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Die falsche Debatte
Wenn klimaschädliche Subventionen gestrichen werden, reicht das Geld für billige ÖPNV-Tickets und ein gutes Verkehrsangebot
Mensch muss kein Mathegenie sein, um sich zu wundern, warum bei einer Rechnung mit denselben Variablen so unterschiedliche Ergebnisse zustande kommen. Es geht um das 9-Euro-Ticket, insbesondere die Frage nach der Finanzierung für dessen Weiterführung. Die einen finden eine Fortsetzung viel zu teuer; andere meinen, dass es kein Problem sei, das Geld dafür zu finden. Ein Thema, das den Puls der Nation schneller schlagen lässt.
Da gibt es diejenigen, die dieses Ticket – wie Verkehrsminister Volker Wissing – als »fulminanten Erfolg« sehen. Etwa 30 Millionen Menschen nutzen seit Juni das Ticket. Die Fahrgastzahlen seien auf das Niveau von vor der Pandemie gestiegen. Rührende Geschichten machte die Runde, laut denen weit entfernt lebende Familienmitglieder mit schmalem Budget sich endlich wieder einen Besuch leisten konnten.
Genau solche Geschichten geben anderen Anlass, das Ticket als »rausgeschmissenes« Geld zu sehen. »Schnäppchenjäger« unternähmen unnötige Fahrten, schreibt Ulrike Herrmann von der »Taz«. Von einer Verlängerung des 9-Euro-Tickets hält auch Landkreistagspräsident Reinhard Sager nichts – das Geld des Staates hätte wirkungsvoller in Taktung und Ausstattung der Bahn hätte investiert werden können. Und ein Kommentar auf »Zeit online« kritisierte die »Ticketgeschenke an die Mittelschicht«. Die Milliarden Euro, die in ein dauerhaft günstiges ÖPNV-Ticket investiert werden müssten, fehlten an anderer Stelle. Denn für die Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene sei nicht der Preis ausschlaggebend, sondern das Angebot der Bahn.
Um das zu stärken, müssten klimaschädliche Subventionen gestrichen werden. Die Finanzierung eines günstigen Tickets durch das dadurch freigewordene Geld wäre dagegen ein Griff ins Klo. Kurze Frage: Wann sind wir an dem Punkt angekommen, an dem wir uns zwischen günstiger Mobilität für alle und einem guten Angebot entscheiden sollen? Ich sehe niemanden in der Autoindustrie darüber diskutieren, ob wir uns für die neue Autobahn oder das Dienstwagenprivileg entscheiden sollten. Können wir statt Entweder-oder- vielleicht Sowohl-als-auch-Debatten darüber führen, wie wir uns beides – Ausbau und ein günstiges Ticket – leisten können?
Steuervergünstigungen für die Autoindustrie und alles, was damit zusammenhängt, sind für uns so alltäglich geworden, dass wir dieses Geld unbewusst als »unverfügbar« ansehen. Dabei sind das auch nur Subventionen, die wir streichen könnten – wenn der politische Wille da wäre. Laut einer Greenpeace-Studie könnte der Bund bis zu 46 Milliarden Euro jährlich durch den Abbau klimaschädlicher Subventionen gewinnen – und nebenbei könnten wir massiv CO2 einsparen.
Nehmen wir die Entfernungspauschale, die im Jahr rund sechs Milliarden Euro bindet und mit der häufig Autofahrten begünstigt werden. Davon profitieren Spitzenverdiener*innen, die oft weit pendeln. Untere Einkommensgruppen werden kaum entlastet, da in dieser Gruppe die Arbeitswege meist kürzer und die Steuersätze niedriger sind. Oder das milliardenschwere Dienstwagenprivileg, mit dessen Hilfe Menschen kostengünstig ihr Dienstfahrzeug nutzen können – teilweise nur für zusätzlichen Fahrten, die vermutlich sonst nicht gemacht würden. Wo bleibt hier der Aufschrei?
Nicht zu vergessen sind die Kosten, die mit dem teuren ÖPNV-Ticketsystem einhergehen. Im Durchschnitt kostet den Staat ein Hafttag für Schwarzfahrer 157 Euro. Jedes Jahr kommen mehrere tausend Menschen, die sich die Geldstrafe nicht leisten können, für Schwarzfahren in den Knast. Wenn der ÖPNV so günstig wäre, dass ihn sich alle leisten können, fallen diese formalen Kosten weg.
Es ist möglich, sowohl das ÖPNV-Ticket günstig zu machen als auch das Angebot auszubauen. Indem sie so tun, als müsse man sich dazwischen entscheiden, zeigen Politiker*innen und Kommentator*innen die Dominanz der Autoindustrie auf, die sich nie solche Fragen stellen muss. Wir sollten uns damit beschäftigen, Geld für beides freizumachen. Denn es ist da.
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