Der Sturm braut sich zusammen

In Syrien bereiten sich alle Seiten auf eine neue türkische Invasion vor

  • Christopher Wimmer, Qamischli
  • Lesedauer: 5 Min.

»Wir befinden uns in einer brenzligen Lage. Die Rojava-Revolution ist in ihrer Existenz bedroht. Ihr Fortbestand liegt in unserer Verantwortung.« Diese eindrückliche Mahnung stammt von Heval Bager. Seinen echten Namen will der Ende 20-jährige Deutsche nicht nennen. Er lebt seit Längerem in Rojava, dem Autonomiegebiet im Nordosten Syriens, und ist Kommandant der kurdisch geprägten »YPG-International« – der internationalistischen Einheiten der Volksverteidigungseinheiten. Auf Kurdisch bedeutet »Bager« Sturm – und ein solcher braut sich seit Monaten über Rojava zusammen.

Die Türkei droht seit Mai damit, eine 30 Kilometer tiefe »Sicherheitszone« auf der syrischen Seite der türkischen Grenze zu errichten. Für Ankara sind das Autonomiegebiet und die von der YPG dominierten »Demokratischen Streitkräften Syriens« (SDF) Ableger der als terroristisch eingestuften kurdischen Arbeiterpartei PKK. Daher beschießt die Türkei fast täglich die Grenzgebiete mit Drohnen und schwerer Artillerie. In bisher drei völkerrechtswidrigen Invasionen hat die Türkei seit 2016 bereits große Teile Rojavas besetzt. Im Nordirak, wo die Türkei Stellungen der PKK vermutet, wurden in den vergangenen Wochen zahlreiche Dörfer bei mehreren Hundert Einsätzen mit Kampfflugzeugen und -hubschraubern zerstört. Dabei kam es laut lokalen Quellen auch zum Einsatz von chemischen Waffen.

Wiederholt hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan angekündigt, Nordsyrien von »Terroristen zu säubern.« Darauf bereitet sich nun die YPG-International vor: »Für uns ist klar, dass der Angriff der faschistischen Regierung der Türkei bevorsteht«, erzählt Bager. »Erdogan macht ja keinen Hehl daraus, dass er alle Gebiete, in denen Kurden leben, am liebsten unter Kontrolle bringen will. Wir machen zur Zeit sehr viel intensive militärische Übungen. Wir haben ja bereits gegen den IS gekämpft, aber gegen eine Staatsarmee muss man anders vorgehen.« Die Türkei besitzt die zweitgrößte Armee der Nato. Dahingehend scheinen die Freiwilligen der YPG-International sowie die lokalen Kräfte unterlegen, doch die Menschen vor Ort seien es gewohnt, Widerstand zu leisten, so ergänzt Bager. »Das ist sehr beeindruckend.«

Unterstützung scheint nun von unerwarteter Stelle zu kommen. Laut der syrischen Presseagentur North Press bereitet sich auch die syrische Armee des Machthabers Baschar al-Assad auf einen militärischen Einsatz in den nordsyrischen Gebieten vor, um einer türkischen Invasion entgegenzutreten. Zwischen der syrischen Armee und der SDF, soll es nach wochenlangen Gesprächen zu einer taktischen Vereinbarung gekommen sein, die gemeinsame militärische Aktionen vorsieht. Kino Gabriel, der Sprecher der SDF hatte kürzlich erklärt, mit allen zusammenzuarbeiten, die Nord- und Ostsyrien verteidigen werden. Bei den bisherigen türkischen Angriffen hatte es bereits ähnliche Absprachen gegeben, jedoch hatten sich die Truppen Assads bei Kampfhandlungen schnell zurückgezogen.

Auf türkischer Seite gehören die Soldaten größtenteils zur »Syrischen Nationalen Armee« (SNA), einem islamistischen Söldnerheer. In den vergangenen Wochen fuhren immer wieder türkische Militärkonvois über die Grenze nach Syrien und brachten die Truppen in Stellung. Zwar gliedert sich die SNA wie eine konventionelle Armee in Divisionen und Brigaden, doch besteht kein einheitliches Kommando. Viele SNA-Milizen waren bereits an den bisherigen türkischen Militäroperationen in Syrien beteiligt und kontrollieren nun die besetzen Gebiete. Dabei kämpfen sie häufig gegeneinander um die lokale Vorherrschaft. Dabei kommt es immer wieder zu teils tödlichen Zusammenstößen, von denen auch die Zivilbevölkerung betroffen ist. Menschenrechtsorganisationen haben Tausende Fälle von unrechtmäßigen Verhaftungen, Entführungen, Folter, Mord oder Vergewaltigungen registriert. Zahlreiche SNA-Milizen unterstützen offen eine islamistische oder direkt dschihadistische Agenda, unter ihnen finden sich auch ehemalige IS-Kämpfer. Sie alle warten nur auf den Marschbefehl aus Ankara. Nun deuten die verstärkten Auseinandersetzungen jedoch auf zunehmende interne Probleme der Milizen hin, die eine Invasion gefährden könnten.

Vom trilateralen Treffen zwischen Russland, Iran und der Türkei in Teheran hängt es jedoch maßgeblich ab, wie es weitergeht. Erdogan will sich grünes Licht für eine Invasion geben lassen. Noch hat der Iran jedoch Bedenken. Ein Ziel des türkischen Angriffs ist der syrische Ort Tel Rifaat. Ganz in der Nähe befinden sich die vom Iran unterstützten schiitischen Siedlungen Nubl und Zahraa. Iranische Streitkräfte haben Berichten zufolge ihre Positionen vor Ort verstärkt. Aufgrund der geostrategischen Bedeutung Syriens für seine hegemonialen Bestrebungen im Nahen Osten unterstützt der Iran seit langem schiitische Milizen und hilft dem Regime in Damaskus. Die Türkei und der Iran konkurrieren um Einfluss, vermeiden aber eine direkte Konfrontation. Bisher hat der Iran die türkischen Invasionspläne scharf verurteilt und auch die türkische Operation im Nordirak kritisiert. Russland wird pragmatisch in das Treffen gehen und könnte für kurzfristige Vorteile Zugeständnisse machen. Russland pocht auf die Erlaubnis für eine Passage vom Mittelmeer zum Schwarzen Meer und somit durch türkisches Gewässer.

Sofern es Erdoğan gelingt, Irans Bedenken auszuräumen und Russland den Luftraum über Syrien für die türkische Luftwaffe öffnet, könnte die Invasion in den nächsten Tagen beginnen – außer die internen Kämpfe der Söldnergruppen machen Ankara noch einen Strich durch die Rechnung. Sollte es jedoch zum Krieg kommen, gibt es immer noch die Volksbefreiungseinheiten: »Wir werden mit all unseren Kräften an der Front kämpfen und wir werden hier in der Verteidigung der Revolution unseren Platz einnehmen. Dafür sind wir hergekommen, dafür sind wir da«, so Heval Bager.

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