Entlastung nach 77 Streiktagen

Unikliniken und Beschäftigte in NRW einigen sich auf neuartigen Flächentarifvertrag

Es war kein leichter Kampf, den die Beschäftigten der sechs nordrhein-westfälischen Unikliniken ausgefochten haben. Anfang des Jahres stellten sie ein 100-Tage-Ultimatum für einen Tarifvertrag Entlastung. Das Kalkül dabei war, die bisherige schwarz-gelbe Landesregierung werde es wohl kaum riskieren, dass dieses Ultimatum zwei Wochen vor der Landtagswahl Mitte Mai ausläuft und ein großer Streik ausbricht. Eine falsche Rechnung, wie sich zeigte. NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann äußerte sich zwar zustimmend zur Forderung der Streikenden, aber eine Erfüllung der Forderungen blieb aus. Laumann und die Landesregierung schoben bürokratische Probleme vor. Die Unikliniken in NRW könnten nicht aus dem Tarifvertrag der Länder ausscheren, dies sei doch auch nicht im Interesse der Gewerkschaften.

Als nach dem Auslaufen des Ultimatums am 2. Mai der Streik begann und als sich wenig später mit CDU und Grünen zwei Parteien, die sich für den Entlastungstarifvertrag ausgesprochen hatten, dazu aufmachten, eine Koalition zu bilden, war klar: Es wird einen Tarifvertrag Entlastung geben. Bürokratische Hürden wurden im Landtag abgebaut, die Unikliniken in NRW gründen einen eigenen Arbeitgeberverband.

In der Nacht von Montag auf Dienstag einigte sich die Gewerkschaft Verdi dann mit den Unikliniken auf einen Entlastungstarifvertrag. Nach Abstimmungen an den sechs Klinikstandorten segnete am Dienstagnachmittag auch die Tarifkommission das Ergebnis ab. Katharina Wesenick, Landesfachbereichsleiterin Gesundheit bei Verdi NRW und Verhandlungsführerin, sprach am Dienstagabend davon, dass man »übernächtigt und zufrieden« sei. Mit dem Ergebnis habe man erstmals einen Flächentarifvertrag für Entlastung an Krankenhäusern in Deutschland durchgesetzt. Die Klinikbeschäftigten hätten nach 77 Streiktagen »solidarisch und aufrecht diesen wichtigen Erfolg errungen«. Dabei hätten sie sich weder von Verbotsversuchen noch von Verhandlungsfinten der Arbeitgeber beeindrucken lassen.

Im Ergebnis beinhaltet der Entlastungstarifvertrag, der ab dem 1. Januar 2023 gilt, verschiedene Modelle für unterschiedliche Beschäftigtengruppen in den Kliniken. Für große Teile des Pflegepersonals wurde ein schichtgenaues Verhältnis von Beschäftigten und Patienten festgelegt. Wird dieses Verhältnis unterschritten oder kommt es zu anderweitigen zusätzlichen Belastungen, erhalten die Beschäftigten Belastungspunkte. Für sieben Belastungspunkte gibt es einen freien Tag oder Ausgleichszahlungen. Bis zu 18 zusätzliche freie Tage kann das Pflegepersonal so aufbauen. Verdi erhofft sich dadurch einen starken Anreiz für die Kliniken, zusätzliches Personal einzustellen. Gegen den Belastungsausgleich hatten sich die Kliniken in den Verhandlungen bis zuletzt gewehrt. Jetzt haben sie anderthalb Jahre Zeit, um ihre Computerinfrastruktur auf dieses neue System einzustellen. Heinz Rech, der die Verhandlungen von Gewerkschaftsseite mit führte, erklärte, diese Übergangsfrist sei der Gewerkschaft »schwer gefallen«, die Beschäftigten bräuchten »schnellstmöglich Entlastung«. Deswegen hat man für den Übergangszeitraum pauschal fünf Entlastungstage für das Pflegepersonal vereinbart.

Ein weiterer wichtiger Erfolg aus Sicht der Gewerkschaft ist es, dass erstmals für viele Beschäftigtengruppen außerhalb der Pflege Mindestbesetzungen und Belastungsausgleiche vereinbart wurden. Etwa in der Radiologie, bei den Betriebskindertagesstätten oder bei Therapeuten. Auch hier wurden Mindestpersonalgrenzen festgelegt, bei deren Unterschreitung es zusätzliche freie Tage für die Mitarbeiter gibt. Auch die Auszubildenden in den Kliniken können sich freuen, für sie wurden mehr persönliche Anleitung und zusätzliche Tage für die Selbstlernzeit vereinbart.

Ein ziemlich bitterer Wermutstropfen: Für die Beschäftigten im Servicebereich, bei der IT und in der Technik konnte in den Verhandlungen nicht viel erreicht werden. Hier wurde lediglich vereinbart, dass pro Klinik 30 zusätzliche Stellen eingerichtet werden. Heinz Rech berichtet, dies habe auch in den Belegschaften zu vielen Diskussionen geführt. Die zusätzlichen Stellen seien, insbesondere an der Uniklinik Düsseldorf, nur ein »Tropfen auf den heißen Stein«. Krankenhaus sei Teamarbeit und brauche überall ausreichend Personal.

Katharina Wesenick zeigte sich trotzdem zufrieden. Der Streik sei ein »wichtiger Etappensieg der Beschäftigten«, man habe die eigene Gesundheit und das Patientenwohl gegen die »Profitlogik« im Krankenhauswesen durchsetzen müssen. Besonders wichtig bei der Streikbewegung seien der demokratische Prozess, die große Beteiligung der Beschäftigten und deren Selbstermächtigung gewesen.

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