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Aufstocken, entlasten, nachzahlen
Sozial- und Wohlfahrtsverbände fordern gezielte Hilfen für ärmere Haushalte
Insbesondere einkommensschwache Haushalte werden sich in den kommenden Monaten mit erheblichen finanziellen Herausforderungen durch die neue Gasumlage konfrontiert sehen. Konkrete Vorschläge zur Entlastung haben die Sozial- und Wohlfahrtsverbände zur Hand. Angesichts gestiegener Energie- und Lebensmittelpreise fordert der Sozialverband VdK Deutschland etwa ein Wärmekontingent von 10 000 Kilowattstunden pro Haushalt »zu einem fairen Preis«, eine Energiepreispauschale für Rentner*innen in Höhe von 300 Euro sowie ein reformiertes Wohngeld samt Heizkostenpauschale für all jene, die mit geringem Einkommen oberhalb des Hartz-IV-Regelsatzes auskommen müssen. Wichtig sei, so VdK-Präsidentin Verena Bentele, »dass diese Pauschale die real entstehenden Energiekosten komplett berücksichtigt und jährlich angepasst wird«. In eine ähnliche Kerbe schlägt auch der Paritätische Gesamtverband, der darüber hinaus noch eine Anhebung des Regelsatzes auf 678 Euro fordert. Sämtliche Maßnahmen sollten indes »umgehend und nicht erst ab Januar 2023«, in Kraft treten, betont Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider.
Unterschiedliche Töne aus der Koalition
Nachgefragt bei den einzelnen Ampel-Parteien, fallen die bisherigen Vorschläge für weitere Entlastungen der Bürger*innen unterschiedlich konkret aus. So betont der finanzpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Markus Herbrand, die im Koalitionsvertrag vereinbarte Wohngeldreform könnte »zügig vorangetrieben werden« und ebenfalls bei den vom Bund getragenen Kosten für Heizung und Unterkunft könnten »punktuelle Anpassungen sinnvoll sein«. Bei etwaigen Einmalzahlungen müsste jedoch gewährleistet sein, dass diese »die richtigen Personen erreichen, kostensparend ausgezahlt werden und nicht inflationstreibend wirken«, sagt er dem »nd«.
Für Andreas Audretsch, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag, kommt ein weiteres Entlastungspaket erst ab dem neuen Jahr eindeutig zu spät. Neben steuerlichen Entlastungen für die unteren und mittleren Einkommen sowie weiteren Energiepauschalen fordert er ebenfalls eine Anhebung des Kindergeldes, der Grundsicherung sowie ein Beibehalten des 9-Euro-Tickets. Außerdem, »brauchen wir ein Moratorium für Gas- und Stromsperren und rechtlichen Schutz gegen Kündigungen«, sagt er dem »nd«. Ähnliche Töne kommen aus der SPD-Bundestagsfraktion, deren Parlamentarische Geschäftsführerin Katja Mast zudem eine Übergewinnsteuer zur Begrenzung der Belastung der Haushalte ins Spiel bringt. Dem »nd« sagt sie: »Die Branche sollte ihren Teil in der Krise beitragen, schließlich müssen wir das alle.«
Heraufsetzung der Hartz-IV-Regelsätze
Harald Thomé ist Mitbegründer und Berater beim Erwerbslosen- und Sozialhilfeverein »Tacheles« in Wuppertal. Im Einklang mit dem Paritätischen Gesamtverband fordert auch er die Heraufsetzung der Regelsätze für Bezieher*innen von Hartz-IV und Sozialhilfe sowie für all jene, die unter das Asylbewerberleistungsgesetz fallen. Bei der gegenwärtigen Regierungskoaliation sei dieser Schritt aber »nur schwer vorstellbar«, so der Berater. Eine Zwischenforderung von 100 Euro pro Monat sei die realistischere Forderung. Er weist zudem darauf hin, dass Hartz-IV-Bezieher*innen neben den bisherigen Mehrbelastungen durch Inflation und gestiegene Energiekosten häufig noch von Kürzungen der Jobcenter betroffen sind. »Wenn man den armen Menschen wirklich etwas Gutes tun will«, sagt Thomé dem »nd«, »dann macht man ein Moratorium zur Streichung aller Kürzungen bezüglich Unterkunft und Heizung sowie der Aufrechnung von Rückforderungen und Darlehen«.
Die Ausweitung des Wohngeldes bezeichnet er hingegen als ein »begrüßenswertes Förderinstrument« für einkommensschwache Haushalte, die keine Sozialleistungen beziehen. Bei einer Novellierung sei aber zu beachten, dass die Heizkosten ebenfalls einberechnet werden. »Dann halte ich das für eine gute Herangehensweise.«
Übernahmeanspruch auch ohne Bezug von Sozialleistungen
Angesichts steigender Nachzahlungsforderungen der Energieversorger möchte Thomé zudem eine Wissenslücke schließen: Auch Haushalte jenseits der Armutsgrenze, die keine Sozialleistungen beziehen, haben ein Anrecht auf einen anteiligen Übernahmeanspruch ihrer Heizkosten. Entscheidend sei dabei, dass man noch »im Monat der Nachforderungszahlung zum Jobcenter oder Sozialamt geht«, um einen entsprechenden Antrag zu stellen. Einer alleinstehenden Person mit einem Nettoverdienst von 1700 Euro und einer Nachzahlung von 800 Euro stünde beispielsweise ein Aufstockungsanspruch in Höhe von 400 Euro zu, rechnet Thomé vor. Sein Fazit: »Das ist eine Sache, über die muss informiert werden – das wird einigen den Arsch retten.«
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