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Wildüberbestand lässt Wölfe gedeihen
Mit der Vermehrung der Raubtiere in Brandenburg muss gerechnet werden
49 Wolfsrudel und acht einzelne Wolfspaare leben in Brandenburg. Allein im ersten Quartal 2022 haben sie 240 Schafe gerissen. Das geht aus einer Statistik des Landesumweltamts hervor. Gleich zwölf Schafe holten sich die Raubtiere Anfang Januar in Görzig im Landkreis Oder-Spree, wieder zwölf Ende Februar in Mulknitz in Spree-Neiße und gleich 13 Ende März in Dahme/Mark im Landkreis Teltow-Fläming. In die Statistik werden auch einige Fälle aufgenommen, in denen die Gutachter zumindest nicht ausschließen konnten, dass Wölfe die Schafe getötet haben. Nur bei fünf Tieren waren sich die Experten sicher, dass der Verlust der Bauern nicht auf das Konto von Wölfen geht. Auch fünf Ziegen, 46 Rinder und ein Pferd sind in die amtliche Statistik zum Rissgeschehen eingegangen.
»Die anhaltenden Nutztierschäden erklären sich zum einen durch die steigende Anzahl der Rudel in Brandenburg. Zum anderen ereignen sich mehr Vorfälle in Gebieten, in denen der Wolf bisher nur sporadisch oder als Durchzügler aufgetreten ist«, heißt es vom Umweltamt. Bis 2015 lagen die vom Land pro Jahr gezahlten Beihilfen für betroffene Landwirte insgesamt immer unter 20 000 Euro im Jahr. Danach stiegen die Summen mit Ausnahme von 2018 Jahr für Jahr stark an und überschritten im vergangenen Jahr die 180 000-Euro-Grenze.
In 77 Prozent der Fälle, waren die Nutztiere auf der Weide überhaupt nicht vor Übergriffen durch Wölfe geschützt. In zehn Prozent der Fälle genügten die Schutzmaßnahmen gerade einmal dem Mindeststandard, um bei einem Wolfsriss als Bauer finanziell durch das Land Brandenburg entschädigt zu werden. Nun in zehn Prozent der Fälle waren die Herden so abgesichert, wie vom Landesumweltamt empfohlen. Die Wölfe hatten also leichtes Spiel. Auch von hohen Zäunen lassen sie sich nicht abschrecken. Sie wühlen sich, wenn das geht, unter dem Zaun hindurch. Wenn ein Wolfsrudel einmal einen Zaun überwunden hat, merkt es sich, wie das geht. Zäune dieser Art sind dann für die Raubtiere auch an anderer Stelle kein Hindernis mehr, hat das Umweltamt herausgefunden. »Ein guter Herdenschutz ist deshalb unerlässlich und wird vom Land Brandenburg gefördert«, betont das Umweltamt. Die Landtagsabgeordnete Saskia Ludwig (CDU) hat sich nun in einer parlamentarischen Anfrage erkundigt, wie die Schutzmaßnahmen eigentlich wirken. Sie machte auf Berichte von Landwirten aufmerksam, die lediglich 80 Prozent der Kosten ihrer zusätzlichen Schutzvorkehrungen gegen den Wolf erstattet bekommen hätten.
Umweltminister Axel Vogel (Grüne) gibt in seiner Antwort an, dass die Fördermaßnahmen im Jahr 2020 einen Umfang von 2,5 Millionen Euro hatten, im Vorjahr seien es 5,1 Millionen Euro gewesen. Er verwies auf eine Richtlinie, wonach für den Schutz vor Schäden durch den unter Naturschutz stehenden Wolf Maßnahmen, die über die allgemeinen Sicherungspflichten hinausgehen, bis zu 100 Prozent der Kosten erstattet werden können. In den anderen Fällen betrage der Fördersatz bis zu 80 Prozent. Vogel nennt ein Beispiel: Werden Zäune, die nicht aufgerüstet werden können, beispielsweise durch Elektronetze ersetzt, so könnten alle Kosten erstattet werden. Wenn der Landwirt allerdings Schutzanlagen errichtet, die auch unabhängig von der Wolfsgefahr für die Einhegung der Weidetiere gefordert sind, »wenn ein bestehender Festzaun nicht aufgerüstet werden kann und stattdessen ein Neubau erforderlich wird«, dann betrage der Fördersatz bis zu 80 Prozent.
Brandenburg ist das Bundesland mit der höchsten Wolfsdichte in der Bundesrepublik. Die hier einst ausgerotteten Wölfe sind vor 20 Jahren aus Polen zurückgekehrt und haben sich von der Lausitz her ausgebreitet. Die Tiere zu töten, ist strafbar. Nur bei Exemplaren, die ihre Scheu vor Menschen verloren haben und ungeniert in Siedlungen eindringen, ist der Abschuss im Ausnahmefall zugelassen, wenn sich das Tier nicht einfangen oder vertreiben lässt.
Offen bleibt eine Antwort auf die Frage, wie viele Wolfsrudel Brandenburg verträgt und ob eine Obergrenze anzusetzen wäre. Als das größere Problem in Brandenburgs Wäldern gelten die zu hohen Bestände an Rot-, Reh- und Schwarzwild, die junge Triebe abknabbern und damit eine natürliche Verjüngung der Wälder verhindern. Dieses viele Wild ist ein »Überangebot« an Nahrung für die Wölfe, die sich deswegen wahrscheinlich noch vermehren werden. Fachleute haben herausgefunden, dass die Nahrung der Wölfe nur zu einem Prozent aus Nutztieren besteht. Ein Rudel von zehn Exemplaren benötigt im Jahr rund 500 Beutetiere.
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