, anders als etwa das Massaker in Hanau. Das liegt auch an der medialen Berichterstattung, die sich jahrelang an der polizeilichen und behördlichen Einordnung der Tat als »Amoklauf« orientierte.

Medien sind nicht nur dazu da, Auskünfte von Behörden oder Sicherheitskräften wortgetreu wiederzugeben, sondern auch, um eigene Recherchen anzustellen – die möglicherweise zu Ergebnissen führen können, die im Gegensatz zu den offiziellen Verlautbarungen stehen. Am Beispiel der Zeitung »Die Welt« kann man jedoch verfolgen, wie die Artikel über das Attentat von München die jeweilige Einordnung des bayrischen Innenministeriums als »Amoklauf« bis hin zu »rechtsextremem Attentat« einfach nur wiederholen. Ein Jahr nach dem Attentat lautete die Überschrift eines Artikels: »David S. tötete, weil er gemobbt wurde«. Zwei Jahre danach hieß es dann: »Münchner Attentäter hatte rechtsextremistische Motive«.

Nun war jedoch schon früh bekannt, dass der Attentäter ein rassistisches Manifest geschrieben hatte; der Bayrische Rundfunk (BR) berichtete von »Hakenkreuzen und Hitlergruß«. Dann wurde jedoch auch beim BR die offizielle Version des Motivs unwidersprochen wiederholt – es sei Rache für Mobbing gewesen.

Niemand verpflichtet Medien, die Darstellung von Polizei oder Innenministerien zu übernehmen. Im Gegenteil: Die Öffentlichkeit ist auf eine kritische Einordnung angewiesen. Und Medien sind auch die Garanten für das kollektive Gedächtnis eines Landes. Deswegen sind Jahrestage keine unwichtigen Kleinigkeiten, sondern sie bedeuten, dass die Menschen an etwas erinnert werden, das unter keinen Umständen vergessen werden darf – wie der gewaltsame Tod von neun jungen Menschen in München.

Die zentrale Demonstration am 22. Juli in München ist deshalb so wichtig, um uns gemeinsam an sie zu erinnern. Wir dürfen dieses Attentat nicht vergessen. Und wir müssen neue Attentate verhindern.

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