Das große Zocken ist vorbei

Spielebranche blickt mit gemischten Erwartungen auf den Beginn der Gamescom

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 6 Min.

Die Pandemie und damit einhergehende Einschränkungen des öffentlichen Lebens wirbelten in der Wirtschaft vieles durcheinander. Während Tourismus, Gastronomie, der stationäre Einzelhandel jenseits des Lebensmittelgeschäfts und die Veranstaltungsbranche zu den großen Verlierern gehörten, gab es einige Branchen, die finanziell enorm profitierten. Fast euphorisch spricht der deutsche Branchenverband Games von einer Sonderkonjunktur und dies trotz massiver Lieferprobleme bei Konsolen und der zahlreichen Verzögerungen bei der Veröffentlichung neuer Blockbuster-Spiele durch die großen Entwicklerstudios.

Hinter der Spielebranche liegen zwei lukrative Jahre. Bereits 2020 hatte der Umsatz in Deutschland im Vorjahresvergleich um fast ein Drittel auf 8,5 Milliarden Euro zugelegt. Hauptgrund: das veränderte Freizeitverhalten der Bevölkerung. Während Kinos und Theater schließen mussten, weil sich viele Menschen aus Angst vor einer Corona-Infektion mit Besuchen zurückhielten, hatten die Hersteller von Konsolen- und allen voran Handyspielen dieses Problem nicht. Beinahe ungläubig reagierte der Branchenverband, als sich das Wachstum auch 2021 fortsetzte und von Kaufzurückhaltung nichts zu spüren war. Vergangenes Jahr wurden in Deutschland 9,8 Milliarden Euro mit digitalen Spielen, Konsolen und Zubehör umgesetzt, gerechnet worden war bestenfalls mit einer Stabilisierung auf dem Niveau von 2020.

Damit lag die Gamesbranche im Coronajahr 2021 weit vor anderen Bereichen der Unterhaltungsindustrie. Mit klassischen Spielwaren wurden in Deutschland nur 3,8 Milliarden Euro umgesetzt, Games dagegen können inzwischen mit dem Buchmarkt (9,6 Milliarden Euro) mithalten.

Treiber dieser erfolgreichen Entwicklung war nach Auswertung des Branchenmagazins »Games Wirtschaft« gar nicht einmal jenes Segment, mit dem man noch bis vor wenigen Jahren den Begriff Computerspiel vorrangig verband. Das Geschäft mit sogenannten klassischen Vollspielen, die von Käufer*innen einmalig und ohne weitere Kosten erworben werden, ging sogar zurück. Von 100 Euro, die 2021 im Games-Markt umgesetzt wurden, entfielen nicht einmal elf Euro auf solche Vollspiele, die sich Nutzer*innen auf einem Datenträger oder als Download kaufen können.

Wirtschaftlich immer mehr Erfolg versprechen inzwischen Games, bei denen Spieler*innen sogenannte Ingame- und In-App-Käufe tätigen können. Satte 43 Prozent des Gesamtumsatzes der Branche werden inzwischen dadurch erzielt, dass Spieler*innen sich für wenige Euro virtuelle Gegenstände kaufen, um ihre Spielcharaktere optisch zu verändern oder ihnen einen Vorteil zu verschaffen. Inzwischen steuert dieses Segment mehr als 4,2 Milliarden Euro zum deutschen Branchenumsatz bei. Verbraucherschützer*innen reagieren darauf mit Sorge und vor allem Warnungen an die Spieler*innen. Ihre Kritik: Die Preise bei Ingame- und In-App-Käufen seien oftmals intransparent und überteuert. »An den Umsatzzahlen der Branche kann man gut ablesen, dass neue Geschäftsmodelle und Technologien im Aufwind sind«, erklärt Felix Falk, Geschäftsführer beim Verband Game.

Ganz oben bei Download- und Umsatzzahlen rangiert dann in den Statistiken auch ein Spiel, das weniger durch ein ungewöhnliches Spieldesign oder fantastische Welten für Aufmerksamkeit sorgt, sondern lange im Verruf stand, Kinder gezielt zu In-App-Käufen zu verleiten. Bei »Coin Master« geht es um die Errichtung eines Dorfes, zu dessen Bau und Erhalt allerdings virtuelles Geld benötigt wird, das Spieler*innen an einem einarmigen Banditen gewinnen müssen. Allerdings ist die Zahl der Versuche limitiert, durch Käufe mit echtem Geld kann man zusätzliche Versuche freischalten. Weil Spielaufmachung und Werbung stark minderjährige Gamer*innen adressierten, wurden die Kommission für Jugendmedienschutz und die Landesanstalt für Medien aktiv, wobei ein eingeleitetes Verfahren im April 2020 endete, nachdem Moon Active, der Hersteller von »Coin Master«, einige Änderungen vorgenommen hatte. Dem kommerziellen Erfolg tat dies keinen Abbruch.

Doch auch eine lukrative Sonderkonjunktur dauert nicht endlos. Die Branche »bekommt Gegenwind zu spüren«, wie es der Industrieverband Games ausdrückt. Im ersten Halbjahr 2022 wuchs der Umsatz nur noch moderat um zwei Prozent. Durch das sich erneut verändernde Freizeitverhalten nach dem Wegfall der meisten Corona-Maßnahmen ist diese Entwicklung aber nur teilweise zu erklären.

Zu spüren bekommt den Gegenwind auch die Messe Gamescom, die nach zwei Jahren als reine Digitalveranstaltung von diesem Mittwoch bis Sonntag wieder in den Kölner Messehallen stattfindet. War die weltweit größte Spieleschau vor der Pandemie ein Publikumsmagnet und brachte es in ihrem Rekordjahr 2019 auf 370 000 Besucher*innen, so wollen die Verantwortlichen dieses Mal keine Prognose abgeben. Dies hat nicht nur mit der Corona-Situation zu tun, wobei eine Zurückhaltung der Gamer*innen schon vor Messestart zu spüren ist. »Games Wirtschaft« meldet, dass die Tickets für den bei Fans sehr beliebten Samstag erst Mitte August ausverkauft gewesen seien und nicht wie in früheren Jahren bereits viele Wochen vor Messebeginn. Wohl auch deshalb wird mit Rabatten auf die Tickets geworben und die Eröffnungsshow fällt kleiner als in den Erfolgsjahren aus.

Für Unmut bei Veranstaltern und Fans dürfte außerdem sorgen, dass einige echte Branchenschwergewichte dieses Jahr nicht an der Gamescom teilnehmen, die in früheren Jahren teils eine halbe Messehalle und mehr für ihre aufwendigen Auftritte anmieteten. Konsolen- und Spielehersteller Nintendo verzichtet dieses Jahr ebenso auf die Messe wie Konkurrent Sony mit seiner Playstation. Letzteres Unternehmen muss für seine Konsole der fünften Generation ohnehin kaum Werbung machen, sind die Geräte doch auch zwei Jahre nach Verkaufsstart weiterhin schwer zu bekommen. Grund dafür ist der weltweit andauernde Mangel an Computerchips. Ausgelöst wurde dieser, weil einerseits Fertigungsstätten in Asien als Folge der Pandemiebekämpfung immer wieder schließen mussten, andererseits, weil die Nachfrage nach Computern und Smartphones in der Coronakrise massiv anstieg, da Unternehmen ihre Beschäftigten ins Homeoffice schickten und es damit zu einem sprunghaften Mehrbedarf an Computerchips kam.

Absagen reiner Entwicklerstudios wie Electronic Arts, Epic Games und Activision Blizzard sind ebenfalls teils coronabedingt begründet. Manche Hersteller sind mit der Fertigstellung neuer Spieletitel hinter ihrem Zeitplan, andere scheuen aufgrund der unsicheren Marktlage die hohen Kosten, die ein Messeauftritt bedeutet, schnell geht es dabei um sechs- oder sogar siebenstellige Beträge. Beim Branchenverband Game als Organisator der Messe verbreitet man dennoch weiter Optimismus und feiert die diesjährige Gamescom als »Herz der Popkultur«. Fachportale wie Futurezone sehen in der Absage großer Entwickler gar keinen wirklichen Nachteil für die Messe: Für viele kleinere Spieleschmieden sei dies eine große Chance, mehr Aufmerksamkeit als früher zu bekommen.

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