Dauerkontrolle am Dresdner Bahnhof

Selektive Überprüfungen der Bundespolizei: Kritiker sehen unzulässiges Racial Profiling

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.

Alle zwei Stunden fährt am Dresdner Hauptbahnhof ein Eurocity-Zug aus Prag ein. Die Züge sind vor allem im Sommer bei Touristen beliebt und entsprechend gut gefüllt. Seit einigen Tagen entsteigen ihnen auch Beamte der Bundespolizei, die ab dem Grenzbahnhof Bad Schandau mitgefahren waren und Fahrgäste in Augenschein genommen hatten. Etliche von diesen werden auf dem Bahnsteig von deren Kollegen in Empfang genommen und nach einer ersten Überprüfung von Papieren in einem hinter Sichtschutz verborgenen Bereich in der Bahnhofshalle weiter kontrolliert. Pro Zug, sagt Dave Schmidtke vom Sächsischen Flüchtlingsrat (SFR), seien etwa 15 bis 20 Personen betroffen. Auffällig ist: Praktisch keiner hat eine weiße Hautfarbe. »Was wir erleben«, sagt Schmidtke, »ist Racial Profiling.«

Der Begriff Racial Profiling bezeichnet polizeiliche Maßnahmen, bei denen »die Polizei den Fokus in unzulässiger Weise auf bestimmte äußere Merkmale … der betroffenen Menschen richtet und sie damit pauschal als verdächtig behandelt«, definiert das Deutsche Institut für Menschenrechte. Sei etwa die Hautfarbe ein tragendes Kriterium bei Kontrollen, stelle das einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot im Grundgesetz dar. Clara Anne Bünger, Bundestagsabgeordnete der Linken, spricht mit Blick auf die Vorgänge in Dresden im Kurznachrichtendienst Twitter von einer »absolut inakzeptablen« Praxis, die »unbedingt beendet werden muss«. Sie verweist auf ein Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom Januar 2022. Dort heißt es unter Bezug auf den Fall eines Mannes, der 2018 am Bahnhof Chemnitz überprüft wurde, die Beamten hätten nachweisen müssen, dass eine Kontrolle »nicht lediglich aufgrund der Anknüpfung an seine Hautfarbe« erfolgt sei.

Die Bundespolizeidirektion in Pirna spricht ebenfalls auf Twitter von einer »grenzpolizeilichen Maßnahme«. Dabei würden »einreisende Drittstaatsangehörige ohne Aufenthaltsrecht in Deutschland entsprechend den gesetzlichen Vorgaben überprüft«. Ausdrücklich betont wird, entscheidend für die Kontrolle sei »der aufenthaltsrechtliche Status, nicht die Herkunft der Person«. Eine Anfrage des »nd« zu den Hintergründen der Kontrollen und den dabei im Mittelpunkt stehenden Personengruppen wurde bis zum Redaktionsschluss nicht beantwortet.

Nach Angaben von SFR-Sprecher Schmidtke wurden bereits seit Ausbruch des Krieges in der Ukraine Ende Februar verstärkte Kontrollen der Bundespolizei auf Bahnverbindungen nach Dresden beobachtet. Allerdings habe die jetzige Aktion eine gänzlich andere Dimension: »Etwas Vergleichbares haben wir noch nicht erlebt.« Die Reisenden würden zunächst im Bahnhof registriert und einem Corona-Schnelltest unterzogen. Personen ohne Visum würden dann in einem Dresdner Polizeirevier befragt. Zudem werde Anzeige wegen illegaler Einreise erstattet. Wer ein Asylgesuch stellen wolle, werde in eine Erstaufnahmeeinrichtung gebracht. Die Umstände der Kontrollen kritisiert der SFR scharf. Abgesehen von deren rassistischem Charakter würden die Betroffenen teils über Stunden festgehalten, ohne Verpflegung und auch ohne Rechtsberatung durch eine unabhängige Stelle. »Diese würden wir uns dringend wünschen«, sagt Schmidtke. Er verweist darauf, dass die Anzeigen für erhebliche Probleme in einem weiteren Asylverfahren sorgen.

Nach Informationen des Flüchtlingsrates sollen die Kontrollen, die lange vorbereitet seien, noch erhebliche Zeit fortgesetzt werden. »Wir rechnen mit mindestens fünf bis sechs Wochen«, sagt Schmidtke: »Wir fürchten, das verstetigt sich.«

Bünger verwies auf nd-Anfrage auf die Gefahr, dass im Dresdner Bahnhof faktisch »eine Grenzkontrolle eingeführt wird«, was an einer EU-Binnengrenze unzulässig sei. Sie wollte sich am Montag in Dresden mit Vertretern der Bundespolizei treffen. Zudem begehrt sie per Kleiner Anfrage an die Bundesregierung Auskunft unter anderem dazu, auf welcher Rechtsgrundlage und für welche Dauer die »temporäre Einlasszentrale« in Dresden eingerichtet wurde. Diese stößt zunehmend auf Protest. Am Sonntag gab es eine Kundgebung am Hauptbahnhof; zudem begleiteten Aktivisten etwa vom Bündnis »Willkommen in Dresden« die Aktionen der Beamten – sehr zu deren Unwillen. In Zusammenarbeit mit der Deutschen Bahn wurden Hausverbote erteilt; mindestens ein Fotojournalist wurde wiederholten Kontrollen unterzogen. Jörg Reichel von der Deutschen Journalistinnen- und Journalistenunion (dju) Berlin-Brandenburg sieht eine »Behinderung von Pressearbeit«. Schmidtke kündigt indes an, man werde die Aktivitäten der Bundespolizei in Dresden auch in den nächsten Tagen »weiter kritisch begleiten«.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.