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Enteignungen sind Alltag

Was Union und FDP im Wohnungsbereich für ein Sakrileg halten, findet im Straßenbau regelmäßig statt

Autobahnen werden von konservativen Politikern immer noch als dem Gemeinwohl dienend eingestuft.
Autobahnen werden von konservativen Politikern immer noch als dem Gemeinwohl dienend eingestuft.

Die Initiative »Deutsche Wohnen und Co. enteignen« sorgte bei Immobilienwirtschaft, den Lobbyverbänden der Unternehmer und bei Politikern von Union und FDP immer wieder für Empörung: Solche Eingriffe in das Privateigentum verböten sich. Nicht selten fabulierten aufgeregte Kritiker von bolschewistischen oder stalinistischen Methoden. Dabei hatte die Initiative in ihrem Volksbegehren eine verfassungskonforme Enteignung inklusive einer Entschädigung für die Eigentümer gefordert.
Mitglieder der Initiative haben immer wieder darauf verwiesen, dass es in anderen Zusammenhängen sehr wohl regelmäßig zu Enteignungen kommt, sofern der Bund oder Bundesländer dies als im übergeordneten Gemeinwohlinteresse stehend einschätzen, so zum Beispiel bei Autobahnausbauprojekten.

Die Linke-Bundestagsabgeordnete Caren Lay wollte nun von der Bundesregierung wissen, wie viele Enteignungsverfahren es in jüngster Zeit im Straßenbau gegeben hatte. Aus der Antwort aus dem Bundesverkehrsministerium, die »nd« exklusiv vorliegt, geht hervor, dass allein seit 2020 in diesem Bereich bundesweit 149 Enteignungsverfahren eingeleitet wurden.
Spitzenreiter bei den Verfahren war hierbei das konservativ regierte Sachsen, in dem Lay ihren Wahlkreis hat. Seit 2020 wurden hier 34 Enteignungen nach Paragraf 19 des Bundesfernstraßengesetzes eingeleitet. Das entspricht fast einem Viertel aller Enteignungsverfahren bundesweit.
Auch in Brandenburg ist die Zahl der Enteignungsverfahren der Antwort zufolge sprunghaft angestiegen. Gab es in den Jahren 2017 bis 2019 gerade einmal elf Enteignungen für den Straßenbau, so waren es seit 2020 bereits 23. Seitdem die CDU Ende 2019 in die Landesregierung eintrat – zuvor hatten dort SPD und Linkspartei über zwei Legislaturperioden regiert –, hat sich die Zahl der Enteignungen in Brandenburg für den Straßenbau mehr als verdoppelt.

Für Lay ist das bezeichnend: »Enteignungen für Autobahnen und Straßenbau sind an der Tagesordnung in Deutschland, insbesondere in CDU-regierten Ländern. Die Union ist die Enteignungspartei!« Die Abgeordnete forderte gegenüber »nd.DerTag«, die Enteignungen »für den Bau von noch mehr Straßen und Autobahnen« müssten »endlich beendet werden«.

Lay weiter: »Die Aufregung der Union über das Volksbegehren Deutsche Wohnen und Co. enteignen kann ich deshalb nicht nachvollziehen. Während der Straßenbau kein Bestandteil einer nachhaltigen und zukunftsorientierten Politik ist, wäre die Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne ein Beitrag zu mehr Gemeinwohl im Interesse aller.«

Dass der Bau immer neuer Rennpisten in konservativen Bundesländern immer Vorfahrt hat, im Zweifel auch gegen Naturschutzinteressen, zeigen auch die Zahlen aus Bayern, wo in den Jahren 2017 bis 2020 ebenfalls jährlich 18 bis 20 Enteignungsverfahren zugunsten des Straßenbaus eingeleitet wurden.

Im Übrigen gab es vor Jahren auch im Zusammenhang mit einer Kohlenmonoxid-Pipeline des Bayer-Konzerns im Ruhrgebiet Enteignungsverfahren – ein Fall, in dem das Gemeinwohlinteresse nicht nur angesichts von Gefährdungen der Anwohner alles andere als ersichtlich ist.

Wirklich gemeinwohlorientierte Enteignungen nach Artikel 14, Absatz 3 des Grundgesetzes, etwa um bezahlbare Mieten in privaten Wohnungsbeständen zu sichern, haben allerdings auch bei SPD und Grünen keine starke Lobby. Politiker dieser Parteien haben immer wieder betont, derlei sei nur als »ultima ratio« denkbar. Das Standardargument dagegen lautet, durch Enteignungen entstehe kein neuer Wohnraum. Es wird unter anderem von Berlins Regierender Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) regelmäßig vorgebracht. Die Berliner Landesregierung von SPD, Grünen und Linkspartei hat derzeit das erfolgreiche Volksbegehren »Deutsche Wohnen und Co. enteignen« umzusetzen. Kritiker werfen insbesondere den Sozialdemokraten eine Hinhalte- und Verzögerungstaktik vor.

Laut bundesdeutscher Verfassung ist eine Enteignung »nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig«. Sie dürfe »nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt«, heißt es darin. Zugleich wird betont, zur Regelung der Höhe der Entschädigung stehe im Streitfall der Rechtsweg offen.

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