- Berlin
- Mietenwahnsinn
Ungebremste Bodenpreisspirale
Noch nie wurde in Berlin so viel für Häuser und Grundstücke bezahlt wie 2021
Um 28 Prozent stieg 2021 der Geldumsatz auf dem Berliner Immobilienmarkt. 23,9 Milliarden Euro flossen beim Verkauf von insgesamt 27 646 Häusern und Grundstücken. Das ergibt sich aus dem am Donnerstag veröffentlichten Immobilienmarktbericht des Gutachterausschusses für Grundstückswerte.
Für die Mieterinnen und Mieter in der Hauptstadt ist das rund 100-seitige Werk, das auf der Auswertung aller notariell beglaubigten Verträge über Grundstücksverkäufe und Erbbaurechte basiert, ein Dokument des Schreckens. Der mittlere Kaufpreis für reine Wohnhäuser im Geschosswohnungsbau kletterte 2021 auf 2465 Euro pro Quadratmeter wertrelevanter Flächen. Ein Plus von 18 Prozent im Vorjahresvergleich. Wohn- und Geschäftshäuser sind im Vergleichszeitraum sogar um 23 Prozent teurer geworden und kosteten im Mittel 2555 Euro pro Quadratmeter.
Eigentumswohnungen sind noch einmal deutlich teurer. Der mittlere Preis pro Quadratmeter Wohnfläche im Bestand lag im vergangenen Jahr bei 5379 Euro, 14 Prozent höher als 2020. Im Neubau wurden 7296 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche fällig, damit lagen die Preise im Jahr 2021 um 13 Prozent höher als ein Jahr zuvor. Die teuerste Wohnung wechselte im Vorjahr übrigens für 9,6 Millionen Euro den Besitzer. Rund 30 000 Euro pro Quadratmeter wurden für das in einer Seitenstraße des Kurfürstendamms gelegene Objekt bezahlt.
Insgesamt verkauft wurden im vergangenen Jahr 22 471 Eigentumswohnungen in Berlin, fast ein Fünftel mehr als 2020. Rund 1,4 Millionen Quadratmeter beträgt die Wohnfläche zusammengerechnet.
Noch steiler nach oben ging es 2021 bei den Aufteilungen von Mietshäusern in Eigentum. Der Anstieg betraf 28 768 Wohneinheiten, die Hälfte mehr als im Vorjahr. Spitzenreiter waren hier die Altbezirke Charlottenburg mit 3704 Wohnungen und Prenzlauer Berg mit 3271 Wohnungen.
Der Immobilienmarktbericht verdeutlicht auch, warum die Bestandsmieter in Eigentumswohnungen vor dem Verkauf gern rausgeekelt werden. Mit Mietern wurden in der Innenstadt diese Wohnungen im Mittel für 4487 Euro pro Quadratmeter verkauft, bezugsfrei für 5860 Euro. Selbst bei einer 60-Quadratmeter-Wohnung kann eine Entmietung also einen um über 80 000 Euro höheren Verkaufserlös bedeuten. Das sollte man auch bedenken, bevor man vorschnell niedrig angesetzten Prämien für einen Auszug zustimmt.
»Diese Preisanstiege bei den Immobilien werden zu weiter deutlichen Mietsteigerungen führen. Uns graut vor der Veröffentlichung des nächsten Mietspiegels«, erklärte der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, Reiner Wild. »Der Druck auf die Erhöhung von Mieten entsteht verschärft nach einem Verkauf von Wohngebäuden oder vermieteten Eigentumswohnungen, weil der Erwerber zur Refinanzierung seines Kaufpreises zumeist die Mieterhöhungsspielräume ausschöpft«, so Wild weiter.
Der Gutachterausschuss nennt »besondere Nachholeffekte aufgrund von Marktverunsicherungen 2020« als Ursache für den Preisschub im vergangenen Jahr. »Nach erster Datenanalyse belegen die bislang vorliegenden Umsätze und Preisangaben des Jahres 2022 ein Abebben der besonderen Nachholeffekte aus dem Jahr 2021. Der Immobilienmarkt Berlin dürfte somit nach den besonderen Jahren 2020 und 2021 zur Normalität zurückkehren«, heißt es im Immobilienmarktbericht.
»Das Spekulationskarussell dreht sich in Berlin massiv weiter und zeigt, wie zentral der Bestandsschutz von Mieter*innen ist«, kommentiert Katrin Schmidberger gegenüber »nd«. Sie ist wohnungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Das sei keine gute Entwicklung für die Mieter*innen, denn sie müssen die gestiegenen Kaufpreise durch ihre Mieten refinanzieren. Umwandlungen brächten oft spätere Eigenbedarfskündigungen mit sich, so werde der Schutz vor Verdrängung faktisch ausgehebelt.
»Mit Einführung der Umwandlungsbremse im Herbst letzten Jahres ist die Umwandlung deutlich erschwert worden und seitdem sogar zurückgegangen«, sagt Linke-Wohnungspolitiker Niklas Schenker. »Die gestiegenen Umwandlungszahlen für 2021 im Immobilienmarktbericht machen jedoch deutlich, dass viele Eigentümer*innen offenbar kurz vor Einführung des Gesetzes noch schnell ihre Häuser aufgeteilt haben«, so Schenker weiter.
»Umso wichtiger, dass der Senat nun die im Haushalt zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel für ein Rechtsgutachten nutzt, das landesrechtliche Möglichkeiten für den Schutz der Berliner*innen vor Eigenbedarfskündigungen aufzeigt«, fordert die Grüne Schmidberger. »Im Rahmen der Landeskompetenz für das Wohnungswesen kann Berlin durchaus, wenn die Versorgung der Bevölkerung mit ausreichendem Wohnraum zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet ist, Bedingungen für Eigenbedarfskündigungen stellen und diese dann einschränken«, so die Politikerin weiter.
Deutlich gestiegen sind auch die Grundstückspreise beim Bauland für Geschosswohnungsbau. Pro Quadratmeter verkaufter Fläche wurden knapp 44 Prozent mehr gezahlt. Der Vergleich ist allerdings schwierig, weil es auch darauf ankommt, wo die jeweils verkauften Flächen liegen. Die auf Basis der Verkaufspreise errechneten Bodenrichtwerte, die jährlich neu festgesetzt werden, stiegen je nach Lage und möglicher Nutzung zum 1. Januar 2022 um fünf bis 30 Prozent. Mit einer Ausnahme: Die Preise für Flächen für den »Geschosswohnungsbau in innerstädtischen Spitzenlagen« gingen nicht noch weiter nach oben.
»Dass die Bodenwerte in innerstädtischen Spitzenlagen für Mehrfamilienhäuser nicht mehr angehoben werden, ist keine Entwarnung oder ›Normalität‹, sondern verdeutlicht, dass Grundstückspreise den Neubau finanziell oft verunmöglichen«, sagt die Grünen-Politikerin Katrin Schmidberger. »Dieser Bericht muss endlich Anlass sein, um die Bodenbewertung neu und ohne spekulative Gewinne aufzustellen, sodass wir aus der Bodenpreisspirale wieder herauskommen«, fordert sie.
»Bewegt man sich dagegen vom Zentrum Richtung Stadtrand, führt das geringere Ausgangsniveau der Bodenrichtwerte in diesen Lagen zu einem Anstieg von 10 bis 20 Prozent. Diese Lagen sind vermehrt in den Fokus der Investoren geraten«, heißt es im Immobilienmarktbericht weiter über den Geschosswohnungsbau.
»Welche Auswirkungen Energie- und Klimakrise sowie der Krieg in der Ukraine haben werden, wird erst der nächste Immobilienmarktbericht zeigen. Dass aber ein weiterer Schutz vor der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen notwendig ist, zeigen auch schon die gestiegenen Zahlen im Jahr 2021«, erklärt die Staatssekretärin für Mieterschutz, Ülker Radziwill (SPD), zum Bericht.
Dass sich private Investoren angesichts der Lage zunehmend aus dem Wohnungsbau zurückziehen, zeigen die am Donnerstag veröffentlichten Zahlen des Münchner Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung. Der Anteil der von der Streichung von Wohnungsbauprojekten betroffenen Unternehmen lag demnach im Juli bei 11,5 Prozent, nach 12,3 Prozent im Vormonat. Im Mai hatte der Anteil sogar 15,8 Prozent betragen. »Noch sind die Auftragsbücher prall gefüllt. Aber die explodierenden Baukosten, höheren Zinsen und schlechteren Fördermöglichkeiten stellen mehr und mehr Projekte infrage. Wir beobachten seit April eine Stornierungswelle. Die ehrgeizigen Neubauziele der Bundesregierung rücken damit in weite Ferne«, sagt Ifo-Forscher Felix Leiss.
Die Materialengpässe – die sich mit dem russischen Einmarsch in die Ukraine drastisch verschärft hatten – entspannen sich demnach nur langsam. Im Juli meldeten noch 45,6 Prozent der Betriebe im Wohnungsbau Lieferprobleme. Im Vormonat hatte der Anteil bei 47,6 Prozent gelegen. »Infolge der Knappheit und der hohen Energiekosten haben sich viele Baustoffe erheblich verteuert. Die Bauunternehmen mussten daher selbst immer wieder an der Preisschraube drehen«, ergänzt Leiss. »Am Bau kippt die Stimmung«, sagt er weiter.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.