Quellenschutz vor Opferschutz

Zufälliges Auftauchen eines Beweisvideos lädt Prozess gegen rechten Terror auf

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 3 Min.

Haben Verantwortliche in Berliner Behörden gezielt die Aufklärung der Neuköllner Angriffsserie gegen antifaschistisch Aktive behindert? Der Umgang mit Beweismitteln legt das nahe – nicht zum ersten Mal. Ein weiterer Fall wurde wenige Tage vor dem an diesem Montag beginnenden Prozess gegen fünf Männer aus der rechtsextremen Szene bekannt, gegen die – nach einer endlosen Abfolge von scheinbaren Ermittlungspannen – vor einem Jahr Anklage erhoben worden war.

Am Freitag hatten Recherchen von »RBB24« und »Welt« die Existenz eines Polizeivideos bekannt gemacht, das mindestens einen der vor dem Amtsgericht Tiergarten angeklagten Rechtsextremen beim Sprühen einer bedrohlichen Parole im März 2019 zeigt. Pikant daran: Nicht die Behörden hatten die beteiligten Neonazis dabei gezielt beobachtet, vielmehr entstand das Video im Rahmen der polizeilichen Überwachung einer Person, die von den bekannten Rechtsextremen als politischer Gegner betrachtet und von der Polizei als »linksextremistisch« eingestuft wurde. Nachdem es den Tätern im Zuge der Attacke offenkundig nicht gelungen war, in das Haus des Betroffenen einzudringen, hinterließen sie eine unmissverständliche Drohung und Hakenkreuze im Eingangsbereich.

Die zur Aufklärung der Neuköllner Terrorserie eingesetzte BAO Fokus hatte dieses Video wohl bereits wenige Monate später vorliegen, leitete daraus aber keinerlei Ermittlungshandeln ab. Dies ist umso bemerkenswerter, da auf dem Video Sebastian T. zu sehen sein soll, dem zusammen mit dem ebenfalls ab Montag angeklagten Tilo P. vor allem zwei Brandstiftungen auf Autos politischer Gegner*innen vorgeworfen werden, darunter das des Neuköllner Linke-Politikers und Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, Ferat Kocak. Dieser war zunächst als Nebenkläger im Prozess ausgeschlossen, am Freitag allerdings kurzfristig doch zugelassen worden.

Eine weitere Person, die als Täter auf dem Video zu erkennen sein soll, ist laut einer am Freitag veröffentlichten Recherche des »Antifaschistischen Infoblatts« (AIB) Oliver W., dessen Gewaltkarriere im rechtsextremen Kontext und als Anti-Antifa-Aktivist schon in den 1990er Jahren begonnen hatte und der für diverse Taten wie Verstoß gegen das Sprengstoff- und Waffengesetz, Zuhälterei, Körperverletzung und Sachbeschädigung verurteilt worden war. Jahre später tauchte er demnach im Umfeld des Neuköllner Verbands der Neonazi-Partei NPD auf. W. gilt als politischer Weggefährte von Sebastian T. »Völlig unverständlich erscheint, dass szenekundige Beamte aus Berliner Sicherheitsbehörden zunächst nicht in der Lage gewesen sein wollen, W. trotz seines markanten Äußeren auf den Videobildern zu erkennen«, heißt es in der AIB-Recherche.

Bianca Klose, Geschäftsführerin der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR), bezeichnet es als Skandal, wie im Vorfeld des von Betroffenen des rechten Terrors lang erwarteter Prozesses mit Beweismitteln umgegangen wurde. »Womöglich haben die Ermittlungsbehörden Beweismittel zur rechtsextremen Angriffsserie zurückgehalten, um die Informationsgewinnung in der linken Szene weiterführen zu können. Wenn sich das bewahrheitet, wurde der Quellenschutz mal wieder höher bewertet als der Schutz potenzieller Opfer. Es scheint, als wären zentrale Konsequenzen aus der Mordserie des NSU nicht gezogen worden.« Dass es sich bei dem lange gesuchten Beweismittel um ein reines Zufallsprodukt des Vorgehens gegen Angehörige der linken Szene handelt, werfe zudem »Fragen zur Verhältnismäßigkeit des Ressourceneinsatzes der Berliner Polizei auf«.

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