- Berlin
- Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit
Überfällige Anerkennung
Schöneweider Dokumentationszentrum erinnert an NS-Zwangsarbeit – nach langem Kampf von Initiativen
Sieben bis acht Stockbetten haben bis 1945 wohl in jedem der kleinen Räume von Baracke 13 gestanden. Ein mit einfachem Brunnen ausgestatteter Waschraum musste für 200 bis 300 Menschen reichen. Die Wände sind heute zum großen Teil unverputzt, nur stellenweise ist noch die grünliche Wandfarbe aus der NS-Zeit zu sehen. Der Toilettenraum war zwischenzeitlich weiß gefliest, wurde bis zur Musealisierung im Jahr 2010 aber wieder zurückgebaut. Baracke 13 ist die einzige des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit in Schöneweide, die wieder so hergerichtet werden konnte, wie sie von der Fertigstellung der Sammelunterkunft für Zwangsarbeiter*innen 1943 bis zum Kriegsende ausgesehen hat.
Die sechs restlichen Baracken wurden zu DDR-Zeiten als Impfstoffinstitut genutzt. »Da lässt sich der Putz nicht mehr entfernen, ohne die Bausubstanz zu beschädigen«, sagt Christine Glauning, Leiterin des Dokumentationszentrums, zu »nd«. Deshalb sind viereinhalb dieser Baracken modern saniert, seit der Eröffnung des Zentrums 2006 werden dort Ausstellungen, Büros und Seminarräume untergebracht. Die Sanierung der letzten eineinhalb Baracken steht 2023 an.
Doch bis dahin war es ein langer Kampf vieler Initiativen wie der Berliner Geschichtswerkstatt, die sich nach der »Entdeckung« des ehemaligen Zwangsarbeiterlagers in den 1990er Jahren für den Denkmalschutz und den Erhalt dieses Ortes eingesetzt hatten. »Das Schicksal der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter wurde lange verdrängt und vergessen. Es fehlte die Anerkennung, dass Zwangsarbeit ein NS-Unrecht war«, kritisiert Glauning. 13 Millionen Zwangsarbeiter*innen gab es im Deutschen Reich, davon allein 500.000 in Berlin. Zum einen Teil wurde die Zivilbevölkerung in den besetzten Gebieten, vor allem in Osteuropa, zum Arbeiten verschleppt, zum anderen Teil handelte es sich um Militärinternierte. Letztere stellten mit über 400 Italienern schätzungsweise fast die Hälfte der Zwangsarbeiter*innen in der Schöneweider Unterkunft. Kurz vor Kriegsende wurden hier außerdem 200 weibliche KZ-Häftlinge untergebracht.
Viele der Zwangsarbeiter*innen waren in den Fabriken des umliegenden Industriegebiets tätig, zum Beispiel in der Batteriefabrik Pertrix oder der Allgemeinen Elektricitäts-Gesellschaft (AEG). Allgemein wurden viele aber auch in kleineren Unternehmen oder als Haushaltshilfen eingesetzt. »Zwangsarbeit war wesentlicher Bestandteil der Alltagsgeschichte der Deutschen. Jede Behörde war involviert, es gab keinen Betrieb, der nicht davon profitierte«, sagt Glauning. Das heißt: Jede*r muss davon gewusst haben – und doch geriet Zwangsarbeit, anders als die Shoah, schnell in Vergessenheit. Von den rund 3000 Lagern, die es in der Hauptstadt gegeben haben muss, ist das in Schöneweide das einzige, das fast vollständig erhalten ist.
Auch die Geschichte dieses Lagers kam erst im Zuge eines Sanierungsverfahrens 1993 wieder ans Licht. Nach 1945 dienten einige der Gebäude als Papier- und Getreidedepot der sowjetischen Armee, eine nicht fertiggestellte Baracke riss man ab. Später wurden die Gebäude als Tischlerei, Molkerei oder Impfstoffinstitut weitergenutzt. Das Institut ist nach der Wende abgewickelt worden, die entsprechenden sechs Baracken standen dann fast 15 Jahre leer. In vier Baracken sind bis heute unter anderem ein Autohaus, eine Kita und eine Kegelbahn untergebracht. Der Autohausbesitzer ließ eine weitere im Jahr 2000 abreißen – obwohl der gesamte Gebäudekomplex kurz zuvor unter Denkmalschutz gestellt worden war. Erst 2004 entschied das Berliner Abgeordnetenhaus die Einrichtung eines Dokumentationszentrums, mit dessen Betreuung die Stiftung Topographie des Terrors beauftragt wurde.
Auch Baracke 13, die sich etwas enfernt vom übrigen Dokumentationszentrum befindet, hinter Autohaus und Kita, direkt neben der Kegelbahn, war lange in Privatbesitz und wurde erst 2008 vom Land Berlin gekauft. Ein Grund dafür waren original erhaltene Inschriften an den Wänden des darunterliegenden Luftschutzkellers. Italienische Zwangsarbeiter hatten hier unter anderem die Daten von Luftangriffen vermerkt. Die Förderung des Dokumentationszentrums sollte eigentlich von Bund und Land gemeinsam finanziert werden, doch der Bund hielt sich bis 2017 heraus, sodass viele der Kosten durch Berliner Mittel, Spenden und Drittmittel gedeckt werden mussten.
Für Christine Glauning steht auch das exemplarisch dafür, dass Zwangsarbeit jahrzehntelang nicht als NS-Verbrechen galt, sondern als »Maßnahme zur Beseitigung des kriegsbedingten Arbeitermangels«. Ab dem Jahr 2000 konnten manche noch lebende ehemalige Zwangsarbeiter*innen Einmalzahlungen als Entschädigung beantragen, wenn sie entsprechende Nachweise erbrachten, nicht jedoch die italienischen Militärinternierten, denen im Dokumentationszentrum eine eigene Ausstellung gewidmet ist. »Es geht aber nicht nur um Geld, sondern vor allem um die offizielle Anerkennung als NS-Opfer«, betont Glauning. Ziel des Dokumentationszentrums sei es daher, mit Ausstellungen, Veranstaltungen und Bildungsangeboten die Problematik der Zwangsarbeit stärker im kollektiven Gedächtnis zu verankern.
Im Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit in Schöneweide sind dauerhaft die Ausstellungen »Alltag Zwangsarbeit« und »Zwischen allen Stühlen. Die Geschichte der italienischen Militärinternierten« zu sehen. Noch bis Ende des Jahres läuft die Veranstaltungsreihe »NS-Zwangsarbeit vor unserer Haustür«, die jeden Monat Zwangsarbeit in einem anderen Berliner Bezirk in den Blick nimmt. Am 4. August beginnt die Sonderausstellung »Eine Poster-Novel« des ukrainischen Künstlers Ihor Tvoronovych. Und am 17. September das Online-Projekt »Ware Mensch«, bei dem Zwangsarbeit in Berlin per App entdeckt werden kann.
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