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Kommunizierende Keller
Ein Roman über einen Roman: Oliver Teutsch erzählt die Entstehungsgeschichte von Hans Falladas »Jeder stirbt für sich allein«
Ein Roman über einen Roman? Als Werbebotschaft ist das übertrefflich. Als Formel für den Inhalt verspricht es in dem Fall aber einiges. Denn der Roman, um den es geht, ist »Jeder stirbt für sich allein«, einer der besten Romane über Nazideutschland. Und sein Autor Hans Fallada führte ein Leben, dessen Grellbuntheit nicht mal er selbst auserzählt hat. Überdies verknüpft der Schriftsteller Oliver Teutsch in »Die Akte Klabautermann« Fäden der Literaturgeschichte zu einem wahren »Who is Who« der Nachkriegsszene. Sein Buch ist zwar kein literarisches Meisterwerk, aber ein Großereignis in Sachen literarischer Bildung.
Eingangs laufen wir durch einen Alltag, der uns dieser Tage wieder neu packt. Berlin liegt in Trümmern. Wer ein Haus sucht, das er vor dem Krieg kannte, muss zunächst raten, wo die Straße verlief. Gesellschaftliches Zentrum ist der Schwarzmarkt. Im Sommer 1946 stellt die Bewag zwischenzeitig das Gas ab, um Selbstmorde zu erschweren. Wie soll aus diesen Ruinen eine Kultur auferstehen? Theaterkarten gibt es, außer für Geld, auch gegen Nägel. Die werden fürs Bühnenbild benötigt. Bücher soll man seinem Theater schenken. Das führt sie auf, falls es sich um Dramen handelt. Legal überleben geht nur mit Lebensmittelkarte. Und schon ist die Klassengesellschaft wieder da: »Für führende Schriftsteller und Dichter« gibt’s Karte Nummer zwei. Für Nummer drei muss ein Autor Arbeitsproben vorlegen.
Oben im Literaturregal steht jetzt Johannes R. Becher. Aus dem Moskauer Exil kommend, bezieht der Ex-Expressionist eine Villa in Berlin-Niederschönhausen, einer Gated Community für sowjetische Offiziere und ihre Freunde. Dabei ist Becher, als zweiter Hauptcharakter des Romans neben Fallada, mit überlegten Strichen gezeichnet; er verfällt nicht einer Häme, die seine Hymnen auf Stalin und die lyrischen Häkeldeckchen für Wilhelm Pieck sich redlich verdient hätten. Bechers Engagement für Literatur und Literaten, seine Ziele als Präsident des von ihm initiierten »Kulturbunds zur demokratischen Erneuerung Deutschlands« werden ernst genommen. Das Verhältnis zwischen dem Politiker und dem Künstler Becher interessiert Oliver Teutsch. »Mir hat die Politik Halt geboten«, vertraut der spätere DDR-Kulturminister Becher dem Kollegen Fallada an. Und einen Halt brauchte er.
Auf einer gemeinsamen Autofahrt entdecken Becher und Fallada einander die Abgründe ihrer Biografien. Siehe da, sie ähneln sich. Den Lesenden seien die Keller hier nicht aufgesperrt, sondern zur eigenen Nachforschung empfohlen. Nur so viel: Echte Leichen liegen dort. Und mit Morphium kannten sich beide aus. Becher, von dem man das gar nicht so wusste, war früh wieder clean. Fallada gelang das ein Leben lang nicht. »Er würde Fallada nicht fallen lassen, nahm sich Becher vor. Dieser Mann hatte Ähnliches durchlitten wie er selbst.« Außer Empathie und Solidarität drückt sich da ein Komplementärnarzissmus aus, der Becher gespannt sein ließ auf den Ausgang eines Lebens, das zu führen er selbst nicht mehr wagte.
Aber warum überhaupt die zwei Hauptfiguren? Das liegt an der »Akte Klabautermann«, einem Widerstandsvorgang, den die Gestapo in vier Bänden erfasst und den der Kulturbund als Stoff für den ersten antifaschistischen Roman der Nachkriegszeit ausgesucht hat. Wer soll diesen Roman schreiben? Bald ist klar: einer, der die letzten zwölf Jahre in Deutschland gelebt hat. Die Emigranten fallen mal wieder durchs Rost. Und auch verdiente Widerstandskämpfer unter den Schriftstellern haben das Nachsehen. Falladas Beliebtheit, sein Können entscheiden: Becher will ihn unbedingt für den Stoff gewinnen.
Fallada jedoch interessiert ein anderer Stoff. Er und seine zweite Frau sind morphiumsüchtig. Und pleite. Das Elend einer co-abhängigen Beziehung ist eindringlich erzählt. Beinahe durch das ganze Buch hindurch wehrt der Autor sich gegen den Auftrag. Er war kein Widerstandskämpfer, will sich mit solchen Federn nicht schmücken. Zudem empfindet er die Geschichte von zwei alten Eheleuten, die einsam Postkarten gegen Hitler schreiben und in Treppenhäusern auslegen, als zu düster. Die Zeit braucht Mutmachendes.
Aber Becher lässt nicht locker. Heftet das Ende der Akte gleich mal raus, ihren düstersten Teil: gegenseitige Beschuldigungen der Eheleute, um die eigene Haut zu retten. Und bietet Fallada ein erkleckliches Honorar an. Der schreibt trotzdem einen komplett anderen Roman, bis er schwach wird. Und das nur, weil die Defa sich meldet, ein noch besseres Angebot macht: 50 000 Mark für die Filmvorlage. Jetzt ist Falladas Widerstand gebrochen.
Erwähnt sei an der Stelle, dass Oliver Teutschs Buch akribisch recherchiert ist, verlässlich in einem über die planen Fakten hinausgehenden Sinn. Es muss ein Filmangebot sein, das den Ausschlag gibt. Die Besatzungsmacht wusste, was sie tat, als sie Kulturförderung gegen den Berliner Hungeralltag einsetzte und dabei den Film priorisierte. Theodor Plivier erzählt in seinem Roman »Berlin« die Satire, wie zur Wiedereröffnung der Staatsoper Unter den Linden der Nachkriegsfilm-Erstling »Befreite Musik« entsteht. Teutsch liefert dazu eine nicht unwesentliche Fußnote: Den quasi kommissarischen Interimsleiter des Orchesters hatte ein sowjetischer Posten in seinem Auto erschossen. Hier wiederum ist man an das tragische Ende des Schriftstellers Friedo Lampe erinnert, der 1945 zu den Worten starb: »Pass nix gutt, du SS.« Traurig aber wahr, so was passierte damals.
Fallada schreibt also los. Für die 700 Seiten des Schwanengesangs wird er keine vier Wochen brauchen. Es wundert ihn selbst. »Sein Hirn hatte wohl still und heimlich an der Geschichte herumgekaut«, mutmaßt er. Erinnert man sich, was während der Inkubationszeit der Inhalt seines Lebens war, regt sich ein dunkler Verdacht: Die Sisyphusarbeit des Widerständlers und der verzweifelte Kampf des Morphinisten haben eine Schnittmenge. Sie heißt: Einsamkeit.
Oliver Teutsch: Die Akte Klabautermann. Axel-Dielmann-Verlag, 315 S., geb., 24 €.
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