Die Signale in Niedersachsen stehen auf Rot-Grün

Die CDU bemüht sich um die Grünen. Doch die zeigen bisher kein Interesse an einer Zusammenarbeit

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 4 Min.

Gut einen Monat vor der Landtagswahl in Niedersachsen macht die CDU den Grünen verstärkt Avancen. »Vielleicht ist Schwarz-Grün ein Zukunftsbündnis, das Wirtschaftskraft und Klimaschutz vereint«, meint CDU-Landeschef und -Spitzenkandidat Bernd Althusmann. »Das könnte eine gute Vision für Niedersachsen sein.« Zwar betont der Christdemokrat, dass seine Partei mit den Grünen nicht immer übereinstimme. Er sehe aber Schnittmengen, sagt Althusmann mit Blick auf schwarz-grüne Regierungsbündnisse in den Nachbar-Bundesländern Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein: »Es war ja auch in Nordrhein-Westfalen nicht so, dass die Grünen ein klassischer Partner der CDU gewesen wären.« Und in Kiel habe sich Ministerpräsident Daniel Günther von der CDU trotz anderer Optionen für die Grünen entschieden.

Die Annäherungsversuche der Konservativen an die Grünen kommen spät. Und sie dürften vergebens sein. Denn die Zeichen in Niedersachsen nach der Wahl stehen zurzeit klar auf Rot-Grün. Noch wird das Bundesland von einer Großen Koalition aus SPD und CDU regiert. Dass diese fortgesetzt wird, ist äußerst unwahrscheinlich. Beide Parteien sprechen demonstrativ von einem Zweckbündnis auf Zeit und betonten zuletzt immer häufiger Unterschiede als Gemeinsamkeiten.

Grundsätzlich möglich wären den aktuellen Umfragen zufolge Koalitionen aus SPD und CDU, aus SPD und Grünen sowie aus CDU und Grünen. Alle drei Parteien liegen in der Wählergunst dicht beieinander. Nach dem aktuellen »Niedersachsentrend« – einer repräsentativen Insa-Umfrage vom Wochenende – erhalten die Sozialdemokraten 31 Prozent, die CDU kommt auf 28 Prozent, die Grünen auf 19 Prozent. Die FDP wird mit sieben Prozent für eine Regierungsbildung nicht benötigt. Obwohl die AfD in Niedersachsen zerstritten ist, liegt die rechtsradikale Partei bei sieben Prozent. Die Linke würde mit vier Prozent den Einzug ins Landesparlament erneut verpassen.

SPD-Ministerpräsident Stephan Weil, der bereits von 2013 bis 2017 Chef einer rot-grünen Landesregierung war, hat sich für eine neuerliche Partnerschaft mit den Grünen ausgesprochen. In seiner Partei gibt es dazu keinen vernehmbaren Widerspruch. Die Grünen ihrerseits vermeiden zwar eine Festlegung. Äußerungen ihres Spitzenpersonals deuten aber gleichfalls darauf hin, dass alles in Niedersachsen auf ein rot-grünes Bündnis hinausläuft.

»Wer Gendern verbieten will, wer Atomkraftwerke verlängern möchte, wer einen Innenminister Schünemann in Niedersachsen reaktivieren möchte in Niedersachsen, mit dem kann man sicherlich keine grün regierte Landesregierung anführen«, wies die Fraktionsvorsitzende und Spitzenkandidatin Julia Willie Hamburg kürzlich die Annäherungsversuche der CDU zurück. Co-Spitzenkandidat und Ex-Landwirtschaftsminister Christian Meyer kritisiert, die CDU verhindere in der aktuellen Landesregierung den schnellen Ausbau von Wind- und Sonnenenergie.

Tatsächlich ist eine schwarz-grüne Koalition wegen inhaltlicher Differenzen kaum vorstellbar. Das gilt vor allem für die Agrar-, Umwelt- und Energiepolitik. So ist die CDU in Niedersachsen agrarpolitisch voll auf der Linie des in diesem Bundesland besonders konservativen Landvolkes, das schon bei kleinsten ökologischen Veränderungen aufschreit. Zuletzt warnte der Verband die Landesregierung davor, sogenannte »Vorbehaltsgebiete Landwirtschaft« als Freiflächen für Photovoltaik-Anlagen auszuweisen. Massiv setzt er sich auch gegen die von der EU-Kommission geplante »Verordnung über die nachhaltige Verwendung von Pflanzenschutzmitteln« ein. Diese Pläne, poltert Verbandspräsident Holger Hennies, entzögen den Landwirten »faktisch die Arbeitsgrundlage«. Die Landwirtin und Landesagrarministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) verhindert aus Sicht von Umweltschützern nach Kräften, dass ökologische Ansätze Eingang ins Regierungshandeln finden.

Innenpolitisch würde ebenfalls kaum was gehen unter Schwarz-Grün. Während die CDU beispielsweise in der Migrationspolitik die aus der Partei bekannte harte Linie fährt, setzen sich der – im Bundesvergleich eher linke – Grünen-Landesverband und die Landtagsfraktion hier für einen Paradigmenwechsel ein. Es dürfe kein »Zwei-Klassen-Recht für Geflüchtete« geben, heißt es mit Blick auf die Ungleichbehandlung von Flüchtlingen aus der Ukraine und Flüchtlingen aus anderen Kriegsgebieten.

Anders als die CDU wollen die Grünen auch die Rechte von Demonstranten gegenüber den Sicherheitsbehörden gestärkt sehen. Die Einsatzkonzepte und die Struktur der umstrittenen Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten (BFE) der niedersächsischen Polizei müssten »kritisch überarbeitet«, eine Identifizierung von Polizistinnen und Polizisten bei Einsätzen sichergestellt werden, damit Bürger im Zweifel ihre Rechte auch durchsetzen könnten.

Nicht zuletzt spricht für Rot-Grün, dass eine relative Mehrheit der Wählerinnen und Wähler eine solche Konstellation befürwortet – im »Niedersachsen-Check« liegt sie mit 25 Prozent Zustimmung vorn. Eine Fortsetzung der Großen Koalition befürworten 16 Prozent, Schwarz-Grün wollen gerade einmal 9 Prozent.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.