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- Klimakrise
Grüne Wege aus der Hitzeinsel
Entsiegelung und Bepflanzung sind Gebote der Stunde für Berlin im Klimawandel
Für zwei Tage glühte Berlin diese Woche. Exakt 37,9 Grad wurden am Mittwoch an der Wetterstation auf dem ehemaligen Flughafen Tempelhof gemessen. Nur ganz selten seit Beginn der Wetteraufzeichnungen war es heißer in der Hauptstadt. Mit fast 36 Grad war es am Dienstag nur unwesentlich kühler.
Laut einer aktuellen Analyse des Umwelt-Bundesamtes herrscht seit ein paar Jahren in Berlin ein Klima, wie es vor einem halben Jahrhundert in Karlsruhe im sonnigen und warmen Südwesten Deutschlands üblich war. Und mit der zunehmenden Erderhitzung geht die klimatische Reise der Hauptstadt noch weiter. In 10 bis 20 Jahren soll es vergleichbar mit dem heutigen Klima im zentralfranzösischen Bourges sein, das rund 200 Kilometer südlich von Paris liegt. Im letzten Drittel des 21. Jahrhunderts wird es dann dem aktuellen von Pescara an der italienischen Adriaküste gleichen. Die Stadt liegt nur rund 50 Kilometer weiter nördlich als Rom.
Gerade in den großen Städten wird die Hitze zum großen Problem. Denn die großen Mengen an Beton und Asphalt heizen sich sehr stark auf. Temperaturen von 60 Grad über weiten asphaltierten Flächen sind im prallen Sonnenschein keine Seltenheit. Außerdem wird die Wärme gespeichert. Selbst wenn die Sonne längst untergangen und die schlimmste Hitze vorbei ist, strahlen die tagsüber beschienenen Fassaden so viel Wärme ab, dass man sich beim Vorbeilaufen vorkommt wie ein Grillhähnchen.
»Wärmeinsel-Effekt« wird das seit Langem bekannte Phänomen genannt, das mit der Klimakrise in Berlin bedrohliche Ausmaße für die menschliche Gesundheit, aber auch für Flora und Fauna annimmt. Die Anzahl der Hitzetage in Berlin hat in den vergangenen 30 Jahren deutlich zugenommen. Während es von 1961 bis 1990 durchschnittlich 6,5 Hitzetage mit über 30 Grad pro Jahr gab, waren es zwischen 1990 und 2019 bereits durchschnittlich 11,5 Hitzetage, mit einem Rekord von 28 Hitzetagen im Sommer 2018.
Was dagegen hilft? Mehr Grün! Vor allem Bäume. Wie groß der Effekt ist, ergibt eine Ende 2021 vorgelegte Studie der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich unter Federführung des Geoökologen Jonas Schwaab. Auf Basis von Satellitendaten haben die Forschenden in 293 europäischen Städten Bodentemperaturen gemessen. Der Boden baumbestandener Flächen ist demnach in Berlin im Mittel bis zu 12 Grad kühler als der versiegelter Areale. Das liegt unter anderem daran, dass Bäume durch tiefgründige Wurzeln mehr Wasser aufnehmen und verdunsten können.
Vor allem während heißer und trockener Perioden haben Bäume dadurch einen größeren Kühlungseffekt als Grünflächen ohne Bäume. Rasenflächen sind nur bis zu rund 2,3 Grad kühler, bei naturnäheren Wiesen beträgt die Differenz immerhin noch bis zu 3,5 Grad. Werden nur die heißesten Monate Juni, Juli und August betrachtet, wird der Effekt größer: Fast 13 Grad macht er unter Bäumen aus, 2,9 Grad auf Rasenflächen und immerhin 5,2 Grad auf Wiesen. Dabei geht es nicht um vereinzelt stehende Bäume, sondern um größere Flächen in Parks oder auf Friedhöfen. Jonas Schwaab betont auch, dass es sich um Oberflächentemperaturen handele, in bodennaher Luft sei der Temperaturunterschied deutlich geringer.
Doch jede Entsiegelung hilft, die Lage zu verbessern. Einen Vorschlag, wie man gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen kann, und das auch noch vergleichsweise zügig, hat die Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Naturschutz erarbeitet, ein Zusammenschluss von zwölf Naturschutzverbänden der Hauptstadt. Sie will ein grünes Band zwischen dem Preußenpark nördlich des Fehrbelliner Platzes und dem Volkspark Wilmersdorf rund 700 Meter südlich davon schaffen. Dafür sollen Teile der Barstraße entsiegelt und begrünt werden.
»Tatsächlich ist sie die kürzeste Verbindung mit viel Potenzial, weil sie sehr ruhig ist, aber überdimensioniert«, sagt Antje Henning von der Initiative Grünzüge für Berlin bei einem Ortstermin am Donnerstag vergangener Woche. Die wenig befahrene Nebenstraße verfügt auf den ersten 150 Metern ab dem Fehrbelliner Platz über einen Hochbord-Radweg, der verschwinden könnte, sobald, wie in absehbarer Zeit zu erwarten, die Verbindung zur Fahrradstraße umgewidmet wird. Mit rund zwei Metern mehr Breite könnte auf diese Weise die Fläche des vorhandenen Baumstreifens ungefähr verdoppelt werden.
»Wenn hier entsiegelt werden würde, könnte vom Dach des Verwaltungsgebäudes der Bundesnetzagentur das Regenwasser eingeleitet werden«, sagt Henning. Das würde auch den Bäumen zugutekommen. Es sei »ein größeres Thema, das jetzt kommen wird, dass das Dachregenwasser nicht in die Kanalisation eingeleitet wird und letztlich verloren ist für die Grundwasser-Neubildung, sondern zurück in den Boden geleitet wird. Da sollten die Behörden eigentlich mit gutem Beispiel vorangehen«, so die Naturschützerin.
Im weiteren Verlauf der Barstraße soll die gepflasterte Fläche des Bürgersteigs, der angesichts der schwachen Nutzung mit einigen Meter Breite viel zu groß als benötigt ist, halbiert werden. Die derzeit sehr kleinen Baumscheiben sollen Teil eines breiten grünen Bandes werden. Antje Henning hat recht präzise Vorstellungen, wie die Fläche einmal aussehen soll: »Am Rand wollen wir Sträucher pflanzen, damit es abgeschirmt vom Straßenverkehr und auch wirklich grün ist. Dabei sein sollte auch ein Trampelpfad, also nicht das, was die Verwaltung in der Regel vorsieht, breit mit wassergebundener Decke, damit man wirklich auch im Grünen durchgehen kann.« Es mache ja auch einen gesundheitlichen Unterschied, ob man auf harten Wegen laufe oder auf weichen.
Doch nicht nur dem menschlichen Wohlbefinden soll die Begrünung dienen, sondern auch als sogenannte Biotopverbindung zwischen den zwei Parks. »Das ist ein Angebot für Tiere, vor allem für Insekten«, sagt Manfred Schubert, Geschäftsführer der Landesarbeitsgemeinschaft. Hecken als Besiedelungsflächen für Insekten, kleine Wirbeltiere und Vögel seien ein wichtiges Element. Für »durchaus aufwertbar« hält Schubert auch die Grünstreifen mit »gezielter Pflege und ausgewählten Saatgutmischungen«.
»Unser Bürgernetzwerk, das sich vor zwölf Jahren gegründet hat, setzt sich ein für die grün vernetzte Stadt«, sagt Antje Henning. »Wir wollen herausfinden, wie man mit wenig Mitteln Grünflächen verknüpfen kann und damit auch multiplizieren.« In der Barstraße dürfte es zumindest kaum Widerstand gegen die Umgestaltung geben, denn kein einziger Parkplatz würde deswegen angetastet werden. Eigentlich könnte es also schnell gehen.
Das zuständige Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf hat bisher noch nicht auf die Vorschläge reagiert. Henning findet das durchaus misslich, denn in der vergangenen Woche hat die Senatsumweltverwaltung einen zehn Millionen schweren Finanztopf für Entsiegelungsmaßnahmen aufgelegt. »Die Mittel müssen bis Jahresende verausgabt werden«, berichtet sie und bezweifelt, dass die Bezirke überhaupt ausführungsreife Projekte haben.
Weil das Geld auch für sogenannte Stadtmöblierung genutzt werden kann, befürchtet sie, dass es vor allem in Dinge wie Parklets fließen wird – Plattformen, mit denen Parkplätze zu zusätzlichen Bürgersteigflächen umgenutzt werden. Dabei hat das Netzwerk Grünzüge für Berlin mit der Bellermannstraße in Gesundbrunnen noch einen weiteren einfachen Entsiegelungskandidaten ausgemacht. Wo einst Vorgärten waren, ist nun auf 700 Metern Länge ein überbreiter Bürgersteig.
Seit Ende 2019 verfügt ein Bezirk sogar über eine Potenzialstudie zur Entsiegelung und Grün-Vernetzung. »Mehr Grün in Friedrichshain-Kreuzberg« lautet der schlichte Titel. Für ein Projekt am Halleschen Ufer kam vor zwei Wochen der Bewilligungsbescheid für knapp drei Millionen Euro an Bundesmitteln. Auf 600 Metern zwischen U-Bahnhof Möckernbrücke und Mendelssohn-Bartholdy-Park soll der Autoverkehr in beiden Richtungen südlich des Landwehrkanals geführt werden. Der Uferstreifen soll zum Park mit Fahrradweg werden. Für den Boxhagener Platz in Friedrichshain wird in der Analyse der Umbau von bisherigen Parkplatzflächen zu begrünten Mulden für die Regenwasser-Versickerung vorgeschlagen. Ob solche Mulden mitten im Partykiez nicht eher zu Müllhalden verkommen würden, ist eine andere Frage.
Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und Linke ist das Ziel formuliert, dass ab 2030 unter dem Strich keine Flächen in Berlin neu versiegelt werden. Das »Netto Null« soll »zum Beispiel durch Rasengitter oder grüne Mittelstreifen erreicht werden«, heißt es. »Lochgittersteine unter Parkplätzen und auf Schulhöfen sind wirklich das allerletzte Aufgebot – nicht nur fantasie- bis ambitionslos, sondern auch ohne weitere Synergieeffekte für Grünflächenversorgung, Stadtraumgestaltung, Artenschutz, Kühlung durch Vegetation«, empört sich Antje Henning gegenüber »nd«. Auch von isolierten Parkplatzentsiegelungen hält man bei Grünzüge für Berlin nichts. Das raube nur Flexibilität und verhindere die Neuaufteilung des Straßenraums zugunsten von Straßenbahn, Fahrrad. »Die sollte zuerst gedacht werden, bevor man einzelne Parkplätze entsiegelt«, so Henning weiter. »Im Grunde demonstriert man damit, dass man am System gar nichts ändern will«, sagt die Aktivistin.
Der Umweltverband BUND Berlin fordert von Senat und Bezirken angesichts der Lage Sofort-Maßnahmen beim Umgang mit Niedrigwasser, Dürre, Grundwassertiefständen und bei der Versorgung des Stadtgrüns mit Wasser. »Derzeit befindet sich der Grundwasserspiegel 20 bis 50 Zentimeter unter dem langjährigen Mittel. Die Bodenfeuchte als Indikator für eine ausreichende Wasserversorgung von Pflanzen hat bereits Mitte Mai alarmierende Tiefststände erreicht. Eine Besserung der Lage ist derzeit nicht in Sicht«, heißt es in einer Mitteilung vom Mittwoch. »Wir rufen die Verantwortlichen dazu auf, Flächen konsequent zu entsiegeln und die Umsetzung der Schwammstadt, die auch das Wasser von Starkregen speichern kann, ernsthaft in Angriff zu nehmen«, so BUND-Wasserexpertin Verena Fehlenberg.
»Die Entsiegelung von Teilen der Bürgersteige kann man ganz schnell angehen und hat sofort auch einen Mehrwert für Straßenbäume sowie Flächen, in die Dachregenwasser eingeleitet und dem Grundwasser wieder zugeführt werden kann«, sagt Antje Henning. Ein ganz großes Potenzial seien auch Plätze und Parks, von denen einige erst in den letzten Jahren versiegelt worden seien. Sie nennt Olivaer und Steinplatz, den Kleinen Tiergarten in Moabit oder den »hoch versiegelten« Gleisdreieckpark.
»Man muss irgendwo in der Stadt anfangen und etwas machen«, sagt Manfred Schubert von der Landesarbeitsgemeinschaft Naturschutz.
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