Blockaden in Budapest

Bevölkerung protestiert wegen Steuererhöhung und Einsparungen gegen Orbán-Regierung

  • Edmond Jäger
  • Lesedauer: 4 Min.

Fahrradfahrer und Fußgänger blockierten in den vergangenen Tagen zu Tausenden Budapester Brücken und Straßen. Einige von ihnen gerieten darüber mit Autofahrern in Streit. Äußerlich erinnern diese Bilder an Klimademos. Doch in Ungarn geht es um etwas anderes. Viele der Demonstranten waren als Fahrradkuriere von Lieferdiensten zu erkennen. Sie demonstrierten gegen eine Steuererhöhung, die sie und viele Selbstständige betrifft.

Viktor Orbán und die von ihm geführte ungarische Regierung sind längst ein Vorbild für die politische Rechte Europas und der USA. Doch ihre Wirtschaftspolitik ist nur schwer mit dem Links-Rechts-Schema zu fassen. Die einen verweisen darauf, dass es in Orbáns Amtszeit – anders als zu Zeiten sozialliberaler Regierungen – keine Austeritätspolitik gab. Außerdem profitieren (heterosexuelle) Familien mit Kindern von neu eingeführten oder erweiterten Beihilfen für die Kinderbetreuung und beim Hauskauf. Die anderen kritisieren die von Orbán eingeführte Flat Tax, die kleine wie große Einkommen mit 15 Prozent besteuert. Ebenso verweisen sie auf stagnierende und niedrige Löhne, die hinter denen in anderen Ländern der Region zurückbleiben.

Die Steuerreform, die die Ungarn auf die Straße treibt, belastet rund 460 000 Selbstständige, die bisher von einer niedrigen Pauschalsteuer, der sogenannten KATA, profitiert haben. Die Fidesz-Regierung hatte die KATA 2013 selbst eingeführt. Sie sieht vor, dass Selbstständige mit einem Jahreseinkommen bis zu umgerechnet 30 000 Euro eine gestaffelte monatliche Pauschale von umgerechnet 60 bis 180 Euro an das Finanzamt abführen können. Laut Umfragen genoss die KATA hohe Zustimmungswerte in der Bevölkerung. Das ist kein Wunder, wenn man bedenkt, dass die monatlichen Pauschalen weit niedriger sind als die übliche Einkommenssteuer.

Die Reform sieht nun vor, dass über KATA nur noch abgerechnet werden kann, wenn man ausschließlich für Privatpersonen arbeitet. So kann ein Elektriker zum Beispiel KATA in Zukunft nur noch nutzen, wenn er Leitungen ausschließlich in Privathäusern verlegt. Sollte er nur einmal für eine Firma arbeiten, dürfte er die Steuerpauschale überhaupt nicht mehr beanspruchen. In der Praxis kann wohl kaum ein Handwerker in Ungarn ausschließlich für Privatpersonen arbeiten.

Die Gesetzesänderung wurde vergangenen Dienstag in gewohnter Fidesz-Manier in nur wenigen Stunden durchs Parlament gepeitscht. Nachdem der Gesetzesvorschlag des Fidesz bekannt geworden war, hatte die Öffentlichkeit nur wenige Tage Zeit, sich mit ihren Einsprüchen zu Wort zu melden. Sowohl die ungarische Industrie- und Handelskammer als auch zahlreiche Sprecher kleinerer Interessengruppen wie die von Sprachschulen lehnen die Reform ab. Ausgenommen von der Reform sind nur Taxifahrer. Der inoffizielle Grund hierfür dürfte wohl die Erinnerung an die Taxiblockade sein, die 1990 den Verkehr in Budapest blockiert hatte, um gegen eine plötzliche Benzinpreiserhöhung der damaligen konservativen Regierung zu protestieren. Eine Wiederholung möchte Fidesz sicher vermeiden.

Neben der Steuerreform hat die Fidesz-Regierung auch beschlossen, die staatliche Stützung der Energiepreise für private Verbraucher zurückzufahren, die sie 2013 selbst eingeführt hat und die das vielleicht prestigeträchtigste Projekt des Orbán-Regimes ist. Obwohl Orbáns Fidesz eine Austeritätspolitik bislang kategorisch ausgeschlossen hatte, setzt sie nun auf Einsparungen, die weite Teile der Bevölkerung treffen.

Zwar hat Ungarn langfristige Verträge über russische Gaslieferungen abgeschlossen, doch die insgesamt steigenden Energiepreise machen sich mittlerweile auch im Donauland bemerkbar. Hinzu kommt, dass das Rechtsstaatsverfahren der EU die jährliche Brüsseler Überweisung blockiert, mit der die Fidesz-Regierung die meisten der öffentlichen Aufträge finanziert. Deren Hauptprofiteur ist zwar Orbáns Entourage, doch auch viele kleine Handwerker leben davon. Die fehlenden Euromilliarden reißen eine klaffende Lücke in das Staatssäckel. Die Ungarn leiden außerdem unter dem Kursverfall des Forint, wodurch ausländische Waren immer teurer werden, bei einer ohnehin hohen Inflation.

Das alles ist in der ungarischen Öffentlichkeit weithin bekannt. Doch Fidesz begründet die Steuerreform mit dem angeblichen massenhaften Missbrauch der bisherigen Pauschalsteuer durch Scheinselbstständigkeit. Im Fall der Fahrradkuriere dürfte der Vorwurf wohl stimmen, in vielen anderen Fällen aber nicht. Fraglich ist, ob die Wähler Fidesz den Bruch wichtiger Versprechen verzeihen werden. Dafür sind die aktuellen Proteste ein Gradmesser. Doch die paar tausend Demonstranten sind noch zu wenig, um die Regierung ernsthaft in Bedrängnis zu bringen.

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