Irakische Kurden wollen mit der Krise in Bagdad nichts zu tun haben

Im Oktober soll das kurdische Regionalparlament neu gewählt werden / Der Wunsch nach Unabhängigkeit vom irakischen Staat ist weiter groß

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 4 Min.

Lange Zeit war man in Irakisch-Kurdistan ziemlich stolz darauf, dass die Irrungen und Wirrungen des Alltags im Rest des Iraks weitgehend unbeschadet an dieser autonom regierten Region im Norden des Landes vorbeigingen.

Doch seit einigen Monaten sorgt sich die Führung der Autonomie-Regierung vor einem Übergreifen der Lage in Bagdad – und regiert mit Gewalt und Repression. Anfang August ging die kurdische Polizei gewaltsam gegen Demonstranten vor: Sechs Politiker, die für eine Oppositionspartei im Parlament in Bagdad sitzen, wurden kurzzeitig festgenommen; außerdem griffen die Sicherheitskräfte Journalisten an.

Zu den Protesten aufgerufen hatte Schaswar Abdulwahid Kadir, der die 2017 gegründete »Neue Generation-Bewegung« führt und sich eine Reform der von zwei einflussreichen Familien dominierten Strukturen in der Autonomen Region Kurdistan (ARK) auf die Fahnen geschrieben hat. 2021 gewann die Partei neun Sitze im Staatsparlament und stellte sich dort auf die Seite des Saairun-Bündnisses des schiitischen Predigers Muktada Al-Sadr.

Doch bei den Protestaufrufen geht es vor allem um inner-kurdische Angelegenheiten: »Neue Generation« fordert, dass die Neuwahl des Regionalparlaments planmäßig Anfang Oktober abgehalten wird; Präsident Netschirwan Barzani und Regierungschef Masrur Barzani wollen die Wahl verschieben. Deren Kurdisch-Demokratische Partei (KDP) dominiert Politik und Teile der Gesellschaft und die KDP wiederum wird wiederum nahezu vollständig von der Barzani-Familie dominiert. Die andere große politische Kraft in der Region ist die vor allem im Süden Irakisch-Kurdistans stark verankerte Patriotische Union Kurdistans, in der die Talabani-Familie den Ton angibt. »Neue Generation« wollte diese Dominanz durchbrechen – bis heute erfolglos.

Auch an den Protesten nahmen vor allem Parteimitglieder und Abgeordnete teil, während sich in den Medien und in der Öffentlichkeit viele ablehnend äußern: »Ich will hier kein zweites Bagdad haben«, sagt Masud Baiz, ein Anwalt aus der Hauptstadt Erbil am Telefon: »Uns geht es recht gut. Wir haben Stabilität und Sicherheit.« Dass dahinter zwei Familien stehen, die auch die Wirtschaft dominieren, macht hier vielen nichts aus. Kadir wird Populismus vorgeworfen; er versuche, die Ereignisse in Bagdad zu nutzen, um seinen Einfluss auszubauen. Bei der Regionalwahl 2018 erhielt »Neue Generation« 8 von 111 Sitzen. Die KDP hält 45, die PUK 21 Sitze.

Doch die kurdische Autonomieregion ist nicht Bagdad; am liebsten wäre man unabhängig, immerhin hatten die Wähler schon 2017 dafür gestimmt und damit einen bewaffneten Konflikt mit der Zentralregierung provoziert. Es sind vor allem regionale Probleme, die die Menschen bewegen: Ende Juli wurden neun Touristen aus dem Süden des Iraks in einem irakisch-kurdischen Erholungsgebiet durch Artillerie-Beschuss getötet. Die Türkei gibt der PKK offiziell die Schuld an dem Vorfall; die irakische Regierung macht indes das türkische Militär verantwortlich. In der Autonomieregion hielt sich die Regierung zurück. Das Verhältnis zwischen der Regionalregierung und der PKK ist schlecht; schon lange wirft man der Organisation vor, ihren Kampf gegen das türkische Militär auf den Schultern der irakischen Kurden auszutragen. Stattdessen baut man auf gute Beziehungen zur türkischen Regierung, die in der Region ein großes Konsulat unterhält.

Auf der Tagesordnung stehen aber auch die Öl- und Gasvorkommen in der Region: Es gibt Streit mit Bagdad über die Verteilung der Einnahmen aus deren Förderung; diese sind in den vergangenen Monaten stark gestiegen. In Bagdad will man den größten Teil des Geldes außerhalb der Autonomieregion verwenden; die ARK indes will einen Großteil des Geldes selbst behalten. Ein Gespräch zwischen Präsident Barzani und dem irakischen Regierungschef Mustafa Al-Kadhimi Anfang August verlief ergebnislos.

In privaten Gesprächen sprechen Funktionäre von KDP und PUK, die eigentlich politische Rivalen sind, deshalb die Möglichkeit an, dass man erneut versuchen könnte, sich vom Irak zu lösen, falls die politische Krise in Bagdad noch länger andauert. Bislang scheiterte das vor allem an der internationalen Gemeinschaft, die nach dem Unabhängigkeitsreferendum von 2017 auf Beibehaltung des Status quo bestand.

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