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Bedingungslose Armutsbekämpfung
Die Datenanalytikerin Aida Martínez über das Pilotprojekt zum Grundeinkommen in Katalonien
In Katalonien startet 2023 für zwei Jahre das bisher umfassendste Pilotprojekt für ein Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) überhaupt. Sie sind mit ihren Mitarbeitern vom sogenannten Büro des Pilotprojektes von der katalanischen Regierung mit der Durchführung betraut. Sie verfolgen dabei ein zweistufiges Konzept, das die Wirkung auf Haushalte, aber auch auf ganze Gemeinden untersuchen will. Können Sie das Konzept erklären?
Das Projekt startet in den ersten drei Monaten 2023. Dass wir ein zweistufiges Konzept verfolgen, das einerseits auf den Vergleich von ausgewählten Haushalten aus ganz Katalonien mit und ohne Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) und andererseits auf den Vergleich von zwei Gemeinden beruht, deren Bewohner bis auf die oberen zehn Prozent komplett mit einem BGE ausgestattet werden, während die Vergleichsgemeinden leer ausgehen, hat folgenden Hintergrund: Es gibt schon einige Erfahrungen weltweit mit Pilotprojekten, die die Auswirkungen eines BGE auf Individuen untersucht haben, aber noch keines das einen Vergleich auf der kollektiven Ebene einer ganzen Gemeinde untersucht hat, es geht um aggregierte Effekte, wie verändert sich eine Gemeinde, ihr Binnenverhältnis, durch ein BGE, wenn es alle bekommen bis auf die reichsten zehn Prozent.
Aida Martínez Tinaut ist Datenanalytikerin im Büro des Pilotplans zur Einführung
des Grundeinkommens in Katalonien, einer Abteilung des Präsidialamtes. Über das Vorhaben sprach mit ihr in Berlin für »nd« Martin Ling.
Wie viele Menschen werden einbezogen?
Insgesamt werden 5000 Menschen in Katalonien das BGE erhalten, aufgeteilt auf zwei Gruppen: 2500 aus Haushalten in ganz Katalonien auf der Basis eines Zufallsgenerators, 2500 aus den ausgewählten zwei Gemeinden. Das einzige Ausschlusskriterium ist wie gesagt, die Personengruppe der zehn Prozent Reichsten. Denn es geht bei dem Pilotprojekt darum, zu untersuchen, wie Armut möglichst effektiv und effizient bekämpft werden kann. In einer hypothetischen Zukunft geht es ja darum, das BGE auf genereller Ebene in ganz Katalonien allen Einwohnern zu gewähren. Finanziert würde dieses generelle BGE mit einer progressiven Steuerreform, die die zehn Prozent Reichsten stärker belasten würde. Sie würden kein BGE erhalten. Es macht also keinen Sinn, sie jetzt im Pilotprojekt mit einem BGE auszustatten.
Nach welchen Kriterien werden die Bezieher des BGE ausgewählt?
Die Idee für die Zukunft ist die eines BGE für die breite Bevölkerung, also nicht nur für die Verwundbarsten, die Arbeitslosen und Ärmsten. Deswegen sind auch jetzt alle jenseits der oberen zehn Prozent die Zielgruppe. Deswegen werden die 2500 Individuen per Zufallsgenerator unter 90 Prozent der Bevölkerung ausgewählt. Bei den zwei Gemeinden und den Vergleichsgemeinden wird darauf geachtet, dass sie sich in den gängigen Statistiken sehr ähneln, bei der Arbeitslosenquote, bei den Einkommen etc., damit der Vergleich bei der Auswertung möglichst aussagekräftig wird.
Das BGE ist netto? Ein Vierpersonenhaushalt mit zwei Kindern erhält zwei Mal 800 Euro und zwei Mal 300 Euro, also 2200 Euro. Das wird nicht durch die Steuererklärung im Nachhinein erfasst und netto wieder reduziert?
Ja, es ist netto, das stimmt. Das BGE setzt am Individuum an, egal ob Erwachsener oder Kind. Das ist ein Unterschied zu den derzeitigen Sozialleistungen, die an der Familie ansetzen, die der Familie zufließen. Das BGE soll den Personen im Haushalt individuell zufließen. Zum Beispiel den Frauen, damit sie sich vom Mann emanzipieren können, gerade jene, die misshandelt werden. Bei einer Familienhilfe hätte das Familienoberhaupt die Hand drauf. Das soll mit dem BGE vermieden werden. Eine nachträgliche Besteuerung gibt es nicht.
800 Euro im Monat befreit einen Menschen kaum davon, seine Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt anzubieten. Von 800 Euro allein lässt sich in Katalonien schwer leben. Ist das BGE bewusst so niedrig angesetzt, um Effekte auf dem Arbeitsmarkt zu begrenzen? Damit sich nicht das »Arbeitslos und Spaß dabei« verstärkt und das Arbeitsangebot eingeschränkt wird, wie es vor allem die Neoliberalen befürchten?
Nein, die Höhe des BGE wurde nicht mit Hinblick auf den Arbeitsmarkt gewählt, sondern mit Hinblick auf die Armutsschwelle. Die liegt in Spanien derzeit bei 794 Euro im Monat für einen Single. Da das BGE die grundlegenden Bedürfnisse eines Menschen in einem Monat decken soll, wurde sich daran orientiert und sich auf 800 Euro geeinigt. Der Arbeitsanreiz spielte dabei keine Rolle. Bisherige Erfahrungen in anderen Pilotprojekten zeigen auch, dass das BGE sich nicht wesentlich auf den Arbeitsanreiz auswirkt, weder arbeiten die Menschen weniger noch mehr. Die meisten arbeiten wie gewohnt weiter.
Welches Budget ist für das Pilotprojekt vorgesehen?
Rund 85 bis 90 Millionen Euro werden für die zwei Jahre kalkuliert für das komplette Pilotprojekt einschließlich der Auswertung.
24 Monate sind eine lange Zeit. Wie wird das Projekt danach evaluiert und welche Fragen werden gestellt? Welche Kriterien für einen Erfolg werden angelegt?
Wir haben vom ersten Tag der Vorbereitungen daran gedacht, wie wir das Projekt evaluieren wollen. Wir vom Büro des Pilotprojekts arbeiten von Anfang an mit dem Institut für die Evaluierung öffentlicher Güter in Katalonien zusammen. Der größte Teil der Evaluierung wird auf der Grundlage quantitativer Daten vorgenommen. Damit sollen möglichst robust die Effekte des BGE nachgewiesen werden, Effekte, die auf dem BGE beruhen und nicht auf irgendeinem anderen Motiv. Aber es gibt nebenbei auch qualitative Methoden wie Gruppendiskussionen und Interviews mit spezifischen Fragen, die Informationen über Aspekte bringen sollen, die sich nicht quantitativ erschließen lassen. Und um die Effekte des BGE zu ermessen, haben wir Vergleichsgruppen mit sozial möglichst ähnlicher Struktur, die das BGE nicht bezogen haben. Das Vorgehen ist ähnlich wie bei Vergleichen im Gesundheitswesen, die auch quantitativ und qualitativ angelegt werden. Am Ende der zwei Jahre werden wir sehen, wie die 2500 BGE-Bezieher sich gegen die 2500 Vergleichseinwohner entwickelt haben und wie sich die zwei BGE-Gemeinden gegen die zwei Vergleichsgemeinden entwickelt haben. Dabei wird auf die synthetische Kontrollmethode zurückgegriffen.
Was steckt hinter der synthetischen Kontrollmethode?
Es handelt sich um eine recht innovative Methode zur Bildung der Kontrollgruppe im Rahmen des Pilotprojekts. In Katalonien gibt es 947 Gemeinden, aber nur zwei werden das BGE erhalten. Nur zwei Gemeinden sind zu wenig, um eine ausreichende statistische Aussagekraft bei der Kontrolle zu haben, da mehr Gemeinden behandelt werden sollten. Diese Idee wurde jedoch verworfen, da es schwierig wäre, die aggregierten Auswirkungen zu messen, die uns in kleinen Gemeinden mit weniger als 100 Einwohnern interessieren. Aus diesem Grund ist die Methode der synthetischen Kontrolle so nützlich, weil sie es uns ermöglicht, eine kontrafaktische Situation zu schaffen, obwohl wir nur zwei Gemeinden in Behandlung haben. Dazu werden Verwaltungsdaten aus einer ausreichend langen Zeitreihe verwendet, mit denen durch unterschiedliche Gewichtung der Gemeinden, die kein BGE erhalten, synthetische Gemeinden geschaffen werden, die denen entsprechen, die das BGE erhalten, aber mit dem Unterschied, dass sie es nicht erhalten. Dabei handelt es sich um eine statistische Simulation, die zeigen soll, was in den beiden Gemeinden, die das BGE erhalten, passiert wäre, wenn sie es nicht erhalten hätten.
In einigen Ländern, darunter auch in Ländern des Globalen Nordens wie Finnland und Kanada, gab es bereits Pilotprojekte zum Grundeinkommen. Bisher wurde im Anschluss noch kein Projekt flächendeckend umgesetzt. Ist dies in Katalonien denkbar?
Es ist denkbar. Am Ende des Pilotprojektes erwarten wir Erkenntnisse und robuste Fakten auf objektiver, wissenschaftlicher Grundlage, die es erlauben, abzuschätzen, wie sich ein allgemeines BGE für alle in Katalonien real auswirken würde. Ob ein BGE als öffentliche Politik eingeführt wird, hängt schlussendlich neben den Resultaten vom politischen Willen ab. Wir vom Büro des Pilotprojektes können nur die Erkenntnisse beisteuern, objektive Fakten. Was die Politiker daraus machen, haben wir nicht in der Hand. Sie können danach dafür oder dagegen sein, aber auf der Basis von Argumenten und Fakten und nicht auf der von Ideologien.
Glauben Sie, dass ein allgemeines Grundeinkommen denkbar wäre, wenn es nur auf Katalonien beschränkt wäre? Wäre es nicht ein großer Anreiz für alle Spanier aus anderen autonomen Gemeinschaften, nach Katalonien zu kommen, oder für EU-Bürger im Rahmen der Freizügigkeit?
Auf diese Fragen gibt es zwei Antworten. Die erste haben wir beim Pilotprojekt schon beantwortet. Es war klar, dass die zwei Gemeinden, die mit dem BGE ausgestattet werden, sehr attraktiv für Zuzügler würden. Deswegen wird der Bezug des BGE dort auf Bewohner beschränkt, die den Nachweis über mindestens sechs Monate dauerhaften Aufenthalt erbringen können. Wenn aus dem Pilotprojekt ein allgemeines BGE in Katalonien werden sollte, wird es ähnlich laufen müssen. Das BGE wird an einen nachgewiesenen längeren dauerhaften Aufenthalt in Katalonien geknüpft sein müssen. Das ist dann ähnlich wie beim Bezug von den jetzigen Sozialleistungen.
Und die Finanzierung wäre auch für ein allgemeines BGE in Katalonien machbar?
Ja. Es gibt Simulationen von Professoren der Universität Barcelona, die zeigen, dass mit einer leicht progressiveren Besteuerung genügend Mittel generiert werden könnten, ohne dass eine neue Steuer erhoben werden müsste. Es reicht, das jetzige Steuersystem progressiv umzugestalten. Es wäre alles andere als der Ruin der öffentlichen Finanzen. Viele jetzige Sozialleistungen würden entfallen, weil sie durch das BGE kompensiert würden. Eine Neujustierung des öffentlichen Sektors und des Steuersystems würde reichen. Wenn die oberen zehn bis 15 Prozent ein wenig progressiver besteuert würden, reichten die Mittel schon aus.
Es ist unterm Strich eine Frage des politischen Willens, ob das BGE generalisiert wird, wenn das Pilotprojekt erfolgreich ausfallen sollte?
Total. Wir liefern reale Daten zur Entscheidungsfindung. Wir liefern Argumente gegen falsche Informationen zum BGE. Entschieden wird dann in der Politik.
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