Moskaus Ukraine-Schlingerkurs

Russlands Außenminister Lawrow will statt Verhandlungen Regime-Change in Kiew

  • Daniel Säwert
  • Lesedauer: 4 Min.

Am Sonnabend erreichte Russlands Krieg in der Ukraine eine neue traurige Marke. Es war der 150. Tag des Einmarschs in das Nachbarland, der bis heute die Frage aufwirft, welche Ziele der Kreml eigentlich verfolgt. Offiziell will Moskau die Ukraine mit seiner »Sonderoperation«, wie der Krieg in Russland heißt, »entnazifizieren«, »entmilitarisieren« und die Menschen im Donbass »vor einem Genozid schützen«. Das gilt bis heute in den Aussagen von Politiker*innen. Bei der Untersuchung offizieller Stellungnahmen fiel russischen Medien auf, dass die »Entnazifizierung« für den Kreml schnell in den Hintergrund rückte. Als Ende März erstmals über einen möglichen Frieden verhandelt wurde, war von »Entnazifizierung« keine Rede mehr. Stattdessen rückte die »Entmilitarisierung« in den Vordergrund. Moskau versuchte mit allen Mitteln, den Beitritt der Ukraine zur Nato zu verhindern und war dafür sogar bereit, Kiew in die Europäische Union ziehen zu lassen.

Nachdem der Versuch, die Hauptstadt Kiew zu erobern, gescheitert war, zogen sich die russischen Truppen in den Osten der Ukraine zurück, untermalt von einer staatlichen Rhetorik, die die Befreiung des Donbass als das eigentliche Ziel des Krieges ausgab. Außenminister Sergej Lawrow versicherte Mitte April in einem Interview mit dem Fernsehsender India Today , dass Moskau keinen Sturz der Regierung in Kiew plane. »Wir haben nicht vor, das Regime in der Ukraine auszuwechseln, davon haben wir mehrfach gesprochen. Wir wollen, dass die Ukrainer selbst entscheiden, wie sie weiterleben wollen. Wir wollen, dass die Menschen eine Wahlfreiheit haben«, erklärte Lawrow damals.

Bei einem Besuch in Turkmenistan Ende Juni erklärte der russische Präsident Wladimir Putin, dass alles nach Plan laufe. Russlands Ziel sei der »Schutz der Menschen, die acht Jahre lang Hohn und Spott ausgesetzt sind und einem Genozid durch das Kiewer Regime«. Das endgültige Ziel seines Krieges sei die Befreiung des Donbass und die Schaffung von Bedingungen, die Russland Sicherheit garantieren, so Putin. Wann der Kreml seine Ziele erreicht haben will, erklärte der Kreml-Chef nicht. Das sei das Leben, man könne keinen Zeitplan diktieren, erklärte Putin der Nachrichtenagentur TASS. Damit zog sich Moskau auf die Position zurück, die es zu Kriegsbeginn bereits einnahm: den Schutz der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk. Zweifel an den eigenen Zielen wurden in Russland nicht verlautbart, ganz im Gegenteil. Wenige Tage nach den Aussagen Putins legte der Sekretär des Sicherheitsrates Nikolaj Patruschew nach und unterstrich, man werde die angegebenen Ziele trotz der westlichen Waffenlieferungen erreichen.

Die modernen Waffen, mit denen sich die Ukraine zunehmend erfolgreich gegen die russische Armee wehrt, haben im politischen Moskau zu einem deutlich schärferen Ton geführt. Mit Verweis auf Artillerie und Raketen mit höherer Reichweite deutete Lawrow in einem Interview mit Ria Nowosti und RT eine mögliche Ausweitung der russischen Militäraktivitäten an. »Die Geografie ist jetzt eine andere«, so Lawrow, »es sind bei Weitem nicht mehr nur die DNR und LNR, es sind auch die Gebiete Cherson, Saporoschje und eine Reihe anderer Territorien.« Lawrow machte damit deutlich, dass Russland die eroberten Gebiete womöglich nicht wieder räumen wird. Immer wieder gibt es Berichte, der Kreml plane in den südukrainischen Gebieten für den Herbst ein Referendum, bei dem über den Beitritt zu Russland abgestimmt werden soll.

Am Sonntag legte Lawrow bei einem Treffen mit der Arabischen Liga in der ägyptischen Hauptstadt Kairo noch einmal nach und brachte einen Regime-Change in Kiew ins Gespräch, nachdem er zuvor stets auf weitere Gespräche gehofft hatte. »Wir helfen dem ukrainischen Volk auf jeden Fall, sich von dem absolut volks- und geschichtsfeindlichen Regime zu befreien«, denn Moskau habe Mitleid mit den Menschen in der Ukraine, die Besseres verdienten. Die aktuelle Regierung versuche, aus der Ukraine einen Erbfeind Russlands zu machen, was Moskau verhindern wolle. Die Menschen in der Ukraine und Russland würden aber weiterhin zusammenleben, so der russische Außenminister.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.