Atommülllager als Touristenschreck

An der Weser könnte ein Zwischenlager gebaut werden

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 4 Min.

Nur mal so als Beispiel: Das Brandenburger Tor, sagt Dirk Wilhelm, ist rund 20 Meter hoch. Ohne Quadriga. Die Entfernung vom Tor zum Reichstag beträgt etwa 280 Meter. »Und nun stellen Sie sich mal vor, um die beiden Bauwerke würde eine Betonhalle gebaut.« Nein, nein, kein temporäres Verhüllungskunstwerk wie von Christo, sondern ein Gebäude von Dauer, in und aus dem die nächsten 30 Jahre täglich Container mit Müll gebracht und abgefahren werden. Mit Atommüll. »Wären das nicht schöne Aussichten für die Gäste im Hotel Adlon gegenüber der gigantischen Halle?«, fragt Wilhelm.

Wilhelm ist Vorsitzender der Bürgerinitiative Atomfreies 3-Ländereck. Mit dem Beispiel aus Berlin will er verdeutlichen, was seiner Heimatregion Weserbergland blühen könnte, wenn auf dem Gelände des ehemaligen AKW Würgassen an der Weser ein gigantisches Zwischenlager für radioaktive Abfälle errichtet wird.

Tatsächlich plant die bundeseigene Gesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ) dort, im Dreiländereck von Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Hessen, den Bau einer noch größeren Halle als von Wilhelm skizziert. 325 Meter lang, 125 Meter breit und 16 Meter hoch, soll sie werden. Und ab 2027 allen in Deutschland angefallenen schwach und mittelradioaktiven Müll aufnehmen, der später für eine Endlagerung im Schacht Konrad in Salzgitter vorgesehen ist – insgesamt rund 300 000 Kubikmeter.

In seinen geschätzt 30 Betriebsjahren wird das offiziell sogenannte Logistikzentrum Konrad in Würgassen den Planungen zufolge quasi rund um die Uhr von Lastwagen und Zügen angefahren, die den strahlenden Schrott anliefern und, teils neu verpackt, wieder abholen und nach Salzgitter weiter transportieren. Die Kosten für das Zwischenlager werden auf 450 Millionen Euro geschätzt.

Dass – mal ganz abgesehen von den von vielen befürchteten Risiken der Atommülleinlagerung und -transporte – der florierende Outdoor-Tourismus am Fluss durch das Logistikzentrum nachhaltig leiden wird, befürchtet auch Petra Wegener, Geschäftsführerin des Vereins »Weserbergland Tourismus« in Hameln. Der Tourismus sei ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor in der Region, sagt sie, und könne inzwischen eine äußert erfolgreiche Bilanz vorweisen: Drei Millionen Übernachtungen jährlich, einen »Bruttoprimärumsatz« von einer Milliarde Euro und 22 000 Vollzeitarbeitsplätze.

Das »touristische Rückgrat« der Region, der Weser-Radweg, sei in den vergangenen Jahren mit hohen Investitionen zum Premiumprodukt in Deutschland ausgebaut worden, erläutert die Touristikerin. Die mit vier Sternen bewertete ADFC-Qualitätsroute führt vom südniedersächsischen Hannoversch Münden über rund 500 Kilometer nach Bremerhaven und wurde das dritte Jahr in Folge als beliebtester Fernradweg in Deutschland ausgezeichnet.

Die rund 350 000 Radler*innen, die den Weg jährlich befahren, wären künftig mit dem Anblick und möglicher Strahlung des direkt an der Strecke liegenden Zwischenlagers konfrontiert. Sollten dadurch auch nur einige Übernachtungen und Tagesgäste ausbleiben, bedeutet dies Wegener zufolge einen hohen Schaden für die gesamte Region: »Die Wirtschaftskette, die durch den Tourismus in Gang gesetzt wird, ist dann unterbrochen und kann vehemente Auswirkungen erzeugen«, sagt sie.

Anti-Atom-Aktivst Wilhelm merkt an, dass alleine schon die vierjährige Bauzeit des Atommülllagers mit zehntausenden von LKW-Transporten etwa zur Aufschüttung des Geländes zum Hochwasserschutz »negative Auswirkungen auf eine der wesentlichen Lebensadern in der Region« haben werde. Ob die Gütesiegel des ADFC dann noch ins Weserbergland vergeben würden, bleibe abzuwarten.

Der Protest vieler Bürger*innen, Kommunen und Lokalpolitker*innen gegen das geplante Atommüllzwischenlager ist inzwischen überall im Dreiländereck präsent. Bei Festen und Kunsthandwerkermärkten beiderseits des Flusses ist die Bürgerinitiative Atomfreies 3-Ländereck mit Ständen und symbolischen Atommüll-Containern aus Sperrholz und Pappmaché präsent. »Solche Behälter gehören dann ab 2027 für dreißig Jahre ins alltägliche Stadt- und Dorfbild«, warnt Dirk Wilhelm.

Noch hat der Bund keinen förmlichen Bauantrag für das Logistikzentrum gestellt. Die Atomkraftgegner*innen schöpfen neue Hoffnung, dass das so bleibt. Denn aus einem aktuellen Gutachten, das die Länder Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen beauftragt hatten, geht hervor, dass das Zwischenlager für den späteren Betrieb von Schacht Konrad gar nicht unbedingt nötig ist.

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