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- Mietenwahnsinn in Berlin
SPD-Senator Geisel beerdigt Mietensteuer
Stadtentwicklungsverwaltung verweist in Begründung auf ein Gutachten des Bundestags
Die Verwaltung von Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) wird die Erhebung einer Mietensteuer in Berlin nicht weiter prüfen. Das geht aus der noch nicht veröffentlichten Antwort der Verwaltung auf eine Schriftliche Anfrage des Linke-Mietenexperten Niklas Schenker hervor, die »nd« vorliegt. Mit Verweis auf eine Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages vom Dezember 2021 heißt es, die Senatsverwaltung sehe »nach Prüfung keine Möglichkeit, eine Sonderabgabe zur Abschöpfung hoher Mieten verfassungskonform auszugestalten«.
Wissenschaftler des Wirtschaftsforschungsinstituts DIW Berlin hatten in einem Aufsatz im November 2021 die Einführung einer derartigen Steuer vorgeschlagen, die rechtlich eine Abgabe hätte sein sollen. Sie hätte auf Mieten erhoben werden sollen, die auf einer Höhe von mindestens 110 Prozent des ortsüblichen Mietspiegelniveaus liegen. Ein progressiv steigender Steuersatz von 10 bis 30 Prozent wurde vorgeschlagen. So etwas sei »verwaltungstechnisch nicht umsetzbar«, erklärte die Stadtentwicklungsverwaltung mit Bezug auf die vielen Faktoren zur Berechnung einer Miete für eine konkrete Wohnung nach Mietspiegel.
Die DIW-Forscher hatten für Berlin jährliche Einnahmen von 205 Millionen Euro kalkuliert, die für den Bau von 7000 Sozialwohnungen hätten verwendet werden können. »Die Idee ist ganz klar: Man will die realisierte Bodenrente abschöpfen«, sagte Stefan Bach, einer der Studienautoren, im November 2021 zu »nd«. Bei Grundeigentümern habe es eine regelrechte »Vermögenslotterie« gegeben, in den letzten zehn Jahren hätten sich schließlich die Immobilienpreise verdoppelt. Eine Prüfung der Möglichkeit hatten im April auch die SPD-Landespolitiker Lars Rauchfuß und Mathias Schulz gefordert.
»Die Antwort des Senats finde ich durchaus überraschend. Offensichtlich hat sich die Rechtsprüfung des Senats darauf beschränkt, die Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages zu lesen. Das ist zu wenig«, kommentiert Linke-Politiker Niklas Schenker gegenüber »nd«. »Die Darstellung, dass es sich bei der ortsüblichen Vergleichsmiete quasi um ein kaum zu verstehendes Mysterium handelt, über das der Senat keine Kenntnis erlangen könnte, halte ich nicht für nachvollziehbar«, so Schenker weiter. Zumal sich Berlin die wohnungswirtschaftlichen Daten durch den Aufbau eines Mieten- und Wohnungskatasters besorgen wolle.
Pikant ist, dass die Verwaltung von Finanzsenator Daniel Wesener (Grüne) in der Antwort auf eine Schriftliche Anfrage der SPD-Politiker Schulz und Rauchfuß vom März in Kenntnis der Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags durchaus noch die Möglichkeit sah, diese Mietensteuer als Abgabe einzuführen.
»Eine Mietensteuer, um den kommunalen Wohnungsbau anzukurbeln, finde ich grundsätzlich sympathisch«, sagt Niklas Schenker. Zumal es in der aktuellen Krise darauf ankommen könnte, vor allem den kommunalen Wohnungsbau weiterhin zu ermöglichen. »Entscheidende Voraussetzung dafür, dass die Mietensteuer mehr hilft als schadet, ist jedoch, dass die entstehenden Lasten für Vermieter*innen aus einer solchen Abgabe nicht einfach auf die Mieter*innen durch steigende Mieten umgelegt werden können«, so Schenker weiter. Dafür gebe es »bisher leider keine überzeugenden Überlegungen«.
»Nicht zuletzt die Erfahrung mit dem ›Experiment Wohnungsbündnis‹ zeigt, dass wir für echten Mieterschutz und mehr bezahlbaren Neubau vor allem schärfere Gesetze und Regulierung brauchen«, sagt der Linke-Politiker. »Dieser Wille lässt sich aus der Antwort des Senats schwerlich ablesen.«
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