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Tödliche Zwangsräumung
Kölner fordern Solidarität gegen Preisexplosionen im Herbst, um Zwangsräumungen zu verhindern
Zwei amtliche Siegel der Polizei Bonn kleben zwischen Tür und Türrahmen der Wohnung in der Gernsheimer Straße, in der am vergangenen Mittwoch Jozef B. erschossen wurde. Die Tür wurde offensichtlich mit Gewalt geöffnet. Das Schloss ist herausgebrochen. Am Mittwoch sollte der 48 Jahre alte Mann geräumt werden. Weil er im Vorfeld Gewalt angekündigt habe, sei die Gerichtsvollzieherin bei der Räumung von der Polizei unterstützt worden, heißt es in einer Polizeipressemitteilung. Dort heißt es auch, dass B. mit einem Messer bewaffnet gewesen sei und sich aggressiv benommen habe. Der Einsatz von Pfefferspray sei erfolglos gewesen. Daraufhin schossen die eingesetzten Polizisten auf den Mann. Jozef B. starb noch in seiner Wohnung.
Die Zwangsräumung mit tödlichem Ende sorgte für Empörung in den sozialen Medien. Menschen erinnerten an ähnliche Fälle aus der Vergangenheit und warnten, dass die explodierenden Kosten für Lebensmittel und Energieversorgung die Situation in den kommenden Monaten noch verschärfen könnten. Das ist auch der Grund, warum die Initiative »Recht auf Stadt Köln« am Samstagnachmittag zu einer Kundgebung vor dem Haus, in dem die tödlichen Schüsse gefallen sind, aufgerufen hat. Gut 30 Menschen sind gekommen. Noch vor der Kundgebung sprechen Nachbarinnen die Organisator*innen an. Sie äußern ihr Bedauern über den tödlichen Ausgang der Zwangsräumung, sagen aber auch, dass es »so einfach« nicht sei. Jozef B. sei oft betrunken und aggressiv gewesen. Es wird von Bierflaschen berichtet, die er vom Balkon warf und davon, dass er beim Wechseln des Wassers in seinem Aquarium mehrmals größere Schäden angerichtet habe. Ob die Nachbarinnen das selbst erlebt haben oder ob sie nur die Berichterstattung im Kölner Boulevardblatt »Express« verfolgt haben, wird nicht ganz klar. Andere Nachbar*innen sagen, dass sie B. nicht kannten. Einer macht eine Geste, die wohl zeigen soll, dass Jozef B. ein Alkoholproblem hatte.
Kalle Gerigk, stadtpolitischer Aktivist aus Köln und einst selbst von einer Zwangsräumung betroffen, zeichnet ein anderes Bild von Jozef B. In der Corona-Pandemie sei dieser zum Alkoholiker geworden. Er habe sein Leben als Straßenmusiker nicht mehr wie gewohnt führen können. Ein Problem habe zum anderen geführt. Gerigk spricht über einen Beitrag, den der WDR vor mehreren Jahren über Jozef B. gedreht hat. Darin erzählt Jozef B., dass er 1993 aus Russland nach Deutschland kam, weil er nicht zum Militärdienst im Tschetschenien-Krieg eingezogen werden wollte. An der Hochschule für Musik & Tanz in Köln hat er dann studiert. Später machte er mit seinem Xylophon in Köln Straßenmusik. Das Xylophon steht an diesem Samstag noch im Flur vor der Tür zur Wohnung von Jozef B.
Von Kalle Gerigk wird aber nicht nur erinnert. Er zeigt auch deutlich Probleme auf. Über Jozef B. sei auch bekannt gewesen, dass er für den Fall einer Räumung mit Suizid gedroht habe. B. habe »mit dem Rücken zur Wand« gestanden. In so einem Fall brauche es Menschen, die sich kümmern, und nicht Gerichtsvollzieher*innen und Polizist*innen, die kämen, um das Recht durchzusetzen. Gerigk befürchtet, dass die tödliche Zwangsräumung Menschen traumatisiert haben könnte. Die Freund*innen von Jozef, seine Nachbar*innen, die den Einsatz miterlebten, aber auch die eingesetzten Polizist*innen und die Gerichtsvollzieherin. Von der Politik in Köln und im Land fordert Gerigk, dass sie Konsequenzen aus dem Fall zieht und dafür sorgt, dass es nicht wieder so weit kommt. Betroffenen müsse geholfen werden, bevor es zu spät ist.
Dass es im Herbst und Winter Zwangsräumungen »hageln« könnte, befürchtet »Recht auf Stadt Köln« auch im Aufruf zu der Kundgebung. Köln-Ostheim, könnte dabei in den Blickpunkt geraten. Die Hochhaussiedlung, in der Jozef B. lebte, gilt als sozialer Brennpunkt. Im Stadtteil sind fast ein Drittel der Bewohner*innen auf Hartz-IV angewiesen. Die Armut in Ostheim treibt auch einen jungen Mann um, der sich Fritz nennt und bei der Kundgebung spricht. Er habe mit Menschen im Viertel gesprochen. Er stellt eine Vereinzelung fest, Menschen »verpfeifen« einander bei der Polizei oder würden zu »Spitzeln« der Vermieter. Dies müsse überwunden werden, appelliert Fritz an die Teilnehmer*innen der Kundgebung. Es gelte sich zusammenzuschließen. Mit Kabeltrommeln oder Mehrfachsteckdosen könne bei Stromsperren geholfen werden. Auch ein ganzer Wohnblock, der die Miete verweigere oder mindere, sei nur schwer klein zu kriegen. Und schließlich: »Jede Räumung, bei der zwei- oder dreihundert angepisste Leute auftauchen, ist für Ämter und Cops ein Horrorjob!«
Bei den Kundgebungsteilnehmer*innen erntet Fritz viel Applaus. Die meisten Anwohner*innen interessieren sich allerdings nicht für kämpferische Reden. Sie stehen am Rand, schwatzen miteinander oder schleppen den Wochenendeinkauf ins Haus.
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