• Politik
  • Politische Krise in Italien

Wahlkampf im Sommerloch

Trotz vieler Hindernisse soll in zwei Monaten in Italien ein neues Parlament gewählt werden

  • Wolf H. Wagner, Florenz
  • Lesedauer: 4 Min.

»Chiuso per ferie« – wegen Urlaub geschlossen. Einen solchen Aushang kann man zu dieser Zeit normalerweise an vielen Geschäften und Unternehmen lesen. Auch die Volksvertreter befinden sich im August meist außerhalb ihrer Büros. Ganz Italien zieht es ans Meer oder in die Berge, auf den Straßen der Städte schleppen sich nur noch Touristen durch die Hitze.

In diesem Jahr werden jedoch erstmals in der Geschichte der Republik Parlamentswahlen im September abgehalten. Da bleibt nicht einmal Zeit, einen ordentlichen Wahlkampf zu organisieren. Das politische Rom wimmelt durcheinander wie ein aufgestörter Ameisenhaufen. Einerseits sucht man noch nach Schuldigen und Verantwortlichen für die aktuelle politische Krise, andererseits sondiert man mögliche Kandidaten für beide Parlamentskammern und hält Ausschau nach Politikern, die eine neue Regierung bilden könnten. Vor allem im politischen Spektrum links der Mitte lotet man mögliche Wahlallianzen aus.

Der politische Buhmann dieser Tage ist die Protestbewegung 5 Sterne (M5S). Mit ihrer Weigerung, den Ministerpräsidenten bei der Abstimmung über die Krisenhilfspakete zu unterstützen, hatten die »Grillini« den Rücktritt Draghis in Gang gesetzt. Da verwundert es nicht, dass aktuell niemand aus den großen Parteien mit M5S ein Wahlbündnis eingehen will, zumal die Bewegung sich selbst zunehmend demontiert. Neuesten Umfragen verschiedener Meinungsforschungsinstitute zufolge liegen die Sterne nur noch bei rund zehn Prozent – das ist weniger als ein Drittel des Stimmenanteils, der die Bewegung bei der Parlamentswahl 2018 zur stärksten Einzelpartei werden ließ. Als Einzelpartei dürfte M5S wohl auch in das neue Parlament gelangen, doch eine Kraft von Gewicht dürften die Pentastellati dann kaum noch sein.

Zusammengehen möchte mit der Partei, die »Draghi gestürzt« hat, eigentlich niemand. Für die Linken ist das ein großes Dilemma. Zwar legt der sozialdemokratische Partito democratico mit etwa 23 Prozent Wählergunst an Stimmen zu. Doch die Kräfte, die der PD den Rücken gekehrt haben, dürfen den Sprung ins Parlament nicht schaffen. Matteo Renzis »Italia Viva« werden drei Prozent vorausgesagt, Carlo Calendas »Azione« kommt zusammen mit der Partei +Europa auf sieben Prozent. Der Zusammenschluss Draghi-treuer ehemaliger 5-Sterne-Parlamentarier »Insieme per il futuro« (Gemeinsam für die Zukunft) von Luigi Di Maio liegt bei gerade mal 1,5 Prozent. So mehren sich die Stimmen derjenigen, die ein breites Bündnis gegen Rechts fordern und dafür bereit sind, zum Beispiel mit Berlusconi-Abtrünnigen zusammenzuarbeiten.

Deutlich zu bemerken ist eine Konsolidierung der Mitte-rechts-Parteien. Doch die aktuelle Krise stärkt vor allem die extreme Rechte. Die Umfragen sehen die postfaschistische Partei Fratelli d’Italia unter Giorgia Meloni mit bis zu 25 Prozent vorn. Zwar sind Matteo Salvinis Lega (12,4 Prozent) und Silvio Berlusconis Forza Italia (rund sieben Prozent) etwas abgerutscht, doch eine Allianz aus den drei Parteien würde mit rund 44 Prozent der Stimmen den Wahlsieg erringen. Schon sieht sich FdI-Chefin Meloni nach dem 25. September als erste Frau im Palazzo Chigi, dem Amtssitz des Ministerpräsidenten.

Abgesehen von der politischen Konfusion treten in Rom derzeit erhebliche bürokratische Probleme auf. Die bisherige Vielparteienkoalition hat eine deutliche Verkleinerung des italienischen Parlaments beschlossen. Im Abgeordnetenhaus werden künftig statt 630 nur noch 400, im Senat statt der bislang 321 nur noch 200 Volksvertreter sitzen. Es fehlen jedoch Bestimmungen, mit denen die Verteilung der Sitze entsprechend dem Parteienproporz geregelt wird. Unklarheiten gibt es auch bezüglich der Anzahl und Besetzung der parlamentarischen Ausschüsse. Vorgesehen war, entsprechende Regelungen noch rechtzeitig vor den nächsten Wahlen zu erlassen. Allerdings hat man dabei den regulären Termin im Frühjahr 2023 im Auge gehabt. Draghis Rücktritt überraschte auch die mit der Ausarbeitung befassten Gremien und machte ihre Planung zunichte. Und schließlich ist jetzt eigentlich Sommerpause …

Beim Wahlvolk selbst sorgen die Vorgänge in Rom für viel Kopfschütteln. Auch die Partner in der EU zeigen sich angesichts der Spannungen auf dem Kontinent tief besorgt über das italienische Chaos. Die Wirtschaft reagiert heftig: Die Börse in Mailand schließt im Negativen, der Spread – der Zinsunterschied zwischen deutschen und italienischen Staatsanleihen als ein verlässlicher Seismograf für Italiens Standing – ist kräftig gestiegen.

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