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Zwei Frauen unter Beschuss

Angriffe auf Gülşen und Jasmina Kuhnke: Beide Fälle haben mehr gemeinsam, als es zunächst aussieht.

  • Sibel Schick
  • Lesedauer: 4 Min.

Was haben die türkische Sängerin Gülşen und die deutsche Autorin Jasmina Kuhnke gemein? Es sind beide meinungsstarke Frauen, die niedergemacht werden.

Gülşen tritt selbstbewusst und sexpositiv auf. Immer wieder äußert sie sich politisch zu Femiziden oder ist solidarisch mit LGBTIQ+. Die Sängerin wurde Anfang des Jahres zur Zielscheibe, die Ausrede war ein transparentes Bühnenkostüm. Hysterie beladene Promis kritisierten ihre »Nacktheit« – diese würde nicht mit »unseren Werten« übereinstimmen. Daraufhin schrieb Gülşen auf Instagram: »Ja, ich bin die Tochter eines Vaters, die Mutter eines Kindes, die Frau eines Mannes. Aber ich bin mehr als das. Ich gehöre mir.« Ihre kompromisslose Haltung nahmen regierungsnahe Medienmacher*innen als Anlass und starteten eine Hetzkampagne gegen die 46-Jährige. Gülşen ließ sich nicht beeindrucken, postete weiterhin feministische Botschaften, hisste auf Konzertbühnen die Regenbogenflagge und zog an, was sie wollte.

Sibel Schick
Sibel Schick ist Autorin und Journalistin. Sie wurde 1985 in der Türkei geboren und zog 2009 nach Deutschland. Für »nd« schreibt sie die monatliche Kolumne »In schlechter Gesellschaft«. Darin schreibt Schick gegen das Patriarchat und den Rassismus der weißen Mehrheitsgesellschaft an. Alle Texte unter dasnd.de/gesellschaft.

Am 25. August wurde Gülşen in Untersuchungshaft genommen. Es ging um einen Videoausschnitt aus dem April, der wenige Tage zuvor viral ging. Darin witzelt sie auf der Bühne über einen Bandkollegen: »Er besuchte eine Imam-Hatip-Schule. Seine Perversität stammt daher.« Imam-Hatip sind religiöse Schulen, deren Zahl sich zwischen 2011 und 2018 von 537 auf 1605 erhöhte. Immer wieder werden sexuelle Misshandlungen des Imam-Hatip-Personals an Schüler*innen öffentlich, laizistische Kreise fordern ihre Schließung. Gülşens Worte seien Aufstachelung zu Hass und Feindseligkeit, entschied ein Staatsanwalt – jener, der die Journalistin Sedef Kabas dieses Jahr wegen eines Tweets festnehmen ließ.

Was Gülşen für die Regierenden in der Türkei so gefährlich macht, ist die Tatsache, dass sie für ihre Ansichten einsteht und öffentlich Solidarität zeigt. Und das in einer Zeit, in der das nicht mal die türkische Opposition wagt. Am 29. August wurde sie aus der Untersuchungshaft entlassen und steht jetzt unter Hausarrest. Die Journalistin und Schriftstellerin Burçin Tetik, die unter anderem für die Deutsche Welle arbeitet, vergleicht das mit dem Verhalten patriarchaler Eltern, deren Kind rebelliert.

Und was hat all das mit Jasmina Kuhnke zu tun? Auf den ersten Blick nicht viel. Und doch greift bei der deutschen Autorin eine ähnliche Machtdynamik wie bei der türkischen Sängerin: Eine lautstarke Frau, die als Bedrohung wahrgenommen und so behandelt wird.

Alles begann mit einem Tweet. Die linke Aktivisten-Gruppe »Hogesatzbau« postete am 12. August ein Foto – zum ersten Mal mit Gesicht. Das kommentierte Kuhnke, die auf Twitter unter dem Namen »quatromilf« bekannt wurde, mit: »Hahaha, surprise.« Darauf reagierte Hogesatzbau mit einem Post, in dem sie Kuhnke vorwarf, sie vernichten zu wollen. Woran Hogesatzbau die Absicht zur Vernichtung festmacht, wird nicht klar.

Hogesatzbau wurde in der Vergangenheit dafür kritisiert, in Aktionen und im Umgang mit Kritik Rassismen, Antisemitismus und Ableismen zu reproduzieren – auch von Kuhnke. Der Post scheint deshalb wie ein Vorwand, Kuhnke für ihre frühere inhaltliche Kritik zu bestrafen. Unterstützung erhielt Hogesatzbau unter anderem von Anna Dobler, jener Journalistin, die als stellvertretende Chefredakteurin des österreichischen Boulevard-Mediums »Exxpress« gefeuert wurde, weil sie in Bezug auf Nationalsozialisten twitterte: »Das waren nicht nur Mörder, sondern durch und durch Sozialisten.« Gut möglich, dass Hogesatzbau Doblers Unterstützung nicht gefällt, und dennoch hat sie ein Geschmäckle.

Der Post von Hogesatzbau war der Anfang einer Hetzkampagne gegen Kuhnke, die Kreise ziehen sollte. Es schalteten sich unter anderem die gemeinnützige Organisation »Der goldene Aluhut« und der »Ankerherz Verlag« ein. Sie führten die Erzählung, Kuhnke wolle Hogesatzbau vernichten, fort. Kuhnke habe ihren »Quattromob« auf Hogesatzbau losgehetzt, hieß es. Belege dafür liefern sie nicht.

So funktionieren nicht nur Dämonisierungen, sondern auch die Umkehr von realen Täter*innen-Opfer-Verhältnissen: Der Gegenseite vorwerfen, was man selber ist. In beiden Fällen – Kuhnke und Gülşen – werden Herrschaftsinteressen eindeutig sichtbar: Deutungshoheit wird beansprucht, unbequeme Positionen werden stummgeschaltet, und das alles wird um Dimensionen leichter, wenn es sich um Frauen handelt. Kleine linke deutsche Organisationen haben natürlich nicht die gleichen Absichten oder Ressourcen wie die Regierung in der Türkei. Aber solange politische Akteure eine Gemeinsamkeit mit Rechten haben, braucht man sich nicht wundern, wenn man sie nicht als antifaschistische Akteur*innen wahrnimmt.

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