- Politik
- NDR in Schleswig-Holstein
Zu nah an der Politik?
Der NDR in Schleswig-Holstein wird derzeit von Vorwürfen einer parteiischen Berichterstattung erschüttert
Eine Veröffentlichung des Onlinemagazins »Business Insider« über den Verdacht einer nicht unabhängigen politischen Berichterstattung im NDR-Landesfunkhaus Kiel hat dort für ein gewaltiges Beben und auch für Aufregung in der schleswig-holsteinischen Landespolitik gesorgt. Der Landesrundfunkrat des ARD-Senders hat sich Montagabend das erste Mal mit der Angelegenheit befasst und hat eine umfangreiche Prüfung angekündigt. Es geht um eine vermeintliche Einflussnahme von Vorgesetzten in der Redaktion, von einem »politischen Filter« ist die Rede. Die Vorwürfe gipfeln darin, dass Führungskräfte »wie eine Art Pressesprecher der Ministerien« agieren würden. Außerdem ist von einem »Klima der Angst« in Teilen der Redaktion die Rede.
Die DGB-Nord-Vorsitzende Laura Pooth, Vorsitzende des Landesrundfunkrats, sagte nach der Sondersitzung des zehnköpfigen Kontrollgremiums, man nehme die Vorwürfe sehr ernst und werde sich an eine unverzügliche Prüfung machen – wo nötig, auch mit externem Sachverstand. Unterdessen haben 72 Mitarbeiter*innen des NDR Schleswig-Holstein dem Landesfunkhausdirektor Volker Thormählen einen Brief zukommen lassen, in dem sie eine lückenlose Aufklärung fordern.
Die Nervosität im Sender ist groß, die Glaubwürdigkeit der Berichterstattung steht auf dem Spiel. Seit Wochenbeginn hat es wohl auch deshalb eine erste hausinterne Personalentscheidung gegeben: Chefredakteur Norbert Lorentzen und die Ressortchefin Politik, Julia Stein, sind für die Berichterstattung zur aktuellen Affäre nicht mehr verantwortlich. Dies dürfe jedoch nicht als Schuldzuweisung an beide angesehen werden, hieß es.
Chefredakteur Lorentzen und Funkhausleiter Thormählen wird jeweils eine CDU-Nähe nachgesagt. Für Thormählen ist nach eigenem Bekunden eine Parteimitgliedschaft reine Privatsache. Für die Kieler NDR-Politikchefin Julia Stein wäre ein Parteibuch mit der von ihr ausgeübten Funktion hingegen unvereinbar.
Die Debatte über ARD & ZDF ist destruktiv: Durch den Schlesinger-Skandal stehen die Öffentlich-Rechtlichen massiv in der Kritik. Leider ist die politische Debatte bisher unterkomplex.
Die Kernfrage, die am Vertrauen der NDR-Berichterstattung rüttelt, ist die nach einer zu großen Nähe und Vertrautheit zu Politiker*innen – speziell der Redaktionsleitungsebene. Diese schließlich hebt oder senkt den Daumen für die einzelnen Sendebeiträge aus dem Kreis der Redaktion. Konkret geht es um den Vorwurf, dass die Umstände des Rücktritts des CDU-Innenministers Hans-Joachim Grote am 28. April 2020, der damit einem Rauswurf durch Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) zuvorgekommen war, nicht ausgewogen genug dargestellt wurden. O-Töne von Grote sollen unberücksichtigt geblieben und auch der aus der Redaktion kommende Vorschlag, ein Interview mit Grote zu führen, abschlägig beschieden worden sein. Nicht alle in der Redaktion waren mit den ausgestrahlten Beiträgen einverstanden und wandten sich an den NDR-Redaktionsausschuss, der als Schlichtungsstelle für interne Beschwerden dient.
Insgesamt wandten sich in den vergangenen zwei Jahren laut »Business Insider« neun Mitarbeiter*innen an die Beschwerdestelle, die Vertraulichkeit zusichert. Der Vorgang Grote war somit kein Einzelfall. Immer wieder habe es Fälle gegeben, die den Eindruck erwecken konnten, dass es an der notwendigen Distanz zur Landesregierung gefehlt habe. Einzelne Kabinettsmitglieder wurden demnach mit Vornamen angesprochen oder geduzt.
Die Stimmung in der Politikredaktion des Funkhauses wird als vergiftet beschrieben. Die Führungsetage habe seit Eingang von Beschwerden immer wieder versucht, die dahinter steckenden Beschäftigten herauszufinden, und auch nach den aktuellen Enthüllungen soll gegenseitiges Misstrauen und die Angst vor Denunziation auf den Funkhaus-Fluren zu spüren sein.
Der NDR widersprach in einer Erklärung der Darstellung, dass es einen »politischen Filter« gebe. Der »Vorgang Grote« wird dabei als »unterschiedliche journalistische Bewertung« dargestellt und dies als »üblich im redaktionellen Tagesgeschäft« bezeichnet.
Am 7. September wird das Thema auch den Kieler Landtag beschäftigen. Dann wollen die Oppositionsparteien SPD, FDP und Südschleswigscher Wählerverband die Vorgänge und Vorwürfe im Innen- und Rechtsausschuss behandeln. Die CDU findet hingegen, dass es zur journalistischen Unabhängigkeit gehört, dass der NDR die Angelegenheit in Eigenregie aufklärt, ohne dass Politik dort hineinredet.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.