Ungleichheiten in der Gesundheitsversorgung

Die Lebenserwartung marginalisierter Gruppen ist in der Corona-Pandemie gesunken

Es ist bekannt, dass die Corona-Pandemie weltweit zu einem Rückgang der Lebenserwartung geführt hat, wobei manche Länder besonders stark betroffen waren. Unter den Industriestaaten war dies angesichts sehr vieler Covid-19-Todesfälle in den USA der Fall, wo der Rückgang der Lebenserwartung der größte in der jüngeren Geschichte war. Doch gleichzeitig gab es auch große Unterschiede im Land zwischen von Rassismus betroffenenen und nicht betroffenen Gruppen, wie aus einer Studie der Universität Oxford hervorgeht, die kürzlich im Fachblatt der US-Akademie der Wissenschaften veröffentlicht wurde.

Die Autoren um den Demografen José Manuel Aburto werteten umfangreiche Daten aus dem ersten Coronajahr 2020 aus und verglichen diese mit der Entwicklung seit 2010. Demnach ging die Lebenserwartung von hispanischen und schwarzen US-Amerikanern deutlicher zurück als die von weißen. Sie sank im Jahr 2020 am stärksten bei hispanischen und schwarzen Männern, nämlich um 4,5 beziehungsweise 3,6 Jahre, während es bei weißen Männern 1,5 Jahre waren. Durch diese Rückgänge, schreiben die Autoren, »wurde der frühere Vorteil der Lebenserwartung der hispanischen gegenüber der weißen Bevölkerung nahezu aufgehoben, während sich die bereits große Kluft in der Lebenserwartung zwischen Schwarzen und Weißen drastisch vergrößerte«. Was den Autoren noch auffiel: Bei schwarzen US-Bürgern gab es 2020 nicht nur sehr viele Covid-Todesfälle, sondern es nahmen auch die Herz-Kreislauf-Erkrankungen und die »Todesfälle aus Verzweiflung« – also durch Suizide oder Drogen- und Alkoholmissbrauch – deutlich zu. »Die Studienergebnisse«, erläutert Wissenschaftler Aburto, »unterstreichen die ungleichen Auswirkungen der Pandemie auf benachteiligte Gruppen.«

In den USA und Großbritannien gab es in der Corona-Zeit zahlreiche Untersuchungen, die zu ähnlichen Resultaten kamen. In Deutschland werden nicht einmal entsprechende Daten erhoben, da befürchtet wird, dadurch könnten Ressentiments geschürt werden. Entsprechend ist das Thema nicht im öffentlichen Diskurs, wo noch immer Virologen, deren Welt die der Elektronenmikroskope und Petrischalen ist, die Debatte dominieren. In den USA und Großbritannien hingegen werden auch sozialwissenschaftliche Erkenntnisse thematisiert.

Diese sollten aus Sicht der Autoren auch Folgen haben. Die US-Studie weist auf »die Bedeutung der sozialen Determinanten der Gesundheit« während einer solchen Krise hin. »Aus Sicht der öffentlichen Gesundheit ist es nun äußerst wichtig, die Gründe für diese dramatischen ethnischen Unterschiede zu ermitteln, wobei mögliche Erklärungen die Exposition am Arbeitsplatz, die Wohnsituation, zugrundeliegende Komorbiditäten und der ungleiche Zugang zur Gesundheitsversorgung sind«, wie es Co-Autorin Jennifer Dowd ausdrückt.

Auch in Großbritannien gab es im vergangenen Jahr verschiedene Publikationen dazu, in denen schonungslos auf Lücken in der Gesundheitsversorgung während der Pandemie hingewiesen wurde. Noch immer bestehen Ungleichheiten bei Covid-19 mit erhöhten Raten von Infektionen, schweren Erkrankungen und Todesfällen bei Angehörigen von Rassismus betroffener Gruppen, wie aus Statistiken der Gesundheitsbehörden hervorgeht. Eine im Fachblatt »The Lancet« erschienene Studie eines Autorenteams um Laua B. Nellums von der School of Medicine an der Universität Nottingham weist nun auch auf eine Versorgungskluft bei Covid-19-Impfstoffen hin. Bei den über 18-Jährigen lag der Anteil derjenigen, die bis März 2022 in England dreimal geimpft waren, bei durchschnittlich 60 Prozent. Hingegen sind die Quoten in den von Rassismus betroffenen Gruppen der schwarzen Karibik (38 Prozent), der schwarzen Afrikaner (45 Prozent) und der Pakistaner (45 Prozent) am niedrigsten. Zu den Gründen zählen die Autoren »Benachteiligung, Überbelegung, Arbeitsmuster und -bedingungen sowie Diskriminierung und strukturelle Gewalt im Gesundheitssystem und in der Gesellschaft«.

Zum Verständnis ist es wichtig zu wissen, dass man anders als in Deutschland, wo stark politisiert von »Impfgegnerschaft« die Rede ist, im Englischen von »vaccine hesitancy«, also Zögerlichkeit gegenüber Vakzinen, spricht. Es geht also um die Möglichkeit einer Verhaltensänderung. So raten die Studienautoren mit Blick auf die Kampagne zur vierten Impfung: »Es muss besser verstanden werden, wie ethnische Minderheitengruppen unterstützt werden können und wie die Regierung, die Gesundheitsdienstleister und die Teams des öffentlichen Gesundheitswesens am besten mit den Verantwortlichen der Gemeinschaften zusammenarbeiten können.« Es sei entscheidend, »die von diesen Gruppen wahrgenommenen Risiken offen zu diskutieren und den Zugang zur Gesundheitsversorgung zu verbessern«. Hier herrsche nämlich »tiefes Misstrauen, Wut, Verlust und Angst aufgrund von strukturellem Rassismus und den Ungleichheiten, die diese Gemeinschaften im Gesundheitswesen und in der Gesellschaft erfahren haben«.

Es geht also um weit mehr als höhere Impfquoten. Die britischen Forscher raten zu einem fachübergreifenden Ansatz, der »die vielfältigen Machtstrukturen in den Mittelpunkt rückt, die die langwierigen Ungleichheiten vertiefen«. Und auch die US-Studie zur ungleichen Auswirkung der Pandemie auf die Sterblichkeit kommt von der Datenauswertung direkt zum strukturellen Rassismus: »Während das Coronavirus selbst nicht diskriminierend wirkt, prägt das soziale Umfeld das Infektions- und Sterberisiko in einer Weise, die historische Ungleichheiten widerspiegelt.«

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