Todesfahrt über Nizzas Strandpromenade

Acht Helfer des islamistischen Täters von 2016 müssen sich vor Gericht verantworten

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Tag des Anschlags war mit Bedacht gewählt. Am Abend des Nationalfeiertages 14. Juli 2016 unternahm der 31-jährige Tunesier Mohamed Lahouaiej-Bouhlel seine Amokfahrt über die Uferpromenade. Er wusste, dass dort Menschenmassen zusammengekommen waren, um das traditionelle Feuerwerk zu verfolgen. Lahouaiej-Bouhlel, ein vermutlich per Internet radikalisierter Islamist, wurde von der Polizei erschossen, doch zu seinem dadurch abgebrochenen Anschlag hat sich nur Stunden später per Internet der »Staat« bekannt. Das Vorgehen des Einzeltäters entsprach dem, was 2010 die Terrororganisation al-Qaida per Internet vorgeschlagen hatte: »Benutze einen Lastwagen wie einen Rasenmäher. Wenn du eine Waffe hast, benutze sie, um die Arbeit zu vollenden.«

Bei den Personen, die jetzt vor Gericht stehen, handelt es sich vor allem um drei Freunde, denen Beteiligung an einer kriminellen terroristischen Vereinigung vorgeworfen wird, auch wenn sie beteuern, dass sie von dem Attentatsplan des Täters nichts gewusst haben. Die restlichen Angeklagten, darunter eine Frau, kommen aus dem kriminellen Milieu und waren am Beschaffen der Waffe beteiligt. Bei ihnen ist aber selbst die Staatsanwaltschaft überzeugt, dass sie von dem Attentatsvorhaben nichts wussten.

Das Verfahren im Pariser Justizpalast, das bis November dauern soll, wird per Video auch ins Kongresszentrum von Nizza übertragen. In dem Prozess wird es vor allem darum gehen, wie es gelingen konnte, dass ein einzelner Täter so viele Menschen tötet, und in welchem Maße die acht Angeklagten dabei geholfen haben.

Wie anhand der Videoaufzeichnungen der Überwachungskameras rekonstruiert werden konnte, hat der Attentäter den am Vortag gemieteten und dann in einer Seitenstraße der Uferpromenade geparkten Lkw aufgesucht und ist mit ihm in die an diesem Abend für den Autoverkehr gesperrte »Promenade des Anglais« eingebogen. Die war voller Menschen, die von dem gerade erst zu Ende gegangenen Feuerwerk kamen. Der Täter beschleunigte den Lkw auf 90 Kilometer und durchbrach eine Sperre aus quer zur Fahrbahn abgestellten Polizeiautos. Dann fuhr er über eine Strecke von insgesamt 1,7 Kilometer abwechselnd auf der Fahrbahn oder auf dem Fußweg, wobei er häufig die Richtung änderte oder Haken schlug, um möglichst viele Menschen zu erfassen und zu überfahren. Dabei hat er auch noch durch das offene Seitenfenster mit einer Pistole auf Polizisten und einen Zivilisten geschossen, die ihn per Motorrad oder Motorroller verfolgt haben und zum Stehen bringen wollten. Seine mörderische Fahrt, die nur vier Minuten und 17 Sekunden dauerte, wurde erst dadurch beendet, dass zwei mit Sturmgewehren bewaffnete Polizisten den auf sie zukommenden Lkw beschossen und den Attentäter durch die dabei völlig durchsiebte Windschutzscheibe erschossen haben.

Da Nizza ein Zentrum des internationalen Tourismus ist, waren unter den Toten und Verletzten des Anschlags nicht nur Franzosen, sondern auch Besucher aus 53 Ländern der Welt.

Breiten Raum dürften im Prozess die Sicherheitsvorkehrungen der Polizei einnehmen, die sich im Nachhinein als unzureichend erwiesen haben. Auch die mit einer Kamera pro 120 Einwohner landesweit intensivste Videoüberwachung durch die Kommunalpolizei von Nizza hat völlig versagt. Wohl weil in der Zentrale zu wenig Polizisten zur Auswertung der Aufnahmen in Echtzeit im Einsatz waren, wurden verdächtige Vorgänge leichtfertig übergangen. So konnte der Täter den Lkw in einer Zone abstellen, die zu diesem Zeitpunkt bereits für sämtliche Fahrzeuge gesperrt war, ohne dass umgehend Polizisten dorthin beordert wurden oder man wenigstens veranlasst hat, dass der falsch geparkte Lkw abgeschleppt wird. Kritisiert wurde auch, dass es entlang der Uferpromenade kaum Prellböcke oder andere Hindernisse gab, die hätten verhindern können, dass ein Fahrzeug auf den Bürgersteig gelangt.

Nach dem Anschlag gab es über Wochen eine heftige Polemik zwischen dem rechten Bürgermeister von Nizza, Christian Estrosi, und der linken Regierung von François Hollande über die Zahl der zum 14. Juli zur Verstärkung nach Nizza beorderten Angehörigen der Nationalen Polizei. Darum werden sowohl der Bürgermeister als auch der seinerzeitige Präsident François Hollande und Innenminister Bernard Cazeneuve als Zeugen vorgeladen.

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