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Der Charme einer staatlichen Preisbremse
Wie Haushalte sozial gerecht entlastet werden könnten
Auf den Weltmärkten wird Gas immer teurer und schrittweise kommt das bei den deutschen Haushalten an. Viele Menschen fragen sich, wie sie im Winter noch sparen können und einige finden darauf keine Antwort. Die Bundesregierung unterstützt die Energieverbraucher*innen auf der einen Seite, belastet sie auf der anderen, kündigt weitere Entlastungen an und sorgt sich um den sozialen Frieden: »Die Gerechtigkeitsfrage ist entscheidend, damit das Land in dieser Krise zusammenhält«, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) diese Woche. Unter all den möglichen Maßnahmen stechen zwei ins Auge, gegen die sich die Ampelkoalition noch sperrt: ein Gaspreisdeckel und eine Übergewinnsteuer.
Der Juli markierte einen neuen Rekord: Die Erzeugerpreise gewerblicher Produkte in Deutschland – also die Preise, die Unternehmen zahlen – waren im Juli 37,2 Prozent höher als ein Jahr zuvor, meldete das Statistische Bundesamt am Freitag. Einen solch starken Anstieg hat es seit Beginn der Statistik im Jahr 1949 nicht gegeben. Ursache ist ein neuerlicher Schub bei den Energiepreisen. Sie legten gegenüber dem Vormonat um fast 15 Prozent zu und waren damit mehr als doppelt so hoch wie vor einem Jahr.
Die höheren Kosten legen die Unternehmen schrittweise auf die Endverbraucherpreise um – das Leben wird teurer. Insbesondere wegen der Gaspreisentwicklung. Im Juli waren Gaspreise für Bestandskunden im Durchschnitt bereits mehr als 50 Prozent teurer als im Durchschnitt des Jahres 2021. Die diese Woche beschlossene Gasumlage wird die Inflationsrate nun weiter nach oben schieben. Laut Prognose der Commerzbank erreicht sie im September etwa neun Prozent, wenn 9-Euro-Ticket und Tankrabatt auslaufen. »Im Oktober/November wird die Inflationsrate dann voraussichtlich deutlich über dieser Marke liegen.« Die Deutschen bereiten sich vor: Laut aktuellem »DeutschlandTrend« der ARD verbrauchen 70 Prozent der Befragten weniger Energie, fast die Hälfte kauft im Alltag weniger ein.
Wo es Preisdeckel bereits gibt
In anderen Ländern Europas ist die Lage noch schlechter, dort liegt die Inflationsrate bereits jetzt über zehn Prozent, in Osteuropa sogar über 20 Prozent. Ein Ausreißer ist jedoch Frankreich, wo die Lebenshaltungskosten zuletzt nur um sechs Prozent stiegen. Wesentlicher Grund dafür ist, dass Frankreichs Energiesystem stark am Atomstrom hängt und das Gaspreishoch weniger stark durchschlägt. Zudem hat die Regierung in Paris den Preis für Haushaltsgas auf dem Stand von Oktober 2021 gedeckelt. Der Strompreis darf zudem dieses Jahr nur um maximal vier Prozent steigen.
Damit steht Frankreich nicht allein. Auch Spanien, Portugal, Belgien, Estland, Griechenland, Ungarn, Kroatien und Rumänien haben feste Preisdeckel oder zumindest Obergrenzen für Preiserhöhungen eingeführt. Haushalte zahlen dadurch weniger, die Differenz zum Marktpreis übernimmt der Staat.
In Deutschland findet die Idee eines staatlichen Gaspreisdeckels ebenfalls breite Unterstützung – von den Gewerkschaften über den Mieterbund bis zur Fraktion der Linkspartei. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) lehnt ihn bislang jedoch ab. Die hohen Preissteigerungen seien ein »externer Schock«, so Habeck, und könnten vom Staat nicht vollständig aufgefangen werden. »Das wird das Land in der einen oder anderen Form tragen müssen.« Auch ökonomisch sei ein Preisdeckel falsch, er »wäre bei einem knappen Gut ein Signal: Energie ist nicht wertvoll, haut raus, was ihr wollt«.
Anders sehen das Sebastian Dullien vom gewerkschaftsnahen Institut IMK und die Ökonomin Isabella M. Weber. Sie haben bereits vor der russischen Invasion in der Ukraine einen breit diskutierten Vorschlag vorgelegt, wie man die Kosten des Gasgrundbedarfs von Haushalten begrenzen könnte. Er kombiniert den Schutz der Ärmeren mit Anreizen zum Energiesparen. Dabei wird jedem Haushalt eine feste Zahl an Kilowattstunden als Grundbedarf an Gas zu einem gedeckelten Preis garantiert. Denkbar sei eine Staffelung des Grundbedarfs nach Haushaltsgröße. Der Preisdeckel solle in der Nähe des durchschnittlichen Gaspreises im ersten Halbjahr 2021 liegen. Was ein Haushalt darüber hinaus verbraucht, wird teurer, womit der Sparanreiz erhalten bleibt. Für den verbilligten Grundverbrauch erhalten die Versorgungsunternehmen eine Kompensation vom Staat, um ihre Kosten zu decken. Sinnvoll sei eine Ausweitung dieses Deckels auf den Strom, schreiben Weber und Dullien in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins »Wirtschaftsdienst«.
Wie hoch ist der Grundbedarf?
Eine entscheidende Frage ist allerdings, bei wie vielen Kilowattstunden der verbilligte Grundverbrauch fixiert wird? So gibt es die Idee, diesen Sockelbetrag in Abhängigkeit vom Vorjahresverbrauch festzusetzen – zum Beispiel bei 80 Prozent des Vorjahresverbrauchs. Dafür spricht, dass damit »Haushalte mit mehr Personen, die tendenziell einen größeren Verbrauch haben, einen größeren Sockel hätten und deshalb stärker entlastet würden«, erklärt Dullien. Das Problem dabei sei jedoch die Verteilungswirkung. Denn der Gasverbrauch ist stark einkommensabhängig. Ein in Prozent des Vorjahresverbrauchs fixierter Preisdeckel bedeute also – in absoluten Euro-Beträgen – besonders hohe Subventionen für Besserverdienende.
Dullien zitiert Untersuchungen, nach denen die reichsten zehn Prozent der Haushalte im Durchschnitt etwa doppelt so viel für Gas ausgeben wie Haushalte in den untersten zehn Prozent. Sie verbrauchen entsprechend mehr. Wird der preisgedeckelte Grundverbrauch in Prozent des Vorjahresverbrauchs festgelegt, stünde den Reicheren in etwa das doppelte verbilligte Gasvolumen zur Verfügung wie den armen Haushalten. Das sei unfair.
Zudem sei es für wohlhabende Eigenheimbesitzer*innen deutlich leichter, Energiesparmaßnahmen durchzuführen und nicht unbedingt notwendigen Gasverbrauch einzuschränken. Ärmere Haushalte dagegen lebten in der Regel in Mietwohnungen, hätten nicht die notwendigen finanziellen Mittel für Energieeffizienzmaßnahmen und könnten aufgrund des kleineren Wohnraums schwerer auf die Beheizung von Räumen verzichten. »Wenn ärmere Haushalte als Ergebnis ihren Verbrauch gegenüber dem Vorjahr weniger reduzieren als reichere, hätten sie nicht nur einen geringeren Anspruch auf preisgedeckeltes Gas, sondern auch einen höheren Durchschnittspreis«, erklärt Dullien.
Kritisiert wird an dem Vorschlag von Dullien und Weber allerdings, es sei unsozial, wenn jeder Haushalt unabhängig von seiner Größe den gleichen Sockel hätte. Dem begegnen sie mit einem Vorschlag: Ein Haushalt könnte seinem Versorger melden, wenn mehrere Personen in ihm leben. Dafür müsste er Nachweise bringen. So gälten dann abhängig von der Personenzahl im Haushalt höhere Sockelbeträge. Dass die Einführung eines Gaspreisdeckels einen zu hohen Aufwand bedeute, sieht Dullien nicht: »Administrativer Aufwand ist nicht von der Hand zu weisen. Allerdings scheint dieser durchaus handhabbar, wenn der Prozess entsprechend gestaltet wird.«
Verbinden ließe sich die Absicherung des Grundbedarfs mit Anreizen zur Verbrauchssenkung, zum Beispiel mit Sparprämien, die allerdings aus den genannten Gründen vorwiegend reicheren Haushalten zugutekämen. Für ärmere Haushalte hält Dullien auch eine Kombination des Gaspreisdeckels mit weiteren Zuschüssen für möglich, die nach einer Härtefallregel über bestehende Transfersysteme beantragt werden könnten.
Wer soll das bezahlen?
Eine weitere Kritik nennt die hohen Kosten eines Gaspreisdeckels für den Staat, der für den Grundbedarf die Differenz zum Marktpreis ausgleichen müsste. Dullien geht von einem zweistelligen Milliardenbetrag pro Jahr aus. Allerdings hänge der Subventionsbedarf stark davon ab, welche Preise für den über den Grundbedarf hinausgehenden Gasverbrauch gelten, »hier besteht ein gewisser Gestaltungsspielraum«. Zudem sei zur Finanzierung denkbar, einen prinzipiellen Boden für den Gaspreis einzuziehen – und wenn Gas eines Tages dann wieder billiger wird und sein Preis unter diesen Boden fällt, wird die Differenz als Abgabe an den Staat fällig.
Darüber hinaus hat der Staat auch die Möglichkeit, neue Einnahmequellen zu erschließen. Beispielsweise eine Übergewinnsteuer, wie sie schon Italien, Griechenland, Großbritannien, Spanien und andere Länder eingeführt haben. Dort erhebt der Fiskus eine Abgabe vor allem von Unternehmen der Energiewirtschaft, die von den gestiegenen Preisen profitieren. Laut einer neuen Studie der linksparteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung und dem Netzwerk Steuergerechtigkeit könnte eine solche Übergewinnsteuer – je nach konkreter Ausgestaltung und Steuersatz – dem deutschen Fiskus zwischen 30 und 100 Milliarden Euro jährlich einbringen. Doch das lehnt das Finanzministerium bislang ab. »Eine Übergewinnsteuer gibt es nicht«, kritisiert auf Twitter Lukas Scholle, wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpolitik im Bundestag. Stattdessen gebe es eine Untergewinnzulage. »Sie nennt sich Gasumlage.«
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