Ein Preisanstieg kommt selten allein

Gaskunden müssen bereits seit Längerem tiefer in die Tasche greifen

  • Martin Höfig
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Woche begann mit einer schlechten Nachricht für Verbraucher*innen: Die Bundesregierung verkündete, die Gasumlage werde rund 2,4 Cent pro Kilowattstunde betragen. Am Donnerstag dann teilte die Bundesregierung mit, die Mehrwertsteuer auf den gesamten Gasverbrauch absenken zu wollen. Diese soll nun zeitlich befristet statt 19 Prozent nur sieben Prozent betragen. »Mit diesem Schritt entlasten wir die Gaskunden insgesamt deutlich stärker als die Mehrbelastung, die durch die Gasumlage entsteht«, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Er erwarte, dass die Unternehmen die Steuersenkung »eins zu eins an die Verbraucherinnen und Verbraucher weitergeben«. Ob das so kommt, ist noch ungewiss. Sicher ist aber schon: Die Gaspreise sind bereits enorm gestiegen, ebenso wie die Preise für andere Güter.

Scholz kündigte darum auch an, in den nächsten Wochen ein drittes Entlastungspaket schnüren zu wollen, »um den großen Druck, der auf vielen Bürgerinnen und Bürgern, aber auch Unternehmen lastet, abzumildern«. Die Details dazu müssten aber noch »vertrauensvoll« in der Regierung besprochen werden. In der Ampel-Koalition gibt es hierzu unterschiedliche Ansichten, zu denen der Kanzler zunächst nur sagte: »Die Gerechtigkeitsfrage ist entscheidend, damit das Land in dieser Krise zusammenbleibt.«

Die Gasumlage soll zum 1. Oktober wirksam werden. Die Regierung hatte zunächst geplant, sie vollständig von der Mehrwertsteuer zu befreien, was aber wegen Vorgaben der EU nicht möglich ist. Stattdessen soll die Mehrwertsteuer nun für den Gasverbrauch insgesamt so lange abgesenkt werden, wie die Gasumlage gilt – nach jetzigem Stand bis Ende März 2024.

Ob die Befreiung allerdings tatsächlich die von der Regierung behauptete Überkompensation der Gasumlage bewirkt, ist umstritten. Der Ökonom Sebastian Dullien vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung weist darauf hin, dass die Wirkung der Mehrwertsteuersenkung abhängig von der Entwicklung sowohl des Gaspreises als auch der Höhe der Umlage sei. Letztere sei vorerst nur für drei Monate festgelegt. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), zufolge ist die Senkung der Mehrwertsteuer zwar immer noch besser als gar keine Entlastung. Ein gutes Instrument sei es dennoch nicht: »Denn es ist teuer, nicht zielgenau und entlastet Menschen mit geringen Einkommen viel zu wenig.«

Auch für die Wirtschaftsweise Veronika Grimm ist klar: »Verglichen mit den zu erwartenden Preissteigerungen ist das ein Tröpfchen auf den heißen Stein.« Nötig seien zusätzliche Entlastungen bis in die Mitte der Gesellschaft. »Nur fehlen jetzt Einnahmen aus der Mehrwertsteuer, die zur Finanzierung beitragen könnten«, sagte Grimm dem »Handelsblatt«. Es sei nicht plausibel, dass auch Menschen, die sich höhere Energiepreise leisten könnten, durch die niedrigere Mehrwertsteuer entlastet werden.

Fest steht auch: Erdgas hat sich in den vergangenen Monaten bereits enorm verteuert. Im Juli lagen die Preise dem Statistischen Bundesamt zufolge 75 Prozent höher als ein Jahr zuvor. Die höheren Gaspreise inklusive der jetzt festgelegten Umlage müssen nicht alle Haushalte zahlen. Allerdings sind alle Haushalte – insbesondere Menschen mit geringem und mittlerem Einkommen – von den stark gestiegenen Preisen für Güter des Grundbedarfs betroffen. So hat sich die sogenannte Haushaltsenergie innerhalb eines Jahres um 43 Prozent verteuert. Dazu gehören Strom, Gas und andere Brennstoffe. Lebensmittel waren im Juli fast 15 Prozent teurer als ein Jahr zuvor.

Nach Einschätzung des Deutschen Mieterbunds haben sich die Gaspreise für viele Haushalte sogar bereits verdoppelt bis verdreifacht und bei neuen Verträgen sogar teilweise versechsfacht. Der Mieterbund gehe von »erheblichen Gaspreissteigerungen für die Mieter und Mieterinnen aus, die sie spätestens mit der Abrechnung für 2022, also im Jahr 2023, erreichen werden«, sagt Pressesprecherin Jutta Hartmann dem »nd«. Wie hoch die einzelnen Rechnungen genau ausfallen, hänge auch vom individuellen Heizverhalten und davon ab, wie kalt der Winter werde, so Hartmann. Und: »Zusätzlich zu diesen Kosten kommt die Gasumlage für alle Gaskunden nun noch ›on top‹«.

Nach Berechnungen des Bundesverbands der Verbraucherzentralen liegt für einen Musterhaushalt mit einem Jahresverbrauch von 20 000 Kilowattstunden die Mehrbelastung durch die Gasumlage bei 483,80 Euro jährlich (ohne Mehrwertsteuer).

Schon jetzt verzeichnet der Bundesverband der Verbraucherzentralen mehr Energieberatungen. Im vergangenen Jahr seien es etwa 170 000 gewesen. Bis zum Jahresende 2022 erwartet der Verband circa 260 000 solcher Beratungen. Zudem sei die Beratungsnachfrage für Verbraucher*innen mit Energieschulden im ersten Halbjahr 2022 gegenüber dem Vorjahreszeitraum um etwa 16 Prozent gestiegen.

App »nd.Digital«

In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!