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Weibliche Widersprüche

An ihrem Lebensabend drängte es Louise Bourgeois zur Arbeit mit Textilien – eine Ausstellung in Berlin zeigt widerspenstige Werke aus dieser Zeit

  • Lena Böllinger
  • Lesedauer: 6 Min.
Louise Bourgeois: »Spider«, 1997
Louise Bourgeois: »Spider«, 1997

Es passiert nicht häufig, dass man ein Museum betritt und unmittelbar hineingezogen wird in die Zwiespältigkeit der weiblichen Existenz. Doch wer die Ausstellung »Louise Bourgeois: The Woven Child« im Berliner Gropius-Bau besucht, sieht sich sogleich damit konfrontiert.

Eines der ersten Exponate der Ausstellung zeigt eine Art Garderobe mit schwarzen langen, spindeldürren Stangen. Durchsichtige Nachthemden, eine ausgestopfte rosa Bluse und ein schwarzes Kleid schweben da an »Kleiderbügeln« aus dicken rohen Knochen. »Nur noch Haut und Knochen«, nennt man einen abgemagerten Körper – es sind noch immer vor allem weibliche Körper, die sich aus dem Leben hungern und damit den widersprüchlichsten Anforderungen entkommen, die an sie gestellt werden. Die absurdesten Projektionen überziehen und zergliedern den Frauenkörper und seine Erfahrungen: Er soll zugleich fleischlich üppig und feenhaft substanzlos sein; mütterlicher Schutzschoß, mädchenhaft zart. Die Frau ist gleichzeitig nur Körper und kein Körper, fetischisiertes Ersatzobjekt, Körper-Teil, das nicht mehr zum ganzen Original zurückfindet, nicht einmal als beruhigende Illusion.

Bourgeois’ makabres Arrangement wirkt wie eine offensive Verdichtung solcher Abstrusitäten, und doch bleibt die Komposition subtil und diskret in ihrer suggestiven Kraft. Sie überlässt die Betrachterin ihren eigenen Assoziationen, Imaginationen, Erinnerungen und Erfahrungen, die nicht zwangsläufig beim magersüchtigen Körper einsetzen, sondern ebenso fortgleiten können zur alternden Mutter oder Großmutter oder zur eigenen Vergänglichkeit.

Die Installation rückt einem auf den Leib, aber sie ist unaufdringlich, fast diskret hinsichtlich dessen, was sie konkret beim Betrachten evoziert. Keine plakative Moral, keine pädagogische Besserwisserei und erst recht keine Empowerment-Plattitüden, die alles in bejahendem Wohlgefallen auflösen. Stattdessen artikuliert sich hier eine weibliche Erfahrungswelt, die auf der widerspenstigen und verstörenden Ambivalenz ihres Daseins beharrt.

Das gilt für nahezu alle Werke der Ausstellung und liegt nicht zuletzt am spezifischen Fokus der Schau. Gezeigt werden Arbeiten aus den letzten zwei Jahrzehnten der Künstlerin, die 2010 im Alter von 98 Jahren starb. In dieser letzten Schaffensperiode widmete sie sich Textilien. Sie arbeitete mit Kleidungsstücken (eigenen aus der Kindheit oder von ihrer Mutter), Frotteetüchern, Bettwäsche, Decken, Fetzen, Tapisserieresten. Sie riss, flickte, vernähte, trennte auf, drapierte, stickte und stopfte und bearbeitete so ein Material, das auch kunstgeschichtlich lange Zeit als abgewertetes »Kunsthandwerk« galt. Zumal der weibliche Umgang mit Stoff, Nadel und Faden ebenfalls kaum der Kunst, sondern allenfalls der narzisstisch konnotierten Mode oder der großmütterlichen Handarbeit zugerechnet wurde.

Doch Louise Bourgeois ließ sich davon weder beirren, noch sah sie sich zu trotzigen „Jetzt erst recht»-Reaktionen veranlasst. Es drängte sie in dieser Phase ihres Lebens und Schaffens schlicht zu diesem Material. Also arbeitete sie damit. Herauskommen sind dabei »Stangen«-Installationen wie die beschriebene geisterhafte Garderobe, lebensgroße, puppenhafte Gliedmaßen und verstümmelte Torsos, manchmal mit Prothesen aus Holz oder Metall, die sich in teils sexuellen Verrenkungen verzweifelt ineinander oder umeinander winden. Oder auch Köpfe, die an heroische Männerbüsten erinnern, doch sichtlich vernarbt sind durch Stoffwülste, bunte Muster und grobe Nähte. All das, die Haptik des Materials, die Versehrtheit der figurativen Elemente, die konsequente Abgründigkeit und existenzielle Doppelbödigkeit des Zusammengefügten und Auseinandergerissenen, die darin enthaltene psychologische Metaphorik – all das führt beim Betrachten zu einem physischen Involviertsein, einer taktilen Empfindsamkeit, die weit über die rein visuelle Erfahrung hinausgeht.

Das trifft auch auf eine weitere Werkgruppe der Ausstellung zu, die mit »Cells« betitelt ist. Es handelt sich bei diesen »Zellen« um kleine Räume, deren »Wände« aus Holztüren und Maschendrahtzaun bestehen, teils mit Stoff- oder Tapisserieresten dekoriert. In »Cell VII« schweben erneut weiße Nachthemden auf Knochenbügeln mitten im Raum. In einer Ecke sitzt eine riesige Spinne aus Metall, in einer anderen steht eine Miniaturwendeltreppe, auf deren Plattform oben eine Spindel liegt, in der Nadeln stecken, das eingefädelte Garn verliert sich im Raum. Man weiß nicht so recht, ob man in eine kindliche Dachbodenerinnerung blickt, in der fröhlich Verstecken gespielt wird, oder in ein albtraumhaftes Szenario, in dem sich rätselhaft morbides Unheil ankündigt.

In einer anderen »Zelle« sitzt die Spinne nicht innen, sondern umschließt den käfigartigen Bau aus Maschendraht von außen. Meterhoch ragen die stählernen Spinnenbeine um den Käfig, im Inneren steht ein Sessel, an der Decke hängen, direkt unter dem Bauch der Spinne, in Stoff gewickelte Glaseier. In einer weiteren Zelle sitzt die Spinne in einem engen, von alten Holzfenstern umgebenen Raum auf einem Sessel. Der Körper ist ein armloser Frauenkörper aus dem gleichen Tapisseriestoff wie der Sessel; unzählige metallische Spinnenbeine ragen aus der Leibmitte hervor, aus dem Mund dieser Spinnenfrau wiederum gehen gespannte Schnüre ab und enden auf Garnspulen, die auf einem Fenstersims über der Spinnenfrau aufgereiht sind.

Bourgeois hat keine Scheu vor Spinnen, im Gegenteil, sie verbindet ein nahezu zärtliches Gefühl mit ihnen. Die Spinne erinnert sie an ihre Mutter, eine Restaurateurin, die Tapisserien wiederherstellte und ausbesserte, unermüdlich und geduldig. In einem Interview erzählte Bourgeois 1998: »Ich stamme aus einer Familie von Reparateuren. Spinnen sind Reparateurinnen. Wenn man in ein Spinnennetz schlägt, wird die Spinne nicht wütend. Sie webt es weiter und repariert es.«

Und doch ist auch diese Zärtlichkeit von einer untrüglichen Ambiguität durchzogen. Es ist kein Zufall, dass beispielsweise jene ins Riesenhafte vergrößerte Spinne durchaus bedrohlich wirkt. Sie schützt die Maschendraht-Zelle unter sich nicht nur, sondern vereinnahmt sie auch. Damit ist ebenso unklar, ob das drahtige Gestell unter der Spinne sicherer Zufluchtsort oder käfigartiges Gefängnis ist oder irgendwie beides. Man kann das auch als pointierten Kommentar auf die Untiefen des Mutter-Tochter-Verhältnisses begreifen, das nicht nur psychoanalytisch, sondern auch gesamtgesellschaftlich vernachlässigt wurde und wird und sich im Vergleich zur männlichen Genealogie kaum in Formen kultureller und symbolischer Bearbeitung niederschlägt.

Auch an vielen anderen Stellen der Ausstellung ist die Mutterschaft Thema und zwar nicht nur als soziales Verhältnis, sondern auch als biologischer Prozess, der subjektiviert, emotional verarbeitet, kognitiv angeeignet werden muss: Puppen, die andere Puppen gebären; Skizzen von Nabelschnüren, an denen Kinder wie Ballons in der Luft schweben; schwangere Körper und pralle Brüste, die in Arme oder gar Spinnenbeine übergehen; eine armlose Stoffpuppe, aus deren Brüsten weiße Schnüre hervorkommen, die säuberlich aufgewickelt auf akkurat drapierten Garnspulen enden. Bei der für die Ausstellung titelgebenden Arbeit »The Woven Child« hängt ein rosafarbenes embryonales Puppenwesen in einem Netz unter einem Teesieb, das wie ein schützender Schirm über ihm aufgespannt ist – oder hält auch dieses Netz eher gefangen, als dass es schützt?

Bourgeois legt in ihrem Schaffen Zeugnis ab. Sie ist persönlich, sie geht von sich selbst, den eigenen Erfahrungen als Tochter, Mutter und Frau aus und treibt ihre Arbeit doch weit über den zwangsläufig beschränkten subjektiven Horizont hinaus, hin zu einer Abstraktion, die gerade in der verstörenden Unkenntlichkeit etwas Universelles zum Ausdruck bringt.

»Louise Bourgeois: The Woven Child«, bis 23. Oktober, Gropius Bau, Berlin.

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