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6000 neue Wohnungen visieren Berlins Landeseigene bis Jahresende an. Doch bald muss die Bauoffensive neu verhandelt werden
Wohnungsbau ist Chefinnensache, diese Losung hatte Franziska Giffey zu Beginn ihrer Amtszeit ausgegeben. Zumindest am Donnerstag bedeutete das auch, selbst mal eine Wand zu verputzen. »Wie früher im Sandkasten«, kommentierte die Regierende Bürgermeisterin das, was sie da auf der letzten Station der Neubautour tat. Es war der Abschluss einer Rundfahrt durch Berlin, bei der Giffey zusammen mit Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (beide SPD) Neubauprojekte der sechs landeseigenen Wohnungsunternehmen kurz vor deren Fertigstellung besuchte.
Vom Charlottenburger Neubau mit Spreeblick über ein 21-geschossiges Hochhaus in Gropiusstadt bis hin zu einem ganzen Quartier in Adlershof reichten die Vorzeigeprojekte. »Circa 6000 Wohnungen, das ist unsere Zielsetzung, stellen die Landeseigenen bis Jahresende fertig«, so Giffey am Donnerstag. Das ist zwar weniger als die ausgegebene Messlatte für den jährlichen Neubau der Landeseigenen zu Beginn ihrer Amtszeit, wäre aber immerhin fast doppelt so viel wie die 3307, die diese im vergangenen Jahr gebaut haben. Insgesamt, das ist eigentlich das Ziel, sollen die Landeseigenen bis 2026 rund 35 000 neue Wohnungen bauen.
»Wir können natürlich nicht so viele Wohnungen bauen und keiner merkt etwas davon«, sagte Giffey im obersten noch nicht überdachten Geschoss eines Neubaus im Rudolfkiez. Zwar wären alle in der Stadt für bezahlbaren Wohnraum. Anders sehe das aber aus, wenn er vor der eigenen Haustür entstehe. Die WBM baut hier in der Modersohnstraße zwischen Bestandsgebäuden. Die Nachbarschaft wurde laut Giffey an den Planungen beteiligt. Doch beim Besichtigungstermin vor Ort war es eine Anwohnerin, die sich lautstark bei der Senatsspitze und ihrem Begleittross darüber beschwerte, dass 100 Jahre alte Bäume zugunsten der Bebauung weichen mussten.
Solche Konflikte im Zuge von Nachverdichtungen könnten in den nächsten Jahren zunehmen. Denn wenn neu gebaut und gleichzeitig Flächenfraß vermieden werden soll, wird man nach innen entwickeln müssen, erklärte Geisel. »Wir entscheiden uns, an Stellen zu bauen, die bereits versiegelt sind«, so der Stadtentwicklungssenator.
Neben der Innenentwicklung entstehen in Berlin aber ebenso auch neue Stadtquartiere. An der Hermann-Dorner-Allee in Adlershof hat die Howoge ihr bislang größtes Entwicklungsprojekt fast abgeschlossen. Das landeseigene Wohnungsunternehmen hat hier 612 Mietwohnungen, davon 107 möblierte Apartments für Studierende und Azubis, gebaut. Zwar gibt es eine Tiefgarage, das Quartier selbst ist aber autofrei. »Nach vorne schauen heißt auch mal etwas wagen. Das Mobilitätskonzept der Zukunft wird nicht jenes sein, das wir heute haben«, zeigte sich Howoge-Geschäftsführer Ulrich Schiller überzeugt.
In Pankow, bei einem Bauprojekt der Gesobau mit 107 Wohnungen verzichtet man dank guter Anbindung auch gleich auf Parkplätze. Dort geht man nicht nur beim Thema Mobilität neue Wege, sondern auch bei den Grundrissen. Eine 100 Quadratmeter große »Community Area« ist Teil des landeseigenen Neubaus. Auch gibt es einen Co-Working-Space und die Möglichkeit, zur eigenen Wohnung eine weitere, beispielsweise für die Eltern oder Großeltern, zusätzlich zu mieten.
Dass es in Berlin möglich ist, Wohnungen neu zu bauen, ohne im Zuge dessen Pkw-Stellplätze schaffen zu müssen, liegt an der hiesigen Bauordnung. Im Gegensatz zu anderen Bundesländern hat man in Berlin, was das betrifft, eine rechtliche Verankerung der autogerechten Stadt bereits überwunden. Gleichwohl steht eine Novelle der Bauordnung, mit der mehr ökologische Vorgaben gemacht werden könnten, noch aus. Keine Schotterflächen, weniger Versiegelung und dafür aber mehr Begrünung von Gebäuden sieht die neue Bauordnung unter anderem vor.
Ursprünglich sollte bereits kurz vor Ende der vergangenen Legislaturperiode im August 2021 eine neue Bauordnung verabschiedet werden. Das scheiterte an der SPD. Die damalige baupolitische Sprecherin der SPD-Fraktion und heutige Innensenatorin, Iris Spranger, begründete die Ablehnung mit der Kritik aus den Bezirken. Man habe dort zu wenig Personal, um die Regelungen auszuführen. Stadtentwicklungssenator Geisel hatte die Bauordnung zuletzt aufgeschoben mit Verweis auf die gestiegenen Baupreise.
»Die Argumentation, dass durch die neue Bauordnung das Bauen zu teuer werden würde, ist recht plump. Wenn wir nicht ökologischer bauen, wird es für die Zukunft noch teurer«, kritisiert Katrin Schmidberger, wohnungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Zudem sehe die neue Bauordnung gerade auch beim Holz- und Typenbau Erleichterungen vor. »Wenn Leute meinen, wir brauchen Regelungen, um Dachbegrünung zu ermöglichen, sage ich: Das passiert auch so schon«, ließ sich Geisel am Donnerstag ein.
Klar ist: Neubau ist teuer, erst recht seit den enormen Steigerungen bei den Baupreisen dieses Jahr. »Ich habe noch nie so eine unplanbare Situation gesehen«, sagte Jörg Franzen, Vorstand beim kommunalen Wohnungsunternehmen Gesobau, am Donnerstag. Allein der Wille zum Neubau würde mittlerweile nicht mehr ausreichen, die Landeseigenen könnten aber angesichts der Bedarfe an bezahlbarem Wohnraum nicht einfach die Situation aussitzen und zwei Jahre lang nichts bauen, so Franzen, der auch Sprecher aller landeseigenen Wohnungsunternehmen ist.
Franzen hatte zuletzt mit Blick auf das als Holzbau-Modellprojekt geplante Kurt-Schumacher-Quartier in Tegel ins Gespräch gebracht, dass die Landeseigenen auch Eigentumswohnungen verkaufen könnten, um den Bau bezahlbarer Mietwohnungen mitzufinanzieren. Stadtentwicklungssenator Geisel hatte sich ebenfalls für den Bau von Eigentumswohnungen ausgesprochen. Grünen-Wohnungspolitikerin Schmidberger und ihr Kollege von der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, Niklas Schenker, lehnen dies ab. Statt Eigentumswohnungen zu bauen, gelte es, dort den Landeseigenen Eigenkapital zur Verfügung zu stellen, wo es notwendig ist, sagen beide.
Was zukünftig den Neubau der Landeseigenen betreffe, stehe man aber erst am Anfang der fachpolitischen Debatte, betont Schmidberger. Auch Jörg Franzen sagte am Donnerstag, dass die Landeseigenen in den kommenden Monaten konkrete Lösungen vorschlagen wollen. Denn zum Ende des Jahres steht die Überarbeitung der Kooperationsvereinbarung zwischen Landeseigenen und Senat an.
Die Kooperationsvereinbarung regelt soziale Leitplanken der landeseigenen Wohnungsunternehmen. Für den Neubau steht in der Vereinbarung, dass mindestens 50 Prozent der Wohnungen mietpreis- und belegungsgebunden an Menschen mit einem Wohnberechtigungsschein (WBS) vermietet werden. In den vergangenen Jahren haben die Landeseigenen diese Quote dennoch unterschritten. Linken-Wohnungspolitiker Schenker spricht sich deshalb für höhere Quoten aus, in der Innenstadt sogar für 100 Prozent Sozialwohnungen. »Mit höheren Vorgaben würden die Landeseigenen nachholen, was zuletzt versäumt worden ist«, sagt er.
Während Schenker die Quoten erhöhen will, dürften die Landeseigenen im Zuge der Überarbeitung der Kooperationsvereinbarung darauf schauen, dass die Vorgaben für die Mieten in den nicht-mietpreisgebundenen frei finanzierten Wohnungen gelockert werden. Derzeit dürfen sie laut Kooperationsvereinbarung im Durchschnitt bei maximal elf Euro pro Quadratmeter liegen. Bereits im vergangenen Dezember hatten sich die Landeseigenen angesichts der Steigerungen bei den Baukosten für eine Erhöhung ausgesprochen.
Erst einmal hohe Baukosten hat auch das Wohnungsunternehmen Stadt und Land bei seinem Projekt in Alt-Britz. Hier baut es im Rahmen eines unter anderem von der Technischen Universität begleiteten Forschungsprojektes ein Gebäude aus Holz und eins aus Ziegel, um aufzuzeigen, wie viel CO2 durch ökologische Baustoffe eingespart werden kann. So ist es auch kein Putz, sondern Lehm, den Franziska Giffey am Ende der Neubautour mit der Maurerkelle auf die Wand aufträgt. Der Gedanke bei den ökologischen Baustoffen ist, dass Feuchte und Raumtemperatur über die Wände selbst gesteuert werden und die heute in Neubauten eingesetzte teure Haustechnik eingespart werden kann. »Das klingt, als würden sie sich an unsere Vorfahren erinnern. Aber wo ist denn da der Fortschritt?«, fragt die Regierende Bürgermeisterin Eike Roswag-Klinge von der TU Berlin. »Vielleicht wird genau das ja der Fortschritt sein, hinter das Technikzeitalter zurückzuspringen«, antwortet er ihr.
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