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Auf ein nächstes Lumbung!

Der sudanesische Karikaturist Khalid Albaih über den Umgang mit Antisemitismus und Rassismus auf der diesjährigen Documenta

  • Khalid Albaih
  • Lesedauer: 7 Min.

Ich bin ein politischer Karikaturist aus dem Sudan und lebe in Kopenhagen, Dänemark. Im Rahmen eines Künstlerschutzprogramms versuche ich, die Zensur im Sudan zu umgehen, in der Hoffnung, dem Weltgeschehen meine Perspektive hinzuzufügen. Das ist mitunter gefährlich.

Ich wurde zur diesjährigen Ausgabe der Kasseler Kunstschau Documenta als Teil der Gemeinschaftseinrichtung Trampolin House eingeladen, die 2010 in Kopenhagen von einer Gruppe von Künstlern und Asylsuchenden gegründet wurde. Künstler wie ich werden normalerweise nicht für eine Ausstellungsreihe wie diese beauftragt. Ich werde nicht von einer Galerie vertreten, ich klebe keine Bananen an Wände und verkaufe sie auf Auktionen, ich male keine wunderschönen abstrakten Ölgemälde, die sich Kunstsammler gerne an die Wand hängen. Unter normalen Umständen wäre ich kein Teil der »Kunstwelt«, geschweige denn der Documenta. Bis zu dem Zeitpunkt, als ich das erste Mal an einer der zahllosen langwierigen Videokonferenzen mit dem Titel »Majlise Akbar« teilnahm, was auf Indonesisch so viel wie »große Zusammenkunft« bedeutet, und dort weitere Außenseiter, Aktivisten und Rebellen kennenlernte, die Kunst als Protest nutzen.

Seitdem fühlte ich mich auf der Documenta wie zu Hause, dank des Kuratorenteams Ruangrupa. Das indonesische Kunstkollektiv entstand nach dem Ende des autokratischen Regimes von Haji Mohamed Suharto im Jahr 1998 und praktiziert einen radikal dezentrierten Ansatz des Kuratierens, den es mit Lumbung bezeichnet. Lumbung ist das indonesische Wort für eine gemeinschaftlich genutzte Reisscheune, die im ländlichen Indonesien zur Lagerung von überschüssiger Ernte verwendet wird. Anschließend wird die Ernte nach gemeinsam festgelegten Kriterien zum Wohle der Gemeinschaft verteilt. Die diesjährige Documenta folgt diesem kollektiven Konzept, da sie vor allem Künstlerkollektive statt Einzelkünstler eingeladen hat und es um gemeinsames Arbeiten und die gemeinsame Erfahrung von Kunst geht.

Die Lumbung-Treffen wurden über einen Zeitraum von drei Jahren abgehalten. Der kollektive Entscheidungsfindungsprozess, die entstehenden Kollaborationen, die Fülle an indigenem Wissen, der Humor und die jahrelange aktivistische Erfahrung der Teilnehmenden zeigten sofort, dass die geplante Ausgabe der angesehensten Veranstaltung der Kunstwelt mit ihrem vornehmlich westlichen Publikum anders ausfallen würde als sonst. Ich war froh, dass die Documenta-Macher diesen mutigen Ansatz gewählt hatten, der es Künstlern wie mir ermöglichen sollte, unsere Erfahrungen und Perspektiven in die etablierte Kunstwelt einzubringen. Denn schließlich sollte Kunst auch zu der Realität gehören, in der wir leben.

Doch die Flitterwochen endeten, bevor sie begonnen hatten. Bereits im Januar warf der antideutsche Blog »Bündnis gegen Antisemitismus Kassel« der Documenta 15, insbesondere dem palästinensischen Künstlerkollektiv The Question of Funding (Die Frage der Finanzierung), Antisemitismus vor. Begründet wurde dies mit der Nähe zur Israel-Boykott-Bewegung BDS und der Bezeichnung Israels als kolonialistischer Staat. Es folgte ein Einbruch in den Raum des palästinensischen Kollektivs The Question of Funding. Eigentum wurde beschädigt, Graffitis mit Morddrohungen an den Wänden hinterlassen. Dann wurde die Kasseler Zentrale von Ruangrupa mit rassistischen Aufklebern versehen, auf denen zu lesen war: »Freiheit statt Islam! Keine Kompromisse mit der Barbarei! Islam entschlossen bekämpfen!« Daneben gab es verschiedene Vorfälle, bei denen die Künstler Beschimpfungen ausgesetzt waren. 

Als wir in Kassel ankamen, schien es, dass die Anschuldigungen, die die Medienberichterstattung beherrschten, die ausgestellte Kunst überschatteten. Beunruhigend war auch, dass die Drohungen gegen die Künstler hingegen kaum erwähnt wurden. Unsere ersten Offline-Treffen wurden schnell organisiert, mit dem Ziel, Sicherheit und Solidarität mit den bedrohten Künstlern zu gewährleisten. Für die meisten Betroffenen waren diese Ereignisse wirklich enttäuschend. Aber wenigstens können wir hier frei sprechen, dagegen protestieren und debattieren – wir befinden uns schließlich in einer westlichen Demokratie.

Dann begann der Medienrummel um eines der gemalten Transparente des indonesischen Kollektivs Taring Padi – »People’s Justice« (Gerechtigkeit für die Menschen) –, das mindestens zwei antisemitische Karikaturen enthält. Damals ging es den Künstlern um den Widerstand gegen das diktatorische Suharto-Regime, das von vielen westlichen Staaten, unter anderem auch Israel, unterstützt wurde.

Eine Figur auf dem Bild stellt einen israelischen Soldaten mit einem Schweinegesicht, einem Schal mit einem Davidstern und einem Helm mit der Aufschrift »Mossad« dar, dem Namen des israelischen Auslandsgeheimdienstes. Man sollte dazusagen, dass die Darstellung von Polizisten und Militärangehörigen als Schweine weltweit üblich ist. Eine zweite Figur ist ein Mann in Anzug und Krawatte mit haifischartigen Zähnen, einer Zigarre im Mund, Schläfenlocken und einem Hut, auf dem eine SS-Rune prangt. Sie ähnelt auf fatale Weise Karikaturen der Nazis über jüdische Menschen.

Die Folge war, dass das Transparent zunächst verhüllt und dann abgenommen wurde. Die Generaldirektorin der Documenta, Sabine Schormann, die inzwischen von ihrem Amt zurückgetreten ist, wurde mit Aufrufen von Politikern unter Druck gesetzt, die gesamte Ausstellung abzubauen. 

Dann wurde ein Exemplar einer Broschüre von Burhan Karkoutly aus dem Jahr 1988 über die palästinensische Befreiungsbewegung mit dem Titel »Presence des Femmes« aus der Ausstellung entfernt, nachdem ein anonymer Besucher die Karikaturen gemeldet hatte, in denen israelische Soldaten als Roboter mit Davidsternen auf ihren Helmen dargestellt sind, während einer von ihnen einem Kind ins Ohr kneift. Auf einem anderen Bild tritt eine Frau einem israelischen Soldaten in die Leistengegend – er hat eine Hakennase und trägt einen Davidstern. Ebenfalls auf dem Bild zu sehen sind das palästinensische Symbol Handala und eine Szene, in der ein Jude mit einer arabischen Frau Sex hat.

Ein weiteres Werk scheint Jesus am Kreuz zu zeigen, der mit der freien rechten Hand einen Stein wirft. Dann gibt es noch eine Zeichnung von einem israelischen Soldaten, der einem Kind ein Gewehr an den Kopf hält. Hintergrund dieser Darstellungen ist vermutlich, dass die Allianz zwischen Frankreich und Israel einmal so stark war, dass Israel (wie andere westliche Staaten auch) die Militäreinsätze Frankreichs auf algerischem Boden unterstützte.

Ich bin mir der spezifischen Beziehung Deutschlands zum Antisemitismus vor dem Hintergrund des Holocausts bewusst (obgleich Antisemitismus nirgendwo auf der Welt toleriert werden sollte), und als politischer Karikaturist verstehe ich natürlich, warum Karikaturisten diese antisemitischen Symbole nicht verwenden sollten. Aber vielleicht verstehe ich auch, warum sie es damals taten. Als ich mit einigen Karikaturisten der dänischen Zeitung »Jyllands-Posten« sprach, in der 2005 die berüchtigten Mohammed-Karikaturen erschienen sind, war ihre Logik, dass es sich um einen lokalen Kontext handelte. Wie viele andere auf der ganzen Welt verstanden sie nicht, welchen Schmerz und welches Stigma diese Zeichnungen auslösten und welche historischen Konnotationen sie in sich trugen. Für sie waren es einfach nur Karikaturen, und Muslime sollten in der Lage sein, einen Scherz zu ertragen. Vor allem aber standen sie für Meinungsfreiheit und den Kampf gegen Zensur. Letzterem stimmte ich zu.

Auf die Gefahr hin, dass mir ein Ablenkungsmanöver vorgeworfen wird, komme ich nicht umhin, mich über die Heuchelei im Umgang mit den Mohammed-Karikaturen im Vergleich mit den nun aufgetauchten antisemitischen Karikaturen zu wundern. Ein Problem ist außerdem, dass die Anschuldigungen gegen die diesjährige Documenta lange vor dem Auftauchen des Banners begannen. Es ging bei dieser Kritik nicht um die Kunst selbst. Es ging um die Künstler, die diesen vermeintlich sakralen Raum besetzen wollten, und um die Angst vor Veränderung.

Die gewalttätigen Angriffe auf verschiedene Kollektive sind nur ein weiterer Beweis für die rassistische Behandlung, die die Künstler in Kassel erfahren haben. Auch wenn die antisemitischen Karikaturen verurteilt werden müssen, war das Abmontieren des Banners zugleich eine Form der Zensur. Aber ich glaube, dass Lumbung im Kontext der Documenta auch eine Sphäre bezeichnet, in der Welten aufeinanderprallen, unterschiedliche Perspektiven sich treffen, Debatten angestoßen und Meinungen verändert werden.

Nun ist es vielleicht an der Zeit, zurück in die Küche zu gehen (die im kuratorischen Konzept von Ruangrupa eine große Rolle spielt) und über die Geschehnisse nachzudenken, um dann beim nächsten Mal auf neue Weise miteinander zu diskutieren. 

Khalid Albaih ist in sozialen Medien unter @khalidalbaih zu finden.

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