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- Neue Ära in Kolumbien
»Armee des Friedens«
Kolumbiens Präsident Petro richtet die Streitkräfte neu aus
Eine gerechte Gesellschaft, mehr Ökologie wagen, Frieden und Sicherheit für alle im Ex-Bürgerkriegsland: Die Regierung des ersten linken Präsidenten Kolumbiens hat sich Großes auf die Fahnen geschrieben. Mit einem regelrechten Paukenschlag hat Staatschef Gustavo Petro seinen Willen bekräftigt, Armee und Polizei vom Kopf auf die Füße zu stellen. »Wir werden nur dann in die Geschichte eingehen, wenn wir Frieden schaffen«, rief der Ex-Guerillero bei einer landesweit übertragenen Zeremonie in der Kadettenschule José María Córdoba nördlich der Hauptstadt Bogotá zu Versöhnung auf. Jahrzehnte von Gewalt durch Staat, Guerillas und Drogen-Kriminalität müssten ein Ende finden, warb der Oberbefehlshaber vor der Spitze der staatlichen Sicherheitskräfte für ein neues Verhältnis zwischen Waffenträgern und Bevölkerung.
Es gehe darum, die »Konzeption selbst zu ändern« und eine »Armee des Friedens« aufzubauen, warf sich Petro für einen Sinneswandel ins Zeug. »Die Veränderung, die die Gesellschaft vorschlägt, schließt auch eine Änderung unserer Auffassung von den Streitkräften ein«, so der 62-Jährige. Seine Vorgängerregierungen hätten »die Sicherheit in Opfern gemessen – wie viele Gefangene, wie viele Tote jeden Tag – und viele der Sicherheitsindikatoren haben sich nicht verbessert, im Gegenteil: Viele Gebiete des Landes werden von multikriminellen Organisationen kontrolliert«, so Petro weiter und forderte von seinen Untergebenen statt innerer Sicherheit »menschliche Sicherheit« ein.
Ein erster großer Anlaufschritt dieser sicherheitspolitischen Vorwärtsrolle ist die Neubesetzung von rund 30 Generälen aus Armee und Polizei. Ebenfalls mit großer Geste und Liveschalte hatte Petro – an seiner Seite Verteidigungsminister Iván Velásquez – die neuen Namen bekannt gegeben, die künftig den kolumbianischen Sicherheitsapparat anführen. Dass mit Velásquez ein profilierter Jurist, Antikorruptionsexperte und Menschenrechtler ins Verteidigungsministerium eingezogen ist, der für den Obersten Gerichtshof unter anderem die blutige Rolle der rechten Paramilitärs und ihre Verbindungen in die Politik aufgearbeitet hat, dürfte für die Streitkräfte kein leichtes Brot gewesen sein. Große Überraschungen bringt das neue Personaltableau nicht mit sich. Bei allen neuen Gesichtern handelt es sich um langjährige Karriere-Uniformträger. Allein der Leiter des kolumbianischen Geheimdienstes lässt aufhorchen. Neuer Chef der DNI ist Dr. Manuel Alberto Casanova, wie Petro einst Mitglied der M-19-Guerilla, was die konservative Opposition prompt als »Vertrauensbruch« bezeichnete. Erstmals wird kein Militär den Sicherheitsdienst führen, als enger Weggefährte des Präsidenten soll der studierte Philosoph, der sich mit seiner Stiftung »Avanzar« um die Wiedereingliederung von demobilisierten FARC-Kämpfern kümmert, auch ein wachsames Auge auf die vielen Gegner der neuen Linksregierung werfen.
Bei der Zeremonie in der Kadettenschule hatte Petro offiziell die Anerkennung als Oberbefehlshaber von 228 000 Soldaten und 172 000 Polizisten empfangen. Kolumbien hat damit nach Brasilien den größten Sicherheitsapparat des Kontinents. Maßgeblich an Ausbildung, Ausrüstung und Finanzierung sind bisher die USA beteiligt, womit sie die konservativen Regierungen im »Krieg gegen die Drogen« und gegen jede Veränderung von links unterstützten. Kolumbien ist Nato-Partnerstaat und damit Teil der westlichen Sicherheitsarchitektur. Petro weiß also genau, dass er auf eine gute Zusammenarbeit mit der olivgrünen Staatsmacht angewiesen ist. Vor seinem Amtsantritt hatten Gerüchte und Spekulationen die Runde gemacht, ob die Armee als »Staat im Staate« einen linken Präsidenten ohne Gegenwehr hinnehmen würde; einen Armeechef, der in seinen jungen Jahren als Mitglied der M-19-Guerilla die Waffe gegen den Staat in die Hand genommen und unweit der für den Festakt ausgewählten Kadettenschule wegen seiner Guerilla-Mitgliedschaft selbst mehrere Monate hinter Gittern verbracht hatte. Und so schlägt Petro auch aus taktischen Gründen einen versöhnlichen Ton an: »Ich bin nicht nur dein Oberbefehlshaber, sondern auch dein Bruder, der entschlossen ist, dich in ein friedliches Land zu führen.« Doch auch in Richtung seiner Wählerschaft muss geliefert werden. »Die Nationalpolizei ist nicht hier, um zum Haus einer Bauernfamilie zu kommen und sie in die Gefängnisse zu schleppen, weil sie Kokablätter anbauen«, sagte er und wagt damit den politischen Spagat: Fast ein Viertel der Gefängnisinsassen sind Koka-Bauern. Es müsse ein Ende der »ewigen« Konfrontation zwischen Polizei und Landarbeitern geben. Die Zerstörung von Kokablatt-Plantagen durch die Sicherheitskräfte und damit die Kriminalisierung der Bauern will der Linkspräsident schnellstmöglich beenden. Der Krieg gegen die Drogen, so seine populäre Einsicht, »das ist nicht unser Krieg«.
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