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Ignorierte Indizien

Bundesgerichtshof prüft Revision im Mordfall Lübcke

  • Joachim F. Tornau, Karlsruhe
  • Lesedauer: 4 Min.

Eigentlich sind Revisionsverhandlungen am Bundesgerichtshof (BGH) allein ein Wettstreit der Juristen. Nüchtern, paragrafengespickt. Doch als es am Donnerstag um den rechtsextrem motivierten Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke ging, wurde es für einige Momente emotional. Da ergriff Irmgard Braun-Lübcke, die Witwe des ermordeten CDU-Politikers, das Wort. Und machte deutlich, warum sie und ihre Söhne den weiten Weg nach Karlsruhe auf sich genommen haben.

»Mit seinem Mord ist nicht nur sein Leben zerstört worden, sondern auch unseres«, sagte sie mit zitternder Stimme. »Wir müssen damit umgehen, und das gelingt uns mal weniger, mal mehr.« Noch immer hofft die Familie zu erfahren, wie die letzten Minuten und Sekunden von Walter Lübcke wirklich abgelaufen sind. Ob er hinterrücks erschossen wurde oder ob es einen Wortwechsel gab. Ob der Mörder allein handelte oder einen Mittäter hatte. »All das wäre so wichtig.« Das Urteil des Oberlandesgerichts in Frankfurt, das jetzt am BGH auf dem Prüfstand steht, lasse zu viele dieser Fragen offen.

Im Januar 2021 war der Kasseler Neonazi Stephan Ernst zu lebenslanger Haft wegen heimtückischen Mordes aus niederen Beweggründen verurteilt worden. Es wurde die besondere Schwere der Schuld festgestellt, sodass eine Haftentlassung nach 15 Jahren so gut wie ausgeschlossen ist. Zudem wurde die anschließende Sicherungsverwahrung vorbehalten.

Der Staatsschutzsenat war überzeugt, dass Ernst als Einzeltäter handelte, als er den Regierungspräsidenten am späten Abend des 1. Juni 2019 aus Hass auf dessen liberale Haltung in der Geflüchtetenpolitik erschoss. Sein wegen Beihilfe mitangeklagter Gesinnungsgenosse Markus H. dagegen wurde freigesprochen.

Gegen dieses Urteil hat nicht nur die Familie Lübcke Revision eingelegt, sondern auch die Bundesanwaltschaft. »Durchgreifende Erörterungsmängel« und »überspannte Anforderungen an die Beihilfe«, monierte Bundesanwalt Johann Schmid. So habe der Frankfurter Staatsschutzsenat angenommen, dass ein politisches Attentat für Markus H. ein fernliegender Gedanke gewesen sei – obwohl bei ihm eine Zielscheibe mit dem Konterfei von Angela Merkel und dem Wort »Volksverräter« gefunden wurde. »Damit wurde ein gewichtiges Indiz übergangen«, befand Schmid.

Während Markus H. bis heute zu den Vorwürfen schweigt, hatte Stephan Ernst den Mord schon bei der Polizei gestanden. Später variierte er seine Aussage immer mehr, bis er zuletzt sogar behauptete, Markus H. sei mit ihm am Tatort gewesen. Nicht nur ein Helfer also, sondern ein Mittäter. Das Gericht aber hielt das erste Geständnis, in dem der heute 48-Jährige die Schuld allein auf sich genommen hatte, für glaubhaft – ohne indes zugleich auch das zu glauben, was Ernst darin über seinen Mitangeklagten gesagt hatte. Dass ihn der jetzt 44 Jahre alte Freund im Hass auf Walter Lübcke bestärkt habe, zum Beispiel.

Dieser grundlegende Fehler ziehe sich als »roter Faden« durch das gesamte Urteil, sagte Ali Norouzi, Anwalt der Familie Lübcke. Wie die Bundesanwaltschaft forderte er, den Frankfurter Richterspruch aufzuheben. Dann müsste ein anderer Senat des Oberlandesgerichts erneut über die Tat verhandeln. Und die Familie des Ermordeten könnte wieder auf Antworten hoffen.

Ebenso aufgehoben werden soll nach Ansicht der Bundesanwaltschaft ein Teilfreispruch von Stephan Ernst. Dem einschlägig vorbestraften Neonazi war auch der versuchte Mord an einem irakischen Geflüchteten vorgeworfen worden. Ahmed I., der damals erst kurze Zeit in Deutschland lebte, war im Januar 2016 auf offener Straße von einem Fahrradfahrer niedergestochen worden. Bei Ernst wurde später ein Messer mit DNA-Spuren gefunden, die zum Opfer passen könnten. Doch dem Oberlandesgericht reichte für einen Freispruch, dass er den Kaufbeleg für ein solches Messer vorlegen konnte, ausgestellt mehr als drei Wochen nach der Tat.

Nebenklageanwalt Alexander Hoffmann, der den jungen Iraker vertritt, sprach von einem möglichen »Legendierungskauf«. Wie die Bundesanwaltschaft ist er der Meinung, dass die bloße Existenz der Quittung noch kein Unschuldsbeweis ist. Bevor Hoffmann zu seinem Plädoyer ausholte, wandte er sich jedoch an Irmgard Braun-Lübcke und ihre Söhne. »Ich bedanke mich ganz ausdrücklich bei Ihnen dafür, dass sie auch jetzt dranbleiben und kämpfen«, sagte der Anwalt. »Ohne Menschen wie Ihren Mann und Ihren Vater, die klare Kante zeigen, hätten es Menschen wie mein Mandant noch schwerer.«

Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs wird in vier Wochen erwartet.

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