- Kommentare
- NS-Vergangenheitspolitik
Vergangenheit lebt weiter
Aert van Riel hält NS-Schlussstrichdebatten für gefährlich
Eine neue Studie der Bertelsmann-Stiftung zu den deutsch-israelischen Beziehungen kommt zu dem Ergebnis, dass 49 Prozent der befragten Deutschen der Aussage zustimmen, man solle nicht mehr so viel über die Verfolgung der Juden reden, sondern einen »Schlussstrich« unter die Vergangenheit ziehen. Den nach wie vor existierenden Antisemitismus, der für radikale Rechte weiter mit Vernichtungsfantasien einhergeht, ignorieren diese Menschen offensichtlich. Man sollte sich lieber nicht ausmalen, was sie sagen würden, wenn man sie auf den Anschlag auf die Synagoge in Halle an der Saale vor drei Jahren anspricht. Vermutlich: Schwamm drüber, nicht so schlimm, nur ein Einzeltäter. Führende Politiker dieses Landes sind ein Teil des Problems. Sie vermitteln den Eindruck, dass Deutschland der Weltmeister in Sachen Erinnerungskultur sei. Angeblich wurde alles aufgearbeitet. Das ist auch der Tenor vieler Gedenkveranstaltungen, bei denen fleißig Kränze niedergelegt und Reden geschwungen werden. Man habe sich der eigenen Geschichte gestellt, heißt es dort.
Gleichzeitig haben die Unionsparteien und die ihnen nahestehenden Vertriebenenverbänden einen großen Anteil daran, dass hierzulande ein bizarrer Opfermythos weiterlebt. Sie haben nun mit dem im vergangenen Jahr in Berlin errichteten Zentrum gegen Vertreibungen einen Wallfahrtsort. Die Macher des Zentrums nennen die aus den deutschen Ostgebieten vertriebenen Deutschen in einem Atemzug mit europäischen Juden, die seit 1933 »vertrieben« wurden. Wer hier nicht Ursache und Wirkung klar benennt, der betreibt Geschichtsklitterung. Für die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts lässt sich konstatieren: Der Tod war ein Meister aus Deutschland. Und viele Schlächter wurden nach 1945 sehr schnell rehabilitiert. Das ist übrigens ein Stück Geschichte, das vor allem mit Blick auf die Bundesrepublik dringend aufgearbeitet werden muss.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.