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Klinikärzte unter Druck
Umfrage des Marburger Bundes weist auf Schwachstellen der stationären Versorgung hin
Wer schon einmal am Ende eines Klinikaufenthalts eine halbe Ewigkeit und länger auf die Entlasspapiere warten musste, konnte sich selbst damit trösten, dass den Ärzten vermutlich »etwas Ernstes« dazwischengekommen war. Dieses könnte aber auch etwas recht Alltägliches gewesen sein: Zeitdruck, unter dem sich Mediziner im Krankenhaus sehen und unter dem sie entscheiden müssen, ob sie Patienten untersuchen, versorgen oder viele Daten in verschiedene Systeme eingeben.
Bei drei Stunden täglich liegt im Mittel der Zeitaufwand für Datenerfassung und Dokumentation für Klinikärzte. Diese Zahl gehört zu den Ergebnissen einer Umfrage, die von der Ärztegewerkschaft Marburger Bund (MB) alle zwei Jahre erstellt wird. Der MB-Monitor erfasst wichtige Aspekte der Belastung, mit denen die ärztlichen Beschäftigten in Kliniken, in ambulanten Versorgungszentren und im Öffentlichen Gesundheitsdienst klarkommen müssen. Vorgestellt wurden die Ergebnisse der Befragung, an der sich etwa 8500 Mediziner beteiligten, am Donnerstag in Berlin.
Der Zeitaufwand für administrative Tätigkeiten liegt für fast ein Drittel der antwortenden Ärzte sogar bei mindestens vier Stunden täglich. MB-Vorsitzende Susanne Johna hält es für einen Skandal, wie viel Arbeitskraft und Arbeitszeit hier vergeudet wird: »Das hat negative Auswirkungen auf die Patientenversorgung und auf die Arbeitszufriedenheit von Ärztinnen und Ärzten. Würde nur die Hälfte der Zeit für unsinnige und überflüssige Schreibarbeit eingespart, wäre schon viel für die Patientenversorgung gewonnen.«
Die genannten Probleme haben nicht nur, aber auch mit der schleppenden und unzureichenden Digitalisierung des Gesundheitswesens zu tun. Aus den Antworten der Ärzte geht jedenfalls hervor, dass in vielen Einrichtungen die Ausstattung mit Hard- und Software mangelhaft ist. Die Hälfte der Befragten gibt an, dass Mehrfacheingaben identischer Daten gelegentlich vorkämen. Bei fast einem Drittel ist das sogar häufig der Fall. Mehrfacheingaben sind auch dann nötig, wenn die Systeme nicht richtig funktionieren. Das scheint regelmäßig vorzukommen.
Oft seien auch die Rechte für den Zugriff auf die Daten nicht sinnvoll vergeben, berichtet MB-Vertreter Andreas Botzlar. Müssen sich Ärzte verschiedener Abteilungen beraten, müssen sie sich häufig weiterhin auf den Weg machen, um Behandlungsunterlagen einzusehen, wie früher, als etwa Röntgenbilder nur analog vorlagen. »Internationale Kollegen berichten oft mit leuchtenden Augen, was sich mit einer gelungenen Digitalisierung alles machen lässt. Unsere Kollegen hier fragen sich dagegen immer, wie lange das noch so weitergeht«, schildert Botzlar die Lage.
Jüngere Ärzte müssen erfahren, dass die Belastung durch bürokratische Vorgänge noch zunimmt. Das liegt auch daran, dass Geschäftsführung und IT-Abteilungen über die Anschaffung neuer Software entscheiden, nicht aber die Anwender auf Stationen, in OP- und Diagnostikabteilungen. Schulungen für IT-gestützte Abläufe gebe es zu wenig, meist liefen die Lernprozesse schlicht nach dem Prinzip »ausprobieren, scheitern, weiter probieren«, so die Studie.
Etwas Hoffnung vermittelt der jetzt zur Wirkung kommende Krankenhauszukunftsfonds. Allein in Bayern stellten diverse Krankenhausträger unter anderem für den Ausbau der digitalen Behandlungsdokumentation 1400 Förderanträge. Bundesweit sind es bereits mehrere Tausend. Die schleppende Digitalisierung in den Kliniken hat aber auch damit zu tun, dass genau diese Prozesse im gesamten Gesundheitswesen noch nicht zukunftssicher organisiert sind. Es gibt weiterhin Unklarheiten über die elektronische Patientenakte, etwa zur Datensicherheit.
Entlastung in bürokratischer Hinsicht könnte etwa durch Stationssekretariate geschaffen werden. Das scheint wenig realistisch in Zeiten, in denen Krankenhäuser weiter unter ökonomischem Druck stehen. Paradoxerweise hat die Einführung von Pflegepersonaluntergrenzen und die Ausklammerung der Pflegekosten aus den Fallpauschalen dazu geführt, dass die Kliniken seitdem bei den ärztlichen Stellen sparen. Scharf kritisiert die MB-Vorsitzende jene Arbeitgeber, die in den zurückliegenden zwei Pandemiejahren Arztstellen abgebaut haben: »Die Mitglieder berichten von hohen Wochenarbeitszeiten und vielen Überstunden.« Ein Drittel der Befragten bejahte die Frage nach einem Stellenabbau in den letzten zwei Jahren, bei privaten Trägern waren es sogar 51 Prozent.
»Der Marburger Bund hat vor diesem Effekt von Anfang an gewarnt, obwohl wir die Pflegebudgets und Untergrenzen begrüßen. Das konnten aber nur erste Schritte sein«, erklärt Johna. Deshalb fordert die Gewerkschaft, das System der Fallpauschalen völlig aufzugeben und die Krankenhausfinanzierung neu aufzustellen. Eingeschlossen ist hier die Forderung, dass die Bundesländer endlich in realem Umfang für die Investitionskosten der Kliniken aufkommen. Das geschieht bislang nicht.
Dem Druck begegnen vor allem Mediziner durch ihre »persönliche Arbeitszeitreform«, indem sie in Teilzeit gehen. Anders lassen sich für viele die im Mittel deutlich über 50 Stunden liegenden Wochenarbeitszeiten inklusive aller Dienste und Überstunden nicht verkraften. Ein Fünftel arbeitet im Schnitt sogar 60 Stunden pro Woche und mehr. Aber fast die Hälfte wünscht sich eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit von maximal 48 Stunden. So bleibt etlichen nur der Wechsel in die ambulante Versorgung, wo laut MB die Arbeitszufriedenheit deutlich höher ist. Oder sie ziehen sich, im schlechteren Fall, ganz aus der Patientenversorgung zurück.
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