Von Wucht und Wurzel

Die Ampel bleibt beim Thema Entlastungen vage und will den Strommarkt neu regeln

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Bundesfinanzminister und FDP-Chef Christian Lindner verlassen Schloss Meseberg und schreiten Seit’ an Seit’ zu den drei bereitstehenden Pulten. Die Sonne strahlt – ebenso wie die Spitzen der Ampelkoalition. Die Botschaft nach der zweitägigen Kabinettsklausur: Hier ist alles furchtbar harmonisch. Streit gibt es nicht zu sehen, Politanalysten und Kommentatoren bitte weitergehen.

Nach zum Teil harscher Kritik aus den Reihen der Grünen an Kanzler Scholz sieht sich Habeck im Verlauf der Pressekonferenz gar zur Lobhudelei bemüßigt und erklärte »wie gut es ist, dass Olaf Scholz diese Regierung führt«: »Mit seiner Erfahrung, mit seiner Umsicht, mit seiner Ruhe führt er dieses Land sicher, und ich bin froh, dass es genauso ist«, so Habeck über Scholz. Der sprach von einer guten und sehr konstruktiven Atmosphäre in der Ampel-Koalition. Man habe »noch einmal die Gelegenheit genutzt unterzuhaken«. Als »kollegial und gut« bezeichnete Lindner die Arbeit in der Koalition. »Dass es da mal ab und an öffentlichen Austausch gibt, ist unvermeidlich.«

So viel Mühe sich Scholz, Habeck und Lindner geben, ja keine Zweifel am Zusammenhalt der Koalitionäre aufkommen zu lassen, so wenig haben die drei anzubieten, als es um das geht, was Millionen Bürger*innen – angesichts der ruinösen Energiepreise wortwörtlich – wohl am brennendsten interessiert: Wie sieht es aus mit dem dritten Entlastungspaket? Wer soll was ab wann für wie lange bekommen? Doch wer nach Wochen der Koalitionskakophonie und vagen Versprechungen auf wenigstens ein paar konkrete Antworten gehofft hatte, der wurde auch am Mittwoch enttäuscht – und erneut mit allerlei blumigen Worten vertröstet.

»Bald«, so Kanzler Scholz seien die Arbeiten am dritten Entlastungspaket abgeschlossen. Ziel sei »ein sehr präzises, ein sehr maßgeschneidertes Entlastungspaket«. »Wir arbeiten am großen Bauwerk, und die Architektur dieses Bauwerks hängt eben von allen Einzelteilen ab, die aber nur zusammen eine gute Konstruktion ergeben«, so Scholz. Aha! Einen ähnlichen maßvollen Wissenzugewinn boten die Ausführungen des Finanzministers: »Wir brauchen ein wuchtiges Paket für Entlastungen in der ganzen Breite der Gesellschaft«, erklärte Lindner. Von dem aber immerhin ein ungefährer finanzieller Rahmen zu erfahren war, in dem sich die Hilfsleistungen bewegen könnten. So gebe es im Haushalt unter anderem durch höhere Steuereinnahmen in diesem Jahr Spielräume im einstelligen und durch bereits getroffene Vorsorgen im kommenden Jahr im zweistelligen Milliardenbereich.

Neben der Bekämpfung der Auswirkungen der Energiekrise will sich die Ampelkoalition nun zudem auch verstärkt mit den wie Lindner sagte »Wurzeln« des rasanten Energiepreisanstiegs auseinandersetzen. »Wir haben insbesondere an den Strommärkten Spekulation, und wir haben an den Strommärkten Regeln, die eine Arte politisch gemachten Rendiautopiloten etabliebrt haben. Regeln, die dazu führen, dass die steigenden Gaspreise zu Extrarenditen, Zufallsgewinnen an anderen Stellen führen«, so Lindner. Neben der Entlastung müsse die Koalition »an diese Quelle steigender Preise ran«. Darüber habe man sich verständigt und daran arbeite man intensiv weiter. In Sachen Übergewinnsteuer hingegen zeigte sich Lindner mit Verweis auf rechtliche Probleme in anderen europäischen Ländern weiterhin skeptisch. In Italien etwa gebe es bereits 20 Klagen die dortige Übergewinnsteuer, so Lindner.

Kritk an den Ergebnissen, oder besser gesagt, den Nicht-Ergebnissen in Sachen Entlastungen folgte umgehend aus Reihen der Opposition. Bayerns Ministerpräsident und CSU-Vorsitzender Markus Söder warf den Koalitionären im Kurznachrichtendienst Twitter vor, man lasse wertvolle Zeit verstreichen. Die Klausur bezeichnete er als eine Enttäuschung. »Kein Entlastungspaket, keine Entscheidung über Kernkraft-Verlängerung, keine Abschaffung der Gasumlage. Schöne Bilder ersetzen keine gute Politik«, so Söder. Auch Dietmar Bartsch, Ko-Vorsitzender der Linksfraktion im Bundestag, zeigte sich empört über die Ampel. Er warf der Koalition »Abgehobenheit auf dem Sonnendeck« und »eine Klausur der Selbstgerechtigkeit, die die Sorgen und Nöte von Millionen Menschen belächelt« vor. Statt konkrete Entlastungsschritte zu beschließen, hätten sich die Beteiligten selbst gelobt. »Das ist angesichts der Dramatik im Land inakzeptabel«, so Bartsch.

Verena Bentele, Präsidenten des Sozialverbands VdK, begrüßte, »dass die Bundesregierung für die kommende Woche endlich konkrete Vorschläge ankündigt, wie sie die am stärksten unter den hohen Preisen leidenden Bürgerinnen und Bürger entlasten will.« Die Regierung müsse »jetzt ganz schnell liefern, denn viele Menschen haben keine Zeit mehr, darauf zu warten, dass sich die Koalitionäre endlich einig werden«. Auch, »dass Strom- und Gaskonzerne nicht länger Profiteure der aktuellen Energiekrise sein sollen«, goutiert Bentele. »Wenn dies über eine Regulierung des Marktes erreicht werden kann, sind wir dafür. Wenn das nicht klappt, darf eine Übergewinnsteuer nicht länger ausgeschlossen werden.«

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.